Vor knapp sechs Jahren musste sich Lena (Name geändert) einer Wach-Operation am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) unterziehen. Der damals Zwölfjährigen wurde durch die Spezialisten der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des UKR ein gutartiger Gehirntumor in unmittelbarer Nähe des Sprachzentrums entfernt. Diese Form der Wach-Operation wird bei Kindern weltweit nur sehr selten durchgeführt, konnte in diesem Fall jedoch einen möglichen Verlust der Sprachfunktion verhindern. Heute steht die Achtzehnjährige voll im Leben.
Eine Gehirn-Operation bei vollem Bewusstsein und nur bei Teilnarkose. Für viele eine durchaus gruselige Vorstellung. Doch Lena (Name geändert) hat das tapfer durchgestanden und der Tumor konnte entfernt werden. Das damals zwölfjährige Mädchen litt an einem langsam wachsenden Gehirntumor, der bei Nichtbehandlung aufgrund des unmittelbaren räumlichen Bezugs zum Sprachzentrum zu irreversiblen Sprachstörungen bis hin zum gänzlichen Verlust der Sprachfunktion führen oder auch zu epileptischen Anfällen führen kann. Das medizinische Team um Dr. Christian Ott, Kinderneurochirurg und Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des UKR, entschied sich, in diesem Fall den gutartigen Tumor in einer Wach-Operation zu entfernen. Wach-Operationen an sich werden mittlerweile von einigen Zentren in bestimmten Fällen angeboten. Die Besonderheit in Regensburg besteht in der Tatsache, dass hier die Operation von der ersten bis zur letzten Minute an einem gänzlich wachen Patienten durchgeführt wird. Im Gegensatz dazu ist ein OP-Verfahren, bei dem die Patienten initial narkotisiert sind und nur für ein kurzes Intervall während der OP „geweckt“ werden deutlich weiterverbreitet.
„In Regensburg haben wir mit unserem speziellen Verfahren, das weltweit sehr selten ist, sehr gute Erfahrungen gesammelt und sind damals bei Lena erstmals den Schritt mit einer so jungen Patientin und ihrer Familie gegangen, um ihr die bestmögliche Therapie anbieten zu können“, erklärt Dr. Ott.
Eine derartige Operation wie im Falle von Lena ist immer eine konzertierte Aktion in einem eingespielten, professionellen Team. Der wesentliche Unterschied zu Operationen in Narkose ist, dass der Patient selbst ein Teil des Teams ist und auch aktiv mitwirkt. Es ist daher essentiell, dass sich das gesamte Team auf den Patienten einstellen kann und dass eine gute Vertrauensbasis herrscht. Im Grunde beginnt die Operation schon beim ersten Arztgespräch – gerade bei jungen Patienten ist das eine ganz besondere Herausforderung.
Natürlich verspüren die Patienten keine Schmerzen, weil der zu operierende Bereich durch eine Lokalanästhesie betäubt ist. „Es hat sich ein wenig wie bei einem Zahnarztbesuch angefühlt“, bestätigt Lena. „Man spürt, dass etwas passiert, aber es tut nicht weh. Zum Glück!“ Durch diese Operationsmethode konnten die Mediziner den Tumor komplett entfernen und das Mädchen das Klinikum bereits wenige Tage nach dem Eingriff wieder verlassen. Dr. Ott: „Der Patientin ging es kurz nach der Operation sehr gut. Sie konnte herumlaufen, sprechen, war fit und hatte keine neurologischen Ausfälle, sodass wir sie schon vier Tage nach dem Eingriff nach Hause entlassen konnten.“ Heute geht die 18-Jährige ganz normal ihrem Alltag nach und hat keine Einschränkungen. „Mir geht es sehr gut. An die Operation denke ich nur ganz selten, sie behindert mich in meinem Alltag überhaupt nicht“, lacht die junge Frau. „Dieser erfolgreiche Eingriff unterstreicht, wie wichtig moderne, spezialisierte Therapieverfahren in der Behandlung kindlicher Hirntumoren sind“, erklärt Professor Dr. Selim Corbacioglu, Direktor der Abteilung Pädiatrische Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation.
Stetige Überwachung durch Neuropsychologen und Anästhesie
Bei Lena bestand die Herausforderung in der speziellen Lage des Tumors direkt am Sprachzentrum in der sprachdominanten, linken Gehirnhälfte. Eine möglichst vollständige Entfernung des erkrankten Gewebes, ohne funktionsrelevante Gehirnareale zu beschädigen, wurde damit erschwert. Aus diesem Grund entschieden sich die Spezialisten dazu, den Eingriff während einer andauernden Wachphase der Patientin durchzuführen. „Dieses Vorgehen verschafft uns die Möglichkeit, während der gesamten Operation mit der Patientin zu kommunizieren und gegebenenfalls sofort auf mögliche Sprachausfälle oder Sprachstörungen reagieren zu können“, so Professor Dr. Nils Ole Schmidt, Direktor der Klinik und Poliklinik für Neurochirurgie des UKR. „So können wir direkt feststellen, ob alles in Ordnung ist, weil die Reaktionen nicht durch Narkosemedikamente verzögert werden.“
Während der gut dreieinhalbstündigen Operation war Lena die gesamte Zeit unter Beobachtung einer neurolinguistisch ausgebildeten Neuropsychologin und einem speziell geschulten Anästhesieteam, die die Hirn- und Sprachfunktionen überwachen und bei etwaigen Störungen sofort Rückmeldung an das Operationsteam geben können. „Wir setzen örtliche Betäubungen ein, um unsere Patientinnen und Patienten sicher durch potenziell schmerzhafte Phasen dieser Operation zu führen, während sie vor allem kommunikativ von uns begleitet werden – denn das Gehirn selbst empfindet keinen Schmerz. Zugleich wissen die Betroffenen, dass wir bei Bedarf innerhalb weniger Minuten jederzeit eine Sedierung oder sogar eine Allgemeinanästhesie einleiten können“, betont Professor Dr. Bernhard Graf, Direktor der Klinik für Anästhesiologie des UKR. Lena selbst konnte unterdessen Zeichentrickfilme auf einem Bildschirm ansehen: „Das war eigentlich ganz cool. Die Cartoons haben mich gut abgelenkt.“
Ein wesentlicher Teil des Regensburger Konzepts der Wachoperation stellt die sogenannte „therapeutische Kommunikation“ dar. Es geht darum, dem Patienten gezielt durch Kommunikation und auch Suggestion, sowie durch ein den Umständen entsprechend möglichst angenehmes Umfeld die Angst und den Stress zu nehmen. Wir arbeiten stetig daran auch kleinste Details des OP-Ablaufs zu verändern – und sei es nur ein unangenehmes Geräusch erträglicher zu machen, indem man es tatsächlich leiser macht, ganz vermeidet oder durch individuell auf den Patienten angepasste Suggestion in der Wahrnehmung des Patienten „leiser“ macht bzw. im besten Fall sogar mit etwas für den jeweiligen Patienten Positiven in Verbindung bringt. Dazu gehört neben medizinisch-technischer Expertise auch ein souveränes, eingespieltes Team sowie eine gesunde Portion Menschenkenntnis und vor allen eine vertrauensvolle Basis zwischen Arzt und Patient. Im Fall von Lena haben wir auch zu Animationsfilmen gegriffen, um ihr den Eingriff zu erleichtern. Dazwischen haben mir die Ärzte immer wieder gesagt, ich solle meine Beine bewegen, einige Zeilen vorlesen und Bilder beschreiben, die sie mir gezeigt haben.“ Diese Übungen dienen den Operateuren dazu, die Funktionalität von Sprache und Motorik im Auge zu behalten.
Nicht jeder Patient ist für eine Wach Operation geeignet
Bevor eine Wach-Operation durchgeführt werden kann, muss der Patient genauestens darauf getestet werden, ob diese Art des Eingriffs realisierbar ist. „Wir müssen zuerst die Tumorlage und die direkte Umgebung begutachten, um zu prüfen, ob der zu operierende Bereich gut zugänglich ist. Dazu verwenden wir hochmoderne und zum Teil zukunftsweisende funktionelle Bildgebungsverfahren, um die individuelle funktionelle Anatomie des Gehirns eines individuellen Patienten im Vorfeld darzustellen. Zudem muss natürlich auch der Patient psychisch stabil sein, denn nicht jeder kann sich mit dem Gedanken anfreunden, bei einer Gehirn-Operation wach und ansprechbar zu sein“, sagt Dr. Ott. Dies erfolgt unter anderem durch eine neuropsychologische Testung durch unsere speziell geschulten Neuropsychologen, die auch mit dem Patienten eine Art Trainingsphase zum Einüben der intraoperativen Tests, an denen die Patienten aktiv teilnehmen, durchführen. Stimmen diese Komponenten überein und Patient oder im Falle von Lena, deren Mutter, haben sich für eine Wach-Operation entschieden, können die Neurochirurgen den Eingriff durchführen. Weil das Gehirn selbst schmerzunempfindlich ist, wird dazu lediglich die Kopfhaut betäubt. Der Kopf wird im weiteren Verlauf fixiert, damit ein Verrutschen oder Verwackeln während des Eingriffs ausgeschlossen ist. Dann wird ein Hautschnitt gesetzt, der Knochen entfernt und das Hirngewebe mit kleinen Elektroden stimuliert. Der Patient muss nun etwas vorlesen, Bilder beschreiben oder mit dem Team sprechen. Wird ein gesunder Bereich im Gehirn durch die Elektroden stimuliert, kommt es vorübergehend zu einem Ausfall dieser Funktionen, während beim Tumor nichts passiert. „So können wir zwischen funktionsfähigem Gehirn- und Tumorgewebe ohne Funktion unterscheiden“, erklärt Dr. Ott. Das erhöhe die Sicherheit, auch wirklich den größtmöglichen Tumoranteil zu entfernen und gleichzeitig die Sprachfunktion bestmöglich zu erhalten, was immer eine Gratwanderung darstellt. „Wir haben bisher sehr gute Erfahrungen mit dieser Art der Operation gemacht und viele erwachsene Patienten so therapiert. Lena war bisher die jüngste Patientin, bei der wir in einem kompletten Wach-Zustand einen Tumor entfernt haben.“
Das interdisziplinäre Team konnte Lena den Tumor aus ihrem Gehirn entfernen.
Copyright: © UKR
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, Students, all interested persons
Medicine
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Transfer of Science or Research
German

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