Jena. (15.02.99) Zahlenmäßig spielen ehemalige DDR-Funktionäre in den ostdeutschen Kommunalparlamenten offenbar keine Rolle mehr. In einer Stichprobenerhebung untersuchten der Jenaer Politologe Prof. Dr. Karl Schmitt und sein Mitarbeiter Jürgen Maier acht ostthüringische Städte und fanden, daß nur noch 16 Prozent der Ratsmitglieder schon zu DDR-Zeiten hohe Ämter in Politik oder Verwaltung bekleideten. Allerdings nehmen gerade diese Alt-Eliten heute häufig Schlüsselpositionen im demokratischen System ein. Besonders in kleinen Städten und Gemeinden scheinen sich alte Personalstrukturen relativ gut erhalten zu haben.
"Man darf nicht verkennen, daß diese Ergebnisse zunächst nur auf einer kleinen Stichprobe basieren", schränkt Schmitt ein. "Sie geben uns aber erste Hinweise für weitere wissenschaftliche Fragestellungen." Sein Pilotprojekt mit Gera, Eisenach, Saalfeld, Rudolstadt, Apolda, Eisenberg, Hermsdorf und Kahla wurde zwei Jahre lang vom Thüringer Wissenschaftsministerium gefördert; eine repräsentative Erhebung der thüringischen und sächsischen Kommunalparlamente befindet sich in Vorbereitung.
Die Politologen der Jenaer Universität sind selbst gespannt, wie sich in den zehn Jahren seit dem Systemwechsel die Verhältnisse auf der untersten politischen Ebene verändert haben. "Nach der Wende gab es zunächst eine Gemengelage", erläutert Karl Schmitt. Während Landesregierungen und -verwaltungen in Ostdeutschland ganz neu aufgebaut und auch die Kreise neu zugeschnitten und personell besetzt wurden, blieben die Städte und Gemeinden in ihrem Bestand im wesentlichen erhalten.
Lediglich das rechtlichen Rahmenbedingungen änderten sich 1994 in den rund 1.000 Thüringer Gemeinden mit der Übernahme der "Süddeutschen Ratsverfassung", die einen direkt gewählten Bürgermeister als Verwaltungschef und oberstem politischen Repräsentanten in Personalunion vorsieht. Inwieweit eine kommunale Gebietsreform die Personalstrukturen der Stadtparlamente verändern kann, soll am Beispiel Sachsens untersucht werden. Denn die Größe der Gebietskörperschaft hat offensichtlich erhebliche Auswirkungen auf das Selbstverständnis und die Funktionsweisen ihrer politischen Organe und Institutionen.
So stellte Prof. Schmitt fest, daß die Parteien das politische Bild einer Stadt um so stärker prägen, je mehr Einwohner diese hat: Während in der Großstadt Gera (118.000 Einwohner) keiner der Stadträte parteilos ist, besitzen in den untersuchten Mittelstädten nur 89 Prozent, in Kleinstädten sogar nur 60 Prozent ein Parteibuch. Die strukturierende und disziplinierende Kraft der Parteien scheint sich auch auf den Austausch der DDR-Altpersonals ausgewirkt zu haben: In Gera zählen nur sechs Prozent der Stadträte in diese Kategorie, in den Mittelstädten hingegen sind es noch 14 und in den Kleinstädten 28 Prozent.
"16 Prozent im Durchschnitt, das ist nicht gerade eine gigantisch hohe Zahl", kommentiert der Jenaer Politikwissenschaftler, "die demokratische Legitimität des neuen politischen Systems stellt dies in keiner Weise in Frage." Zudem dürfe man die 16 Prozent Altpersonal nicht kategorisch als "Rote Socken"-Anteil denunzieren. Schmitt: "Viele der befragten Personen arbeiteten vor '89 in hohen Verwaltungspositionen und zeichneten sich durch Sachkenntnis ebenso wie Politikferne aus."
Bemerkenswert bleibt aber der erhebliche Stadt-Land-Unterschied. Die Wissenschaftler gehen davon aus, daß in Kleinstädten die politische Repräsentanz viel unmittelbarer funktioniert. "Gewählt werden dort eher Kandidaten, die man persönlich kennt, unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit und politischen Vergangenheit", macht der Karl Schmitt deutlich, zudem seien in Großstädten politische Mandate mit wesentlich mehr persönlichem Renommee verbunden. Dort führe nur der Weg über die Parteien ins Rathaus, der Zeitaufwand sei erheblich größer, das Engagement praktisch semiprofessionell. Daher erscheint es nachvollziehbar, daß der Anteil von Beschäftigten aus dem Öffentlichen Dienst in Großstadtparlamenten mit 33 Prozent doppelt so hoch ist wie in den untersuchten Kleinstädten.
Einheitlich hoch ist hingegen die Akademikerquote. Rund die Hälfte der kommunalen Mandatsträger verfügt über einen Hochschulabschluß, etwa ein weiteres Viertel besuchte zumindest eine Fachschule. Viele von ihnen sind Ärzte, Tierärzte oder Ingenieure. Die Dominanz der Na-turwissenschaftler erkläre sich aus der recht weitgehenden "ideologischen Indienstnahme" der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Karl Schmitt
Institut für Politikwissenschaft der Universität Jena
Tel.: 03641/945420 oder 945400, Fax: 945402
e-mail: s7scka@rz.uni-jena.de
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Criteria of this press release:
Law, Politics, Social studies
transregional, national
Research projects
German
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