Lässt sich das geschwächte Immunsystem älterer Individuen wieder verjüngen? Dies gelang Forschenden vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), vom Stammzellinstitut HI-STEM* und vom Broad Institute mit einem innovativen Ansatz. Mit einer nun in Nature publizierten Studie zeigte das Team, dass sich bei Mäusen die Leber mithilfe der mRNA-Technologie in eine temporäre Quelle wichtiger immunregulatorischer Faktoren verwandeln lässt, die im Laufe des Alterns natürlicherweise verloren gehen. Dadurch erholt sich die Bildung neuer Immunzellen, ältere Tiere entwickeln wieder robuste Abwehrreaktionen und können Tumoren schlagkräftig bekämpfen.
Mit dem Alter verliert das Immunsystem an Schlagkraft: Die Infekt-Abwehr schwächelt, Tumorzellen geraten außer Kontrolle, Impfungen wirken schlechter. Die Ursache dafür ist die Rückbildung der Thymusdrüse. Dieses kleine, über dem Herzen liegende Organ ist in der Jugend für die Reifung der T-Zellen zuständig. Mit dem altersbedingten Rückbau des Thymus sinkt die Zahl der T-Zellen, das Repertoire an Antigenen, das sie erkennen, schrumpft, und Immunantworten fallen insgesamt schwächer aus.
„Es ist schon viel versucht worden, um die altersbedingte Rückbildung des Thymus aufzuhalten oder rückgängig zu machen“, erklärt Mirco Friedrich (DKFZ, HI-STEM, Broad Institute). „Leider bislang ohne großen Erfolg.“ Mit seinen Kollegen in der Abteilung von Feng Zhang am Broad Institute in Cambridge, Massachusetts, verfolgte Friedrich einen völlig neuartigen Ansatz, um das alternde Immunsystem zu verjüngen.
Die Idee: Die Leber als temporäres Immun-Organ
Die Forschenden untersuchten zunächst, welche Reifungssignale dem Immunsystem im Alter fehlen. Mit aufwändigen Einzelzell-Analysen deckten sie auf, dass insbesondere drei wichtige Signalwege mit dem Alter nachlassen: die Notch-Signalgebung, der FLT3-Ligand sowie Interleukin-7. Alle drei sind entscheidend für die Reifung junger T-Zellen im Thymus und für die Funktion zentraler Immunzellen.
Was, wenn sich diese Signale substituieren ließen? Das Team entwickelte dazu eine Kombination aus drei mRNA-Molekülen, die für diese drei Signalfaktoren kodieren. In winzige Fett-Tröpfchen („Lipid-Nanopartikel“) verpackt, gelangen die mRNA-Moleküle in die Leberzellen der Mäuse. Dort produzieren sie für kurze Zeit genau jene Proteine, die dem alternden Immunsystem fehlen.
Diese Therapie hat durchschlagende Effekte: Ältere Mäuse bilden wieder vermehrt junge, naive T-Zellen und können dadurch neue Erreger deutlich besser abwehren. Gleichzeitig verbessern sich die Funktionen zweier weiterer wichtiger Player des Immunsystems, der dendritischen Zellen und der B-Zellen, die im Alter häufig an Aktivität verlieren. Die immunologischen Verbesserungen spiegeln sich unmittelbar in der Fähigkeit wider, auf Impfungen zu reagieren – ein Effekt, der in der Studie einer „Verjüngung“ der Impfantwort um mehrere Monate entsprach – was angesichts des kurzen Mäuselebens eine erhebliche Verbesserung darstellt.
Verjüngtes Immunsystem kann Tumorzellen zurückdrängen
Bemerkenswert ist auch die Wirkung auf Tumoren. Nach der mRNA-Behandlung drangen wieder mehr tumorbekämpfende CD8-T-Zellen in das Gewebe ein, und die Tiere sprachen deutlich besser auf Immuntherapien wie Checkpoint-Inhibitoren an. Von dieser Therapieform ist bekannt, dass sie bei älteren Patienten weniger gut wirkt als bei jüngeren. In besonders aggressiven Melanom-Modellen gelang es sogar, Tumoren vollständig zurückzudrängen – ein Ergebnis, das bei unbehandelten alten Mäusen nicht beobachtet wurde.
Den Effekt der mRNA-Therapie hatten die Forschenden bewusst vorübergehend gestaltet. Die mRNA wird in der Leber nur kurzzeitig in Proteine umgesetzt, die erzeugten Signalfaktoren verschwinden nach einiger Zeit wieder. Dadurch lässt sich die Wirkung fein dosieren, und das Risiko unbeabsichtigter langfristiger Veränderungen wird minimiert. Es fanden sich weder Hinweise auf Autoimmunität noch auf Lebertoxizität.
Großes Potenzial der mRNA-Therapien
Die Ergebnisse eröffnen eine neue Perspektive: Statt den altersbedingt verkleinerten und funktionell eingeschränkten Thymus direkt zu reparieren, können die wichtigen Reifungssignale für das Immunsystem einfach an einem anderen, zugänglichen Ort im Körper erzeugt werden. Die Leber eignet sich besonders gut, da sie natürlicherweise große Mengen an Proteinen in die Blutbahn abgibt und ihre Synthesefähigkeit selbst im hohen Alter weitgehend erhalten bleibt.
Die Autorinnen und Autoren sehen das große Potenzial dieses vielseitigen Ansatzes, der sich flexibel erweitern lässt. Denkbar ist etwa, künftig weitere Faktoren zu ersetzen, die im Verlauf des Alterns verloren gehen und zur nachlassenden Funktion des Immunsystems beitragen.
„Das Immunsystem altert, aber es verliert seine Fähigkeiten nicht irreversibel. Wenn wir ihm die fehlenden Signale wieder zur Verfügung stellen, kann es erneut erstaunliche Leistungen erbringen“, erläutert Erstautor Mirco Friedrich, der neben seiner Forschungstätigkeit als Hämatoonkologe am Universitätsklinikum Heidelberg tätig ist. Die Studie unterstreicht das Potenzial moderner mRNA-Technologien weit über die bekannten Anwendungen in Impfstoffen hinaus – als Werkzeuge, mit denen sich biologische Funktionen zeitlich begrenzt und äußerst präzise wiederherstellen lassen.
Mirco J. Friedrich, Julie Pham, Jiakun Tian, Hongyu Chen, Jiahao Huang, Niklas Kehl, Sophia Liu, Blake Lash, Fei Chen, Xiao Wang, Rhiannon K. Macrae, and Feng Zhang: Transient hepatic reconstitution of trophic factors enhances aged immunity
Nature 2025, DOI: https://www.nature.com/articles/s41586-025-09873-4
Krebsforschung zum Hören – die Pressemitteilung als Mini Podcast:
https://www.dkfz.de/fileadmin/user_upload/Skoe/Audio/mRNA_verjuengt_das_Immunsys...
(KI-generiert)
Nachwuchsgruppe Hämatologie und Immune Engineering:
https://www.dkfz.de/haematologie-und-immune-engineering
*Das Heidelberger Institut für Stammzelltechnologie und experimentelle Medizin (HI-STEM) gGmbH wurde 2008 als Public-Private-Partnership von DKFZ und Dietmar Hopp Stiftung gegründet.
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, Interessierte und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Patientinnen und Patienten zu verbessern, betreibt das DKFZ gemeinsam mit exzellenten Universitätskliniken und Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland Translationszentren:
Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT, 6 Standorte)
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK, 8 Standorte)
Hopp-Kindertumorzentrum (KiTZ) Heidelberg
Helmholtz-Institut für translationale Onkologie (HI-TRON) Mainz – ein Helmholtz-Institut des DKFZ
DKFZ-Hector Krebsinstitut an der Universitätsmedizin Mannheim
Nationales Krebspräventionszentrum (gemeinsam mit der Deutschen Krebshilfe)
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Research results
German

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