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02/23/1999 17:14

Der Fettsucht auf der Spur

Heidi Neyses Kommunikation & Marketing
Universität Trier

    Jeder zweite Bundesbürger wiegt zuviel. Jeder fünfte liegt sogar mehr als 20 Prozent über seinem Normalgewicht; Mediziner sprechen von krankhafter Fettsucht oder Adipositas. Fettsucht ist die Ursache für zahlreiche Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs.Petra Platte forscht nach genetischen Ursachen der Fettleibigkeit. Drei Jahre verbrachte sie bei den Amish People.

    Jeder zweite Bundesbürger wiegt zuviel. Jeder fünfte liegt sogar mehr als 20 Prozent über seinem Normalgewicht; Mediziner sprechen von krankhafter Fettsucht oder Adipositas. Fettsucht ist die Ursache für zahlreiche Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes oder Krebs. Unklar ist bislang, welche Faktoren Übergewicht begünstigen. Sind es genetische Defekte, die die rasche Verbrennung von Nährstoffen hemmen, oder leidet lediglich der an Fettsucht, der zuviel und zu fettig isst und sich zudem zuwenig bewegt? Die Gene allein sind es jedenfalls nicht, hat die Trierer Wissenschaftlerin Petra Platte nun in einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützten Studie herausgefunden.

    Petra Platte beobachtete, dass eine genetische Veranlagung für das Auftreten von Adipositas zwar eine wesentliche Rolle spielt. Ebenso bedeutend seien aber Umweltfaktoren wie Ernährungsgewohnheiten und der Umfang und die Häufigkeit körperlicher Aktivität. Forscher haben bereits nachgewiesen, dass einzelne Veränderungen am Genom von Mäusen Fettsucht verursachen können. Diese Entdeckung legte nahe, dass solche Mutationen möglicherweise auch beim Menschen für die Krankheit verantwortlich sind. Bislang blieb die Suche nach einem Auslöser-Gen allerdings ohne Erfolg. Mittlerweile gehen die Wissenschaftler davon aus, dass beim Menschen mehr als nur ein Gendefekt vorliegen muss, um Adipositas auszulösen. Unterschiedliche Fettverteilungsmuster ("Apfel"- vs. "Birnen"-Form) beim Menschen müssen unterschiedliche genetische Ursachen haben. Petra Platte machte sich im Rahmen ihrer Habilitationsarbeit an der Universität Trier nun auf die Suche nach geeigneten Studienobjekten und wurde schließlich an der Ostküste Amerikas fündig.

    Hier leben die Old Order Amish People, eine streng konservative Glaubensgemeinschaft, deren Vorfahren im 18. Jahrhundert aus Deutschland und der Schweiz vor allem in die US-Bundesstaaten Pennsylvania und Ohio übersiedelte. Noch heute führen die Amish einen religiös geprägten, asketischen Lebensstil und lehnen moderne Technik strikt ab. Für Petra Platte steht fest: "Die Old Order Amish People stellen die weltweit wohl homogenste Gruppe für genetische Untersuchungen die Fettsucht dar."

    Die Amish People leben nämlich seit ihrer Übersiedlung aus der Schweiz und aus Deutschland genetisch isoliert. Ehen werden nur innerhalb der Amish-Gemeinschaft geschlossen. Die Familien mit durchschnittlich sieben Kindern haben alle den gleichen sozioökonomischen Status und bestreiten ihren Lebensunterhalt durch die Landwirtschaft. Harte körperliche Arbeit prägt ihren Alltag, denn anstelle von Traktoren nutzen sie Mulis, fahren Kutsche statt Autos und lehnen elektri-schen Strom ab. Fettleibigkeit sehen die Amish als gottgegeben an, und nur kräftig gebaute Männer gelten als geeignet für die harte Feldarbeit - dünne Frauen werden für unfruchtbar gehalten. Das sonst in der westlichen Welt vorherrschende Schlankheitsideal ist den Amish fremd. Dass sie sich darum auch keinen Schlankheitskuren unterziehen, kommt den Genetikern zusätzlich zugute.

    Petra Platte schaute den Amish in die Kochtöpfe und beobachtete, dass sie einem traditionellen Speiseplan folgen, der täglich Eier, Fleisch, Nudeln, fettreiche Soßen und Kuchen umfasst. Angesichts der harten Arbeit auf dem Feld sollte diese Ernährung nicht notwendigerweise zu Fettleibigkeit führen. Dennoch werden Amish ebenso häufig fettleibig wie die körperlich im Durchschnitt wesentlich weniger aktiven Deutschen.

    Drei Jahre lang hielt sich die Trierer Wissenschaftlerin im Lancaster County in Pennsylvania auf. Gut ein Jahr dauerte es, bis sie das Vertrauen der zurückgezogen lebenden Amish gewonnen hatte. Sie erfasste den Gewichtsstatus von rund 3000 Mitgliedern von 17 Großfamilien. Die gewonnenen Daten wurden auf die Frage hin analysiert, ob sich die Fettsucht in bestimmten Familien häuft und ob dafür ein Erblichkeitsmodell aufgestellt werden kann. Zuerst wurden Ähnlichkeiten des Körpertyps innerhalb einer Familie betrachtet. Tatsächlich haben dicke Amish-People meist dicke Kinder und auch dicke Geschwister. Die Fettsucht könnte also genetische Ursachen haben. Dann wurden die gefundenen Daten mit verschiedenen genetischen Modellen, die auf der Mendelschen Vererbungslehre beruhen, und mit nicht-genetischen Modellen, die ein zufälliges Auftreten der Fettsucht bei erhöhter Nahrungszufuhr annehmen, verglichen. Die Forscherin fand, dass im Fall der untersuchten Amish People ein genetisches Modell am ehesten zutrifft. Dennoch ist das Erbgut nicht allein für das Auftreten der Adipositas verantwortlich; Überernährung und fettreiche Kost müssen noch hinzukommen. Ist dagegen keine genetische Vorprägung vorhanden, führt auch die überhöhte Nahrungsaufnahme wesentlich seltener zum Auftreten der Krankheit. Petra Platte forscht nun weiter.

    Sie konnte den geeignetsten Probanden auch Blutproben entnehmen, die sie nun für Genom-Analysen benutzt. Aus den Ergebnissen erhofft sie sich Aufschluss über die Genorte, die an der genetischen Entstehung der Fettsucht beteiligt sind. Ihre Habilitationsarbeit wird die Psychologin in Kürze zum Abschluss bringen.

    Weitere Informationen
    Dr. Petra Platte, Forschungszentrum für Psychobiologie und Psychosomatik der Universität Trier
    Telefon: (06 51) 9 46-24 07
    E-Mail: plattedr@aol.com

    UNIVERSITÄT TRIER
    PRESSEMITTEILUNG
    Herausgegeben von der Pressestelle
    Leitung: Heidi Neyses
    54286 Trier
    Telefon: 06 51/2 01-42 39
    Fax: 06 51/2 01-42 47

    38/1999 23. Februar 1999


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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