idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
12/08/2004 15:55

Marburger Psychologen legen Ergebnisse zu Menschenrechtskenntnis vor

Dr. Viola Düwert Stabsstelle Hochschulkommunikation
Philipps-Universität Marburg

    Zum Jahrestag der Menschenrechte am 10. Dezember 2004 präsentieren Psychologen der Philipps-Universität Marburg die Ergebnisse zweier repräsentativer Studien zu "Menschenrechte in Deutschland: Wissen, Einstellungen und Handlungsbereitschaft". Damit liegen erstmals zuverlässige Daten zum Stand der Menschenrechtsbildung in Deutschland vor, an denen sich die weitere Menschenrechtsbildung orientieren kann.

    Die Ergebnisse zeigen im Kern ein großes Defizit in der Menschenrechtsbildung in Deutschland, aber auch einige positive Ansatzpunkte. Die wesentlichen Ergebnisse sind: 1. Menschenrechtsdokumente und Menschenrechte sind insgesamt wenig bekannt, dies betrifft insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Wenn Menschenrechte bekannt sind, dann sind dies in erster Linie einige wenige bürgerliche und politische Rechte. 2. Die Verwirklichung der vorgegebenen Menschenrechte wird mehrheitlich als sehr wichtig bewertet;
    3. Der tatsächlich geleistete Einsatz für Menschenrechten in den letzten fünf Jahren ist z.T. nur mäßig ausgeprägt. Allerdings zeigen weitere Ergebnisse ein substanzielles Potenzial für den Einsatz für Menschenrechte. 4. Es zeigen sich einige relevante Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen.

    HINTERGRUND - VEREINTE NATIONEN UND MENSCHENRECHTE
    Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) wurde am 10. Dezember 1948 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen ohne Gegenstimmen ange-nommen. Darin haben sich die damals in den Vereinten Nationen vertretenen Länder auf einen umfassenden Katalog von unveräußerlichen Menschenrechten geeinigt. Die AEMR ist eine Erklärung und somit wenig verbindlich. Dies änderte sich mit den Menschenrechtspakten von 1966 ("Zwillingspakte": "Pakt über bürgerliche und politische Rechte" sowie "Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte"), die inhaltlich weitgehend mit der AEMR übereinstimmen und inzwischen von etwa 150 Staaten ratifiziert wurden. Die AEMR enthält 30 Artikel mit etwa 100 einzelnen Rechten (manche Artikel, z.B. Artikel 6 zur Rechtsperson, enthalten nur ein Recht; andere, z.B. Artikel 23 zur Arbeit, sind sehr komplex und enthalten mehrere Rechte). Diese thematisieren zum einen bürgerliche und politische Menschenrechte (im Folgenden meist abgekürzt als "bürgerliche Rechte" bezeichnet), wie z.B. Folterver-bot, Asylrecht, Rechtssicherheit, Meinungs- und Informationsfreiheit, und zum anderen wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte (im Folgenden meist als "wirtschaftliche Rechte" bezeichnet), wie z.B. Recht auf Arbeit, Schutz vor Arbeitslosigkeit, Anspruch auf ausreichende Lebenshaltung (einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung), Recht auf Bildung. Wiederholt wurde von den Vereinten Nationen betont, dass die wirtschaftlichen und die bürgerlichen Rechte die gleiche Bedeutung haben (sog. Unteilbarkeit). Die Menschenrechte sollen für alle Menschen in allen Ländern gelten, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Nationalität oder Ethnie (sog. Universalität). Mit der AEMR sind für die nationale und internationale Politik wichtige Ziele formuliert worden: In der Präambel werden die Menschenrechte als "das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal" bezeichnet.
    Fundiertes Wissen, positive Einstellung und Handlungsbereitschaft bezüglich Menschenrechten sind bedeutsame Bildungsziele. Schon die AEMR forderte (Art. 26): "Die Bildung muss ... auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten ... gerichtet sein". Entsprechend verabschiedete die Ständige Konferenz der Kultusminister der deutschen Länder 1980 (und nochmals 2000) eine "Empfehlung zur Förderung der Menschenrechtserziehung in der Schule". Und schließlich proklamierte die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Jahre 1995-2004 als "Deka-de der Menschenrechtserziehung".
    Empirische Untersuchungen zum Stand der Menschenrechtsbildung sind äußerst selten, repräsentative Untersuchungen fehlen weltweit. Im Folgenden berichten wir über die Ergebnisse von zwei repräsentativen Studien in Deutschland. Die erste Studie wurde im April 2002 durchgeführt (Sommer, Stellmacher & Brähler, 2003). Dabei wurden 1001 Ostdeutsche und 1050 Westdeutsche im Alter von 14 bis 92 Jahren durch geschulte Interviewer bei sich zu Hause befragt. Im Oktober 2003 führten wir eine zweite Untersuchung durch, diesmal in Kooperation mit dem Deut-schen Institut für Menschenrechte (DIMR; Stellmacher, Sommer & Brähler, in press). Befragt wurden 1.656 Westdeutsche und 361 Ostdeutsche per Telefoninterview. Beide Datenerhebungen wurden durch das Meinungsforschungsinstitut USUMA (Berlin) vorgenommen. Die hauptsächlichen Themen der beiden Untersuchungen waren:
    o das Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente
    o die Einstellung zu Menschenrechten und
    o die Handlungsbereitschaft bzgl. Menschenrechten.


    DIE WESENTLICHEN ERGEBNISSE DER REPRÄSENTATIVEN STUDIEN
    1. Zum Wissen über Menschenrechte
    1.1 Wissen über Menschenrechtsdokumente
    Die TeilnehmerInnen wurden zunächst gefragt, ob es ein Dokument gibt, das die Menschenrechte weltweit für jeden Menschen definiert. Ergebnisse:
    o 20%: Es gibt kein entsprechendes Dokument;
    o 30%: Weiß nicht;
    o 50%: Es gibt ein entsprechendes Dokument.

    Bei der Frage nach dem Namen eines solchen Dokuments gaben letztlich nur 4% der Befragten eine richtige Antwort wie "UNO-Menschenrechtskonvention" bzw. "UNO-Menschenrechtscharta". Die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" wurde so gut wie nie genannt.

    1.2. Wissen über Menschenrechte
    Die Befragten wurden gebeten, alle Menschenrechte zu nennen, die ihnen spontan einfallen. Als "genannt" zählten wir dann einen Artikel, wenn mindestens ein zentraler Inhalt oder Begriff genannt wurde. Durchschnittlich wurden die Inhalte von knapp drei der 30 Artikel der AEMR genannt. Dies waren:
    o 2,05 bürgerliche Menschenrechte;
    o 0,73 wirtschaftliche Menschenrechte;
    o insgesamt also 2,78 bürgerliche und wirtschaftliche Menschenrechte.

    17% der Befragten konnten kein einziges Menschenrecht spontan nennen. Kein einziges Menschenrecht wurde von einer Mehrheit der Befragten (>50%) und nur fünf Menschenrechte - vier davon bürgerliche - wurden von mindestens einem Viertel der Befragten genannt (vgl. Abb. 1). Viele Artikel wurden gar nicht erwähnt (Abbildung 1).

    Da die spontane Reproduktion von Wissen aufgrund von Konzentrations- oder Motivationsdefiziten schwierig sein kann, haben wir in einem zweiten Ansatz der Wissensüberprüfung eine Liste mit Rechten präsentiert: Die Befragten sollten angeben, ob es sich dabei um Menschenrechte handelt. Die Liste enthielt 10 bürgerliche und 8 wirtschaftliche Menschenrechte sowie zwei Rechte, die keine Menschenrechte sind (Distraktoren). Die Befragten sollten angeben ob, das jeweilige Recht (1) "sicher kein Menschenrecht", (2) "eher kein Menschenrecht" (3) "weiß nicht", (4) "eher ein Menschenrecht" oder (5) "sicher ein Menschenrecht" ist.

    Von den 18 präsentierten Menschenrechten wurden nur 6 Rechte von der Mehrheit (> 50%) der befragten Deutschen "sicher" als Menschenrechte identifiziert. Dies sind:
    o Recht auf Leben und Freiheit (von 79% genannt),
    o Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (71%),
    o Recht auf Schutz vor grausamer Behandlung und Folter (70%),
    o Recht auf Schutz vor Diskriminierung wegen Hautfarbe, Geschlecht oder Religion (69%),
    o Recht auf freie Meinungsäußerung (69%),
    o Recht auf Religionsfreiheit (68%) sowie
    o Recht auf Frieden (55%).

    Mit Ausnahme des Rechts auf Frieden - das bislang noch nicht den Status eines Menschenrechts hat, aber als Menschenrecht der "dritten Generation" diskutiert wird - handelt es sich bei den sicher identifizierten Menschenrechten ausschließlich um bürgerliche Menschenrechte.

    Günstiger werden die Ergebnisse, wenn neben der Antwort "sicher ein Menschen-recht" auch die Antwort "eher ein Menschenrecht" als richtig und somit als "Wissen" bewertet wird: Alle vorgegebenen bürgerlichen Rechte werden von der Mehrheit der Befragten "eher" oder "sicher" als Menschenrecht identifiziert.
    Bei den wirtschaftlichen Rechten zeigen sich größere Wissensdefizite. Lediglich das "Recht auf Nahrung, Kleidung, Wohnung und ärztliche Betreuung" wird von mehr als zwei Dritteln der Befragten sicher oder eher als Menschenrecht identifiziert. Die Mehrheit der Befragten (> 50%) kann die folgenden wirtschaftlichen Rechte nicht als Menschenrechte identifizieren:
    o das Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit,
    o das Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit und bezahlten Urlaub,
    o das Recht auf Bildung von Gewerkschaften sowie
    o das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit.

    "Schutz vor Arbeitslosigkeit" und "Recht auf Begrenzung der Arbeitszeit und bezahlten Urlaub" werden von ca. zwei Dritteln der Befragten explizit als keine Menschen-rechte bezeichnet. Somit gibt es in diesem Bereich nicht nur ein fehlendes Wissen; vielmehr sind die Befragten von ihrem falschen Wissen auch noch weitgehend überzeugt.

    1.3. Ost-West-Vergleich im Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente
    Beim Wissen über Menschenrechtsdokumente unterscheiden sich Ost- und West-deutsche nicht. Beim spontanen Wissen über Menschenrechte nennen Ostdeutsche gegenüber Westdeutschen mehr wirtschaftliche Rechte (0,97 vs. 0,5), während Westdeutsche mehr bürgerliche Rechte nennen (2,23 vs. 1,86). Die größten Ost-West-Unterschiede zeigen sich beim Recht auf Schutz vor Arbeitslosigkeit sowie beim Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit (vgl. Abb. 2).

    Abbildung 2: Menschenrechte mit besonders starken Ost-West-Unterschieden bei spontanen Nennungen (Prozentsatz der Befragten)
    Auch bei der Vorgabe von Menschenrechten identifizierten Ostdeutsche wirtschaftliche Rechte eher als Menschenrechte, während es bei bürgerlichen Rechten keinen nennenswerten Unterschied gab. Wesentlich ist also das größere Wissen der Ostdeutschen über wirtschaftliche Menschenrechte. Grund dafür mag zum einen die Sozialisation in einem real-sozialistischen Land sein (im Ost-West-Konflikt wurde von den sozialistischen Ländern - in Abhebung von den westlichen Ländern - die Bedeutung der wirtschaftlichen Rechte betont), zum anderen die immer noch ungünstigeren Lebensbedingungen in den Neuen Ländern, z.B. höhere Arbeitslosigkeit und niedrigere Löhne. Die Ost-West-Unterschiede dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass auch in der ehemaligen DDR nur ein geringes Wissen über wirtschaftliche Menschenrechte vorhanden ist.

    1.4. Fazit zum Wissen über Menschenrechtsdokumenten und Menschenrechte
    Die Studien zum Wissen über Menschenrechte zeigen einen erheblichen Mangel in der Menschenrechtserziehung. Die Namen der zentralen Dokumente der Vereinten Nationen zu Menschenrechten, insbesondere die Allgemeine Erklärung der Men-schenrechte, sind weitestgehend unbekannt. Das spontane Wissen über Menschen-rechte ist ebenfalls sehr gering. Am ehesten sind noch bürgerliche Rechte bekannt; wirtschaftliche Rechte sind weitgehend unbekannt. Auch wenn die Befragten anhand einer vorgegebenen Liste von Rechten gebeten werden, anzugeben, wie sicher die präsentierten Rechte ein Menschenrecht ist, zeigt sich ein deutliches Wissensdefizit. Viele Befragte haben bei etlichen vorgegebenen Rechten die Antwort "eher ein Menschenrecht" angekreuzt. Dies verweist auf eine gewisse Vermutung, aber nicht auf sicheres Wissen.
    Als Fazit muss daher festgehalten werden: In der deutschen Bevölkerung sind nur wenige Menschenrechte wirklich bekannt. Zudem wird eine "Halbierung" der Men-schenrechte deutlich: Wenn Menschenrechte bekannt sind, dann sind dies in erster Linie bürgerliche Rechte. Wirtschaftliche Rechte können kaum spontan genannt werden und werden erheblich seltener "sicher" als Menschenrechte identifiziert als bürgerliche Menschenrechte. Hier liegt somit ein wichtiger Ansatz für die weitere Menschenrechtsbildung, denn mangelndes Wissen über Menschenrechte ermöglicht und erleichtert ihren politischen Missbrauch. Verletzungen von Menschenrechten werden von Regierungen immer wieder instrumentalisiert, um eine bestimmte Politik durch zu setzen, bis hin zur Rechtfertigung von Kriegen. Dies ist nicht im Sinne der Menschenrechtsidee und gelingt umso leichter, je weniger die Bevölkerung über Menschenrechte und über Menschenrechtsverletzungen - auch oder gerade die im eigenen Land - informiert ist.

    2. Zur Wichtigkeit von Menschenrechten
    2.1. Zentrale Ergebnisse
    Die allgemeine Frage "Wie wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass Menschenrechte für alle Menschen in der Welt verwirklicht werden?" wurde von der großen Mehrheit (76%) als "äußerst wichtig" beantwortet. Dies verdeutlicht die hohe Wertschätzung der Menschenrechts-Idee in der Bevölkerung. Das Ergebnis wird durch die Bewertung einzelner Rechte etwas relativiert. Die meisten der vorgegebenen Rechte - 6 von 9 bürgerlichen und 5 von 8 wirtschaftlichen - werden zwar von der Mehrheit der Befragten (> 50%; 6 der Rechte sogar von > 70% der Befragten) als "äußerst wichtig" bewertet. Allerdings werden die folgenden 6 Rechte, bei denen es sich um bedeutende bürgerliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Rechte handelt, nur von einer Minderheit als äußerst wichtig eingestuft:
    o Versammlungsfreiheit,
    o Asyl,
    o Religionsfreiheit,
    o Begrenzung der Arbeitszeit und bezahlten Urlaub,
    o Teilnahme am kulturellen Leben,
    o Bildung von Gewerkschaften.

    2.2. Ost-West-Vergleich zur Wichtigkeit von Menschenrechte
    Der Ost-West-Vergleich ergibt, dass Ostdeutsche wirtschaftliche Rechte insgesamt ein wenig höher einstufen als Westdeutsche (4.4 vs. 4.3 auf einer Skala von 1= völlig unwichtig bis 5=äußerst wichtig), das Umgekehrte gilt für bürgerliche Rechte (4.3 vs. 4.4).

    2.3. Fazit zur Wichtigkeit von Menschenrechten
    Insgesamt besteht in der Bevölkerung eine hohe Wertschätzung für die Menschen-rechte und ihre Verwirklichung. Es sind hier lediglich kleinere Defizite zu erkennen, denn nicht alle Menschenrechte werden von der Mehrheit der Befragten als äußerst wichtig eingeschätzt. Das insgesamt positive Ergebnis bzgl. der Wichtigkeit von Menschenrechten stellt eine wichtige Basis für künftige Menschenrechtsarbeit dar.

    3. Zu Handlungsbereitschaft und tatsächlich geleistetem Einsatz für Men-schenrechte
    Wenn die Verwirklichung von Menschenrechten ein wichtiges Ziel ist, dann ist - neben den Aktivitäten von Regierungen und supranationalen Organisationen wie Vereinte Nationen - das Engagement der Bevölkerung ein wichtiger Bestandteil der Menschenrechtsarbeit und der Menschenrechtserziehung. In den beiden repräsenta-tiven Studien wurde daher die Einsatzbereitschaft und der tatsächlich geleistete Einsatz für Menschenrechte erfragt.

    3.1. Einsatzbereitschaft für Menschenrechte
    In einem ersten Zugang haben wir nach der (grundsätzlichen) Bereitschaft gefragt, durch (a) eine Geldspende oder durch (b) aktives Engagement in einer Menschen-rechtsorganisation sich für Menschenrechte einzusetzen. Die Antwortmöglichkeiten waren "sehr bereit", "eher bereit", "eher nicht bereit", "überhaupt nicht bereit". Bei beiden Formen des Engagements war über die Hälfte der Bevölkerung "eher nicht" oder "überhaupt nicht" bereit, sich in dieser Form für Menschenrechte einzusetzen. "Sehr bereit" für ein Engagement äußerten sich dagegen:
    o 6% bei Geld spenden für eine Menschenrechtsorganisation und
    o 7% bei aktivem Engagement in einer Menschenrechtsorganisation.

    3.2. Tatsächlich geleisteter Einsatz für Menschenrechte
    Die geäußerte Einsatzbereitschaft für Menschenrechte muss nicht bedeuten, dass Personen sich auch tatsächlich entsprechend verhalten. In unserer zweiten Untersu-chung fragten wir daher nach dem konkreten Engagement für Menschenrechte. Die Befragten sollten angeben, wie häufig sie sich in den letzten 5 Jahren für Menschenrechte mit den folgenden Aktivitäten eingesetzt haben:
    o Geldspende für eine Menschenrechtsorganisation,
    o Protest gegen die Verletzung von Menschenrechten auf einer Unterschriftenliste,
    o Teilnahme an einer Mahnwache, Demonstration oder Kundgebung gegen Verletzungen von Menschenrechten, oder
    o Aktives Engagement in einer Menschenrechtsorganisation)
    Für die ersten drei Aktivitäten standen die Antwortmöglichkeiten "häufig", "manchmal", "selten" und "gar nicht" zur Verfügung. Beim aktiven Engagement in einer Menschenrechtsorganisation sollte mit "Ja" oder "Nein" geantwortet werden.

    Wie bereits bei der Abfrage der Einsatzbereitschaft, hat die Mehrheit der Befragten sich "gar nicht" engagiert. Für den Menschenrechtseinsatz besonders relevant sind die Personen, die angaben, sich "häufig" engagiert zu haben. Dies sind (vgl. Abb. 5):
    o 7,7% bei Geldspende für eine Menschenrechtsorganisation,
    o 8,3% bei Protest gegen die Verletzung von Menschenrechten auf einer Unter-schriftenliste,
    o 1,4% bei Teilnahme an einer Mahnwache, Demonstration oder Kundgebung gegen Verletzungen von Menschenrechten. Zudem gaben
    o 4,3% an, sich in einer Menschenrechtsorganisation engagiert zu haben (d.h. knapp 96% haben dies nicht getan).
    Abbildung 5: Einsatz für Menschenrechte in Form von Geldspende, Unterschriftenliste, Mahnwache, Demonstration oder Kundgebung (Angegeben sind prozentuale Anteile der deutschen Bevölkerung)
    Wenn die Befragten sich für Menschenrechte einsetzten, dann also am ehesten durch Geldspenden oder durch Proteste mit Hilfe von Unterschriftenlisten.
    Eine genauere Analyse zeigt, dass ungefähr ein Prozent der Bevölkerung sich in einer Menschenrechtsorganisation engagiert hat und häufig oder manchmal öffent-lich gegen Menschenrechtsverletzungen protestiert hat. Dieser Teil der Bevölkerung kann als aktiver Kern im Bereich Menschenrechtsarbeit verstanden werden. Wenn aber bedacht wird, dass 1% der erwachsenen deutschen Bevölkerung ungefähr 600.000 Menschen entspricht, dann ist dies doch eine beträchtliche Anzahl. Wenn zudem alle Personen mitgezählt werden, die sich "häufig" oder "manchmal" in der einen oder anderen Art für Menschenrechte einsetzen, dann ergibt dies ein recht hohes Potenzial für das Engagement für Menschenrechte in der Bevölkerung.

    3.3. Wovon hängt der Einsatz für Menschenrechte ab?
    In einem letzten Schritt überprüften wir, wovon das Engagement abhängt. Zusam-mengefasst war der Einsatz für Menschenrechte höher, wenn die Befragten
    o ein höheres Wissen über Menschenrechte und Menschenrechtsdokumente hatten,
    o die Verwirklichung von Menschenrechten weltweit als wichtiger einschätzten,
    o ein höheres formales Bildungsniveau (d.h. Abitur) hatten.
    Das Alter hatte unterschiedliche Auswirkungen, die zu erwarten waren: Ältere spendeten eher Geld, Jüngere waren aktiver beim Protest gegen Menschenrechtsverletzungen durch Mahnwachen etc. Andere Variablen wie Geschlecht, Ost-West-Zugehörigkeit, sozio-ökonomischer Status und Erwerbstätigkeit haben kaum einen systematischen Einfluss auf den Einsatz für Menschenrechte.
    Diese Ergebnisse zeigen, dass die drei von uns untersuchten Bereiche von Menschenrechten - Wissen, Einstellungen und Handlungsbereitschaft - allesamt relevant sind.

    3.4. Fazit zum Einsatz für Menschenrechte
    Die Ergebnisse zum Einsatz für Menschenrechte zeigen, dass insgesamt nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung sich regelmäßig aktiv für die Durchsetzung von Menschenrechten einsetzt. Dennoch besteht ein großes Potenzial von Personen, die bereit sind, sich für Menschenrechte einzusetzen. Dies ist ebenfalls ein positives Signal. Es ist die Aufgabe von staatlichen und Nichtregierungs-Organisationen, dieses Potenzial entsprechend zu nutzen.


    4. Menschenrechte in Deutschland - Ein Ausblick
    Mit den hier berichteten Ergebnissen aus zwei repräsentativen Studien liegen erstmals zuverlässige Daten zum Stand der Menschenrechtsbildung in Deutschland vor, an denen sich die weitere Menschenrechtsbildung orientieren kann. Insgesamt zeigen die Ergebnisse deutliche Defizite in der Menschenrechtsbildung der deutschen Bevölkerung, besonders bezogen auf den Wissensbereich. Zu ähnlichen Ergebnissen sind auch bereits andere Studien gekommen. Lohrenscheit und Rosemann (2003) haben eine umfangreiche Analyse der Menschenrechtsbildung in Deutschland durchgeführt. Befragt wurden dabei u.a. Ministerien, Polizeischulen, Bildungseinrichtungen des öffentlichen Dienstes, Lehreraus- und fortbildungsinstitutionen und Nichtregierungsorganisationen. Lohrenscheit und Rosemann (2003, S. 14) kamen zu dem Ergebnis, dass Deutschland "etwa zehn Jahre hinter den internationalen Entwicklungen zurück" liege. Insgesamt zeigt sich, dass der Menschenrechtsbildung ein verstärktes Augenmerk in Deutschland zukommen sollte (vgl. auch Mihr & Rosemann, 2004, zu Standards und Perspektiven der Menschenrechtsbildung in Deutschland). Aus den dargestellten repräsentativen Studien können aber auch einige positive Ansätze für die weitere Menschenrechtsbildung gezogen werden. Die Wichtigkeit von Menschenrechten wird insgesamt hoch eingestuft und die prinzipiell geäußerte Handlungsbereitschaft zeigt ein großes Potenzial, das für einen positiven Einsatz für Menschenrechte genutzt werden kann. Diese beiden Bereiche können als wichtige Basis für zukünftige Menschenrechtserziehung herangezogen werden.

    Positive Impulse in der Menschenrechtserziehung werden u.a. durch das Deutsche Institut für Menschenrechte gegeben. Das DIMR hat sich u.a. zur Aufgabe gemacht (vgl. http://www.institut-fuer-menschenrechte.de):
    o eine nationale Koordinierungsstelle für Menschenrechtsbildung aufzubauen
    o Lehrprogramme und Materialien für die Menschenrechtsarbeit in sensiblen Bereichen, wie z.B. Polizei, Strafvollzugsbehörden und psychiatrischen Einrichtungen zu erstellen
    o Anregungen für schulische Curricula zu erarbeiten
    o an der Qualifizierung von Fachkräften der zivilen Konfliktbearbeitung zu men-schenrechtsbezogenen Sachverhalten mitzuwirken, sowie
    o allgemeine menschenrechtsbezogene Veranstaltungen, Seminare und Symposien zu veranstalten.

    Auch in der Forschung engagiert sich das DIMR. So entstand u.a. unsere zweite repräsentative Studie in Kooperation mit dem DIMR. Aus Forschungsperspektive wäre der nächste Schritt, verstärkte Ursachenforschung im Bereich der Menschen-rechtsbildung durchzuführen. Warum wissen einige Menschen mehr als andere? Wie kann ein Missbrauch von Menschenrechten verhindert werden? Was sind Faktoren, die den Einsatz für Menschenrechte fördert? Bisherige Forschungen haben z.B. gezeigt, dass autoritäre und dominanzorientierte Einstellungen für eine positive Menschenrechtserziehung hinderlich sind (vgl. Stellmacher, Sommer & Imbeck, 2003). Ein weiterer wichtiger Fragenkomplex wäre: Was wissen Menschen über Menschenrechtsverletzungen (im eigenen Land und in anderen Ländern), wie werden sie bewertet und was wird dagegen unternommen? Internationale Forschun-gen zeigen u.a., dass Menschenrechten zwar eine große Bedeutung zugemessen wird, Menschenrechtsverletzungen aber weiter toleriert werden (vgl. Staerklé & Clémence, 2004). Systematische Forschungen in diesem Bereich fehlen aber bislang. Solche Forschungen können wichtige Impulse für die Menschenrechtsbil-dung geben. Aus den bisherigen Befunden sollte nach unserer Ansicht zu einer positiven Menschenrechtsbildung inhaltlich u.a. folgendes gehören:
    o die Vermittlung eines breiten Wissens über Menschenrechte und den Mecha-nismen ihrer Durchsetzung;
    o die Förderung der Einsatzbereitschaft für Menschenrechte;
    o die Ermutigung, Verletzungen von Menschenrechten im In- und Ausland offen zu legen und sich diesen zu widersetzen.

    Zur Verdeutlichung der großen Bedeutung der Menschenrechtsbildung sei abschließend die Begründung der Generalversammlung der Vereinten Nationen für die "Dekade der Menschenrechtserziehung" zitiert:
    "... dass jede Frau, jeder Mann und jedes Kind in Kenntnis aller ihrer Menschenrechte - bürgerlicher, kultureller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Art - gesetzt werden müssen, um ihr volles menschliches Potential entwickeln zu können...".

    Literatur
    Lohrenscheit, C. & Rosemann, N. (2003). Perspektiven entwickeln - Menschenrechtsbildung in Deutschland. http://www.institut-fuer-menschenrechte.de (Stand: November, 2004)
    Mihr, A. & Rosemann, N. (2004). Bildungsziel: Menschenrechte. Standards und Perspektiven für Deutschland. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag.
    Sommer, G., Stellmacher, J. & Brähler, E. (2002). Einstellung der Deutschen zu Menschenrechten: Ergebnisse einer repräsentativen Befragung. Dokumentation zur Pressekonferenz in Frankfurt am 9.12.2002.
    Sommer, G., Stellmacher, J. & Brähler, E. (2003, in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Menschenrechte). Einstellung der Deutschen zu Menschenrechten: Ergebnisse einer zweiten repräsentativen Befragung. Dokumentation zur Pressekonferenz in Berlin am 9.12.2003.
    Sommer, G., Stellmacher, J. & Brähler, E. (2003). Menschenrechte: Wissen, Wichtigkeit und Einsatzbereitschaft - Ergebnisse einer repräsentativen Befragung in Deutschland. Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 35, 361-382.
    Sommer, G., Stellmacher, J. & Wagner, U. (Hrsg.)(1999). Menschenrechte und Frieden. Marburg: Interdisziplinäre Arbeitsgruppe für Friedens- und Abrüstungsforschung an der Philipps-Universität Marburg.
    Staerklé, C. & Clémence, A. (2004). Why people are committed to human rights and still tolerate their violation: A contextual analysis of the principle-application gap. Institut des Sciences Sociales et Politiques, University of Lausanne, Switzerland: Unpublished manuscript.
    Stellmacher, J. Sommer, G. & Brähler, E. (in press). The cognitive representation of Human Rights: Knowledge, importance and commitment. Peace and Conflict: The Journal of Peace Psychol-ogy.
    Stellmacher, J., Sommer, G. & Imbeck, J. (2003). Psychologische Ansätze zu einer positiven Menschenrechtserziehung - Determinanten der Einsatzbereitschaft für die Einhaltung von Menschenrechten. In E. H. Witte (Hrsg.), Sozialpsychologie politischer Prozesse. Lengerich: Pabst.

    Prof. Dr. Gert Sommer und Dr. Jost Stellmacher, Fachbereich Psychologie, Philipps-Universität Marburg, Gutenbergstr. 18, 35037 Marburg, Tel. 06421-2823666 bzw. 2823622
    E-Mail: sommerg@staff.uni-marburg.de, stellmac@staff.uni-marburg.de
    sowie: Prof. Dr. Elmar Brähler, Medizinische Fakultät der Universität Leipzig, Leiter der Abt. für Med. Psychologie und Med. Soziologie, Stephanstr. 11, 04103 Leipzig, Tel.: 0341-97-18800, E-Mail: brae@medizin.uni-leipzig.de


    Images

    Prozentsatz der Nennung einzelner Rechte. Auflistung aller Rechte, die von über 10 Prozent der Befragten genannt wurden
    Prozentsatz der Nennung einzelner Rechte. Auflistung aller Rechte, die von über 10 Prozent der Befra ...

    None




    None


    Criteria of this press release:
    Law, Politics, Psychology
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Prozentsatz der Nennung einzelner Rechte. Auflistung aller Rechte, die von über 10 Prozent der Befragten genannt wurden


    For download

    x


    For download

    x

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).