idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
10/14/2004 09:06

Das Auge der Partei

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

Fotografie und Staatssicherheit: Von der VolkswagenStiftung an der Universität Erfurt mit 145.000 Euro gefördertes Projekt legt Ergebnisse vor - Buch "Das Auge der Partei" von Karin Hartewig seit Oktober erhältlich

Aus einem der finstersten Kapitel der DDR, der Überwachung auch der eigenen Bevölkerung, lässt sich heute - Ironie der Geschichte - viel Erhellendes über den Überwacherstaat selbst gewinnen. Was das Ministerium für Staatssicherheit(MfS), das Spionage nach innen wie nach außen betrieb, an Material hortete, umfasst nicht weniger als 180 Kilometer Schriftgut. Die zahlreichen Arbeiten zur Stasi stützen sich fast ausschließlich auf diese Texte. Bislang jedoch so gut wie unbeachtet blieb das Bildmaterial, das sich ebenfalls "sehen lassen" kann. Bis zum Ende der DDR häufte das Ministerium für Staatssicherheit einen beachtlichen Berg an Abbildungen auf: Zuletzt zählte man über 1,3 Millionen Dias und Fotografien sowie 4.000 Videos und Filmspulen, von denen die meisten noch darauf warten, betrachtet, gedeutet und bewertet zu werden.

Beachtliches auf diesem Gebiet hat in den vergangenen Jahren die Erfurter Wissenschaftlerin Dr. Karin Hartewig geleistet, die diese Medien in dem von der VolkswagenStiftung mit 145.000 Euro geförderten Projekt "Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit in der DDR (1950-1990)" untersucht hat. Die Autorin hat sich jahrelang durch den Bilderberg der Stasi gearbeitet, zudem Hintergründe wichtiger Fotos recherchiert und eine systematische Auswahl zusammengestellt, die erstmals der Öffentlichkeit einen umfassenden Einblick in diese obskure Hinterlassenschaft des Mielke-Apparates ermöglicht.

Klar wird: Die Materialien dienten zum größten Teil der Ausforschung und Bekämpfung des Gegners sowie einer Identifizierung und Registrierung vermuteter Feinde, aber auch zur Dokumentation und Schulung sowie als kriminalistische Beweismittel. Im Mittelpunkt der besessenen Fototätigkeit standen neben den Oppositionellen im eigenen Land die Angehörigen der westlichen Militärverbindungsmissionen und der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik sowie Grenzanlagen und Transiträume.

Mit dem massenhaft aufgenommenen visuellen Material wollten sich die Herrschenden in der DDR so zum einen ein "Fremdbild" verschaffen, um sich gegen eine mögliche Gefährdung ihrer Macht wappnen zu können. Vor allem die düstere Seite der Geheimdiensttätigkeit wird spürbar. Wurden in den 1950er Jahren die festgenommenen Opfer für "Verbrecheralben" fotografiert, so verfeinerten sich später die Methoden: Die "Zersetzung" der Opposition war das Ziel - durch Geheimfotografie, Abhöreinrichtungen und das Einschleusen von Spitzeln. Ein Kapitel, das die deutsch-deutsche Geschichte bis heute belastet.

Zum anderen diente dem Ministerium das interne Bildmaterial, das Personen und bedeutende Ereignisse ihrer Organisation festhielt, als Mittel der internen Kommunikation und Selbstdarstellung. "So wurden zum Beispiel Treffen mit befreundeten Kollegen aus der UdSSR dokumentiert, in 'Erinnerungsmappen' liebevoll zusammengestellt und später ausgetauscht", berichtet Dr. Karin Hartewig. "Fast wie Familienalben", ergänzt die Forscherin. Auch zu Imagezwecken wurde fotografiert: Hartewig stieß bei ihren Recherchen immer
wieder auf Plakate, die öffentlich für das MfS als eine "dynamische und hochmotivierte Organisation" werben. Und zu allen Zeiten entstanden Fotos, die das Innenleben der Geheimbehörde zeigen: Arbeitseinsätze, Jubiläen - sogar Jagdausflüge und organisierte Freizeitvergnügungen sind festgehalten.

Die Deutung des Bildmaterials für die Geschichtswissenschaft steht noch am Anfang. Mit dem naiven Rezept "Bilder sagen mehr als tausend Worte" ist es allerdings bei weitem nicht getan. Die Erfurter Wissenschaftler - geleitet wurde das Vorhaben vom Historiker Professor Dr. Alf Lüdtke von der Arbeitsstelle Historische Anthropologie des Max-Planck-Instituts für Geschichte an der Universität Erfurt - nutzten verschiedene methodische Ansätze aus der Kunstwissenschaft und der Kulturtheorie und sprachen Bildern und Fotografien bestimmte "codes" zu, um diese entsprechend entschlüsseln zu können.

Die Fülle des Materials zeigt unübersehbar, dass seit den späten 1960er Jahren die Fotomanie des MfS ausufernde Züge annahm. Aber auch der "VEB Horch und Guck" hat das nahende Ende der DDR nicht voraus "sehen" können - so wenig wie, nebenbei bemerkt, dies die westliche Totalitarismus-
forschung vermocht hat.

- Das Buch "Das Auge der Partei - Fotografie und Staatssicherheit" von Karin Hartewig ist jetzt im Christoph Links Verlag, Berlin, erschienen und kostet 19,90 Euro (ISBN 3-86153-342-1). Auf Nachfrage stellt der Verlag Rezensionsexemplare zur Verfügung, deren Anzahl jedoch begrenzt ist.

Der Text der Presseinformation steht im Internet zur Verfügung unter http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse04/14102004.pdf.
Fotos zum Download halten wir unter http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse04/14102004.htm für Sie bereit.
--------------------
Kontakt VolkswagenStiftung
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Christian Jung
Telefon: 05 11/83 81 - 380
E-Mail: jung@volkswagenstiftung.de

Kontakt Förderinitiative der VolkswagenStiftung
Dr. Wolfgang Levermann
Telefon: 05 11/83 81 - 212
E-Mail: levermann@volkswagenstiftung.de

Kontakt Autorin
Dr. Karin Hartewig
Karolinenweg 4
37075 Göttingen
Telefon: 05 51/3 79 27 84
E-Mail: KHartewig@aol.com

Kontakt Universität Erfurt
Max-Planck-Institut für Geschichte
Arbeitsstelle Historische Anthropologie
Professor Dr. Alf Lüdtke
Telefon: 03 61/7 37 - 4461
E-Mail: alf.luedtke@uni-erfurt.de

Kontakt Verlag
Christoph Links Verlag Schönhauser Allee 36
10435 Berlin
Telefon: 0 30/44 02 02 32 - 0
E-Mail: mail@linksverlag.de


More information:

http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse04/14102004.pdf
http://www.volkswagenstiftung.de/presse-news/presse04/14102004.htm


Images

Addendum from 10/14/2004

Bitte beachten Sie, dass in der heutigen Pressemeldung der VolkswagenStiftung "Das Auge der Partei" eine falsche Telefonnummer des Verlags angegeben wurde. Die korrekte Telefonnummer des Christoph Links Verlags lautet: 030/440232-0.


Criteria of this press release:
History / archaeology, Language / literature, Law, Media and communication sciences, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German


 

Help

Search / advanced search of the idw archives
Combination of search terms

You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

Brackets

You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

Phrases

Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

Selection criteria

You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).