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01/29/1999 14:03

Staatsziel Tierschutz: Auswirkungen auf die Forschung - Stellungnahme der DFG

Dr. Pia Teufel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG)

    Jüngste Gesetzentwürfe der Fraktionen der Regierungskoalition, der FDP sowie der PDS sehen vor, den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Gleichzeitig ist es in letzter Zeit wiederholt zu Diffamierungen von und Angriffen gegen tierexperimentell forschende Wissenschaftler gekommen, besonders augenfällig bei der Verleihung des Hessischen Kulturpreises Ende November '98 an Professor Wolf Singer, Frankfurt.

    Vor diesem Hintergrund hat der Senat der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestern einstimmig die in der Anlage beigefügte Stellungnahme zum "Tierschutz als Staatsziel" verabschiedet. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Professor Hubert Markl, hat mit gleichem Datum ein Schreiben zum Thema "Verankerung des Tierschutzes in der Verfassung" an die Fraktionsvorsitzenden der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien gerichtet.

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    Staatsziel Tierschutz: Auswirkungen auf die Forschung
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    Stellungnahme des Senats der Deutschen Forschungsgemeinschaft vom 28.1.1999

    Parlamentarische Initiativen beabsichtigen die Aufnahme eines Staatsziels "Tierschutz" in das Grundgesetz. Ziel dieser Initiativen sind primär Tiertransporte und Mißstände bei der Massentierhaltung. Die DFG unterstützt nachdrücklich alle Bemühungen zur Gewährleistung eines hohen Tierschutzniveaus und geeignete Maßnahmen, Mißstände zu beseitigen. Tierversuchsgegner haben aber angekündigt, auf der Grundlage einer grundgesetzlichen Verankerung des Tierschutzes ein Verbot von Tierversuchen auch für die Forschung erreichen zu wollen und gerichtlich gegen das Grundrecht der Forschungsfreiheit in Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetzes durchzusetzen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft sieht sich daher veranlaßt, gegen das Vorhaben einer Aufnahme des Staatsziels "Tierschutz" in das Grundgesetz einzutreten. Sie wird dabei von folgenden Gründen geleitet:

    * Die abstrakte Formulierung eines Staatsziels "Tierschutz" führt nicht konkret zu einem Mehr an Tierschutz und zu einem Weniger an Tierversuchen. Deutschland verfügt über eines der strengsten Tierschutzgesetze. Tierversuche in der Forschung werden nur nach strengen Genehmigungsverfahren zugelassen und auch nur dann, wenn ethisch gerechtfertigte Forschungszwecke auf andere Weise nicht erreichbar sind. Der Einsatz von Alternativmethoden hat bereits zu einer deutlichen Reduktion von Tierversuchen geführt, ist aber nicht immer möglich. Die DFG unterstützt alle Bemühungen um eine weitere Reduktion der Zahl von Tierversuchen und steht voll hinter dem geltenden Tierschutzgesetz. Sie weist vor allem darauf hin, daß die Verwirklichung der Ziele des Tierschutzgesetzes im eigenen Interesse der Forschung liegt: Es ist für Versuche an Tieren, wie sie heute in der biomedizinischen Forschung durchgeführt werden, entscheidend, daß diese nicht unter Streß, Angst oder Schmerzen erfolgen dürfen, wenn sie aussagekräftig sein sollen.

    * Das Grundgesetz sollte nicht für Zwecke instrumentalisiert werden, die nicht in der Sache weiterführen, sondern emotional geführte Auseinandersetzungen fortsetzen. Wie emotional diese bereits heute geführt werden, zeigen die massiven Bedrohungen namhafter, tierexperimentell forschender Wissenschaftler durch Tierversuchsgegner, bis in die neueste Zeit. Der Gesetzgeber hat nicht zuletzt eine verfassungsrechtlich verankerte Verantwortung für die Wissenschaft und damit auch für die tierexperimentell forschenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

    * Wissenschaftliche Forschung mit und an Tieren, die mangels alternativer Methoden auf Tierversuche angewiesen ist und die im Rahmen geltenden Rechts nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt wird, ist ethisch nicht nur vertretbar, sondern sogar ethisch und verfassungsrechtlich geboten, wenn sie mit dem Ziel durchgeführt wird, menschliches Leiden zu vermeiden. Die großen Fortschritte im Kampf gegen Krankheit und Leiden bei Mensch und Tier wären ohne tierexperimentelle Forschung nicht möglich gewesen. Es ist daher nicht überraschend, wenn Umfragen - auch aus neuester Zeit - bestätigen, daß die Mehrheit der befragten Bürger Tierversuche akzeptieren, sofern sie zum Wohle der Menschen durchgeführt werden.

    * Auch durch die Aufnahme in der Form eines Staatsziels in das Grundgesetz würde dem Tierschutz kein dem Grundrecht der Menschenwürde vergleichbarer Rang zukommen. Da die Rangfolge zwischen Grundrecht und Staatsziel im Einzelfall festgestellt werden muß, stünde allerdings für die tierexperimentell forschende Wissenschaft, wie von ihren Gegnern angekündigt, eine Flut von Prozessen ins Haus. Selbst wenn diese am Ende zugunsten der Wissenschaft ausgehen, würde zwischenzeitlich eine erhebliche Rechtsunsicherheit mit mehrjährigen Verzögerungen bei laufenden und geplanten Forschungsprojekten entstehen. Zusammen mit den erwähnten Aktionen von Tierversuchsgegnern würde dadurch ein insgesamt forschungsfeindlicheres Klima begünstigt, das letzten Endes zu einer Aufgabe der betroffenen Forschungsarbeiten oder ihrer Verlagerung ins Ausland führen könnte: Wegen der im Ausland niedrigeren Tierschutzstandards würden sie dort allerdings unter für die Tiere erheblich schlechteren Bedingungen durchgeführt.

    Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist zusammenfassend der Überzeugung, daß eine Staatszielbestimmung "Tierschutz" in Anbetracht der bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht nur überflüssig ist, sondern kontraproduktiv sein kann, weil sie keine problemlösende Wirkung entfaltet. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft appelliert an den Gesetzgeber, von diesem Plan Abstand zu nehmen und bei einer Lösung zu bleiben, die die verfassungsrechtliche Sicherung der Freiheit von Forschung und Lehre weder in der Sache noch im Verfahren in Frage stellt.


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    Criteria of this press release:
    Biology, Information technology, Law, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Politics, Social studies, interdisciplinary
    transregional, national
    Research projects, Science policy
    German


     

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