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10/04/2004 10:00

Gelernt ist gelernt

Dr. Antonia Rötger Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung

    Berufsausbildung in Deutschland zwischen 1935 und 2000

    Handwerk hat goldenen Boden, heißt ein alter Spruch. Doch die Zeiten haben sich geändert, manche zweifeln an der Zukunftsfähigkeit einer nichtakademischen Berufsausbildung. Dabei gilt das deutsche System der dualen Berufsausbildung im Ausland noch immer als sehr erfolgreich: Die Jugendarbeitslosigkeit ist in Deutschland im Vergleich zur allgemeinen Arbeitslosigkeitsrate deutlich geringer als in Ländern ohne duale Ausbildung*.
    Die Soziologen Karl Ulrich Mayer und Matthias Pollmann-Schult vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (MPIB) in Berlin haben jetzt verfolgt, wie sich die Übergänge zwischen Ausbildung und Arbeitsmarkt zwischen den Jahren nach der Weltwirtschaftskrise ab 1935 bis Anfang der 1990er Jahre verändert haben. Dafür haben sie für das Gebiet der alten Bundesrepublik Daten der Deutschen Lebensverlaufsstudie ausgewertet, für die Menschen aus acht verschiedenen Geburtsjahrgangsgruppen von 1919 bis 1971 u.a. nach Ausbildung, Berufsweg und Familiengeschichte befragt wurden. Die Deutsche Lebensverlaufsstudie wird seit 1983 unter Leitung von Prof. Karl Ulrich Mayer am MPIB durchgeführt und umfasst quantitativ aufbereitete Lebensgeschichten von über 12,000 Frauen und Männern in West- und Ostdeutschland.
    Das Fazit der Untersuchung: Eine Ausbildung ermöglicht nach wie vor einen guten Start in den Arbeitsmarkt, der Vorsprung gegenüber den Nichtqualifizierten hat sich sogar vergrößert. Die überwiegende Mehrzahl der Beschäftigten arbeitet auf einem Arbeitsplatz, der ihrer Qualifikation entspricht. Jeder elfte Mann aber nur jede fünfundzwanzigste Frau des Jahrgangs 1971 waren nach dem Berufseinstieg für ihre aktuelle Betätigung überqualifiziert. Hier zeigt sich ein großer Unterschied zwischen den Generationen. Aus dem Geburtsjahrgang 1940 war jede sechste Frau aber nur jeder zwanzigste Mann für die aktuelle Beschäftigung überqualifiziert. Frauen wählen offenbar Ausbildungsrichtungen, die heute stärker gefragt sind, meint Pollmann-Schult, etwa Finanz- oder Büroberufe oder Berufe im Gesundheitswesen. Damit sind oftmals zwar keine großen Aufstiegsmöglichkeiten und Verdienstchancen verbunden, dennoch ist das soziale Prestige und die Chancen auf adäquate Beschäftigung höher als im produzierenden Gewerbe, in dem deutlich mehr Männer arbeiten.

    Im Rückblick lassen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse zwischen 1935 und 1990 grob in drei Perioden gliedern. Die erste Periode von 1935 bis 1960 war von großen wirtschaftlichen Engpässen geprägt, von Krieg und Vertreibung, eingeschränkten Bildungsmöglichkeiten und Arbeitslosigkeit. Eine ganze Generation erlebte Unterbrechung oder Abbruch der Ausbildung. Das eigentliche Wirtschaftswunder begann in den 1960er Jahren, die Arbeitslosigkeit war niedrig und der Übergang aus dem Bildungssystem in den Arbeitsmarkt verlief reibungslos. Ab 1980 begann die steigende Arbeitslosigkeit zum Problem zu werden. Der Übergang zwischen Schule/Ausbildung und Beruf wurde schwieriger und Phasen der Arbeitslosigkeit, Umschulungen und Fortbildungen gehören inzwischen fast zur Normalbiografie.

    Die Nachkriegszeit brachte deutliche Veränderungen: Der Anteil der Jugendlichen mit Realschulabschluss oder Abitur erhöhte sich, vor allem seit der Bildungsexpansion der 1970er Jahre. Und der Anteil der Frauen an höheren Bildungsabschlüssen stieg noch stärker als bei den Männern. Ab den Jahrgängen 1965 gibt es mehr Abiturientinnen als Abiturienten.
    Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung hat sich das Problem der Überausbildung in den letzten Jahrzehnten jedoch nicht verschärft. Dennoch sind Lebenschancen immer auch von äußeren Faktoren wie der Stärke des Jahrgangs und der Arbeitsmarktsituation zur Zeit des Arbeitsmarkteintritts bestimmt. Die 1964er kamen beispielsweise 1983 auf den Arbeitsmarkt, als die Arbeitslosigkeit gerade auf den höchsten Wert seit 30 Jahren stieg. Außerdem waren die 1964 als geburtenstärkster Jahrgang der Nachkriegszeit größerer Konkurrenz ausgesetzt als die nachfolgenden Kohorten (Pillenknick). Bei diesem Jahrgang beobachteten Mayer und seine Kollegen durchaus eine verstärkte Tendenz zu Mehrfachausbildungen und unterwertiger Beschäftigung. Die 1971 Geborenen betraten dagegen Anfang der 1990er Jahre den Arbeitsmarkt als die Wirtschaft einen kurzen Aufschwung erlebte.

    Mit ihrer Analyse zeigen Mayer und Pollmann-Schult, dass eine Berufsausbildung nach wie vor ein guter Weg zu einem adäquaten Arbeitsplatz sein kann. Aber ob dies auch in Zukunft so bleibt, lässt sich aus den Daten nicht ablesen. Der Wert der beruflichen Ausbildung könnte abnehmen, wenn auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft zunehmend akademische Qualifikationen gefordert werden, vermutet Karl Ulrich Mayer. Die Unternehmen bilden außerdem seit einigen Jahren immer weniger Jugendliche aus, weil sie die Investitionen scheuen. Und hier könnte die viel diskutierte Ausbildungsplatzabgabe sogar zu einem unerwünschten Effekt führen: Große Unternehmen, die besonders kostspielige und qualitativ hochwertige Ausbildungen anbieten, könnten es vorziehen, sich von ihrer Verpflichtung freizukaufen, während kleine Handwerker weiter ausbilden. Denn in kleinen Handwerksbetrieben arbeiten Lehrlinge schnell im Alltagsgeschäft mit und verursachen so weniger Kosten, erwerben aber auch weniger wertvolle Qualifikationen. Ob das duale System, für das Deutschland weltweit so viel Anerkennung bekommen hat, so erhalten bleiben kann, ist eine offene Frage, meint Mayer.

    Hinweis an die Redaktionen:
    Mit weiteren Fragen können Sie sich gerne an Dr. Matthias Pollmann-Schult oder Professor Dr. Karl Ulrich Mayer wenden.
    Pollmann-Schult@mpib-berlin.mpg.de, Tel.: 030/ 82406-261
    sekmayer@mpib-berlin.mpg.de; Tel: 030 / 82406-261

    *In den USA ist die Jugendarbeitslosigkeit 1999 mit 9,9% doppelt so hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosigkeit (4,2%) gewesen, in Deutschland lag sie dagegen mit 8,5% etwas unter dem Durchschnitt von 8,7%.


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    Criteria of this press release:
    Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

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