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03/12/1999 19:32

Heidelberger Ärztin Dr. Müller-Schilling gelingen neue Erkenntnisse zur Wirkung der Chemotherapie

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Welche Medikamente sind bei welchen Patienten am ehesten wirksam? - Auf welchen Wegen bekämpft Chemotherapie den Krebs? - Dr. Martina Müller-Schilling aus der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Wolfgang Stremmel von der Medizinischen Klinik der Universität Heidelberg hat einen dieser Wege herausgefunden

    Chemotherapie gehört nach wie vor zu den erfolgreichsten Methoden, mit denen Krebskranken geholfen werden kann. Doch die belastende und nebenwirkungsreiche Behandlung versagt auch bei vielen Patienten. Wüßten Ärzte im voraus, welche Medikamente bei welchem Krebskranken am ehesten wirksam sind und ob sich in einem bestimmten Fall die schwere Behandlung überhaupt lohnt, könnte so manchem Patienten effektiver geholfen werden und somit viel Leid erspart bleiben.

    Um eine solche Voraussage zu treffen, müssen Mediziner aber wissen, auf welchen Wegen die Chemotherapie den Krebs bekämpft. Für viele in der Tumorbehandlung eingesetzte Medikamente war das bislang nicht bekannt. Doch nun hat die Heidelberger Ärztin Dr. Martina Müller-Schilling aus der Arbeitsgruppe um Professor Dr. Wolfgang Stremmel von der Medizinischen Klinik der Universität Heidelberg einen dieser Wege herausgefunden.

    Über Frau Dr. Müller-Schillings Erkenntnisse zur Chemotherapie berichtete Professor Dr. Peter Krammer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg am Mittwoch in seinem Vortrag "Apoptose: Leben und sterben lassen". Krammer sprach in der Heidelberger Ludolf-Krehl-Klinik auf Einladung des Sonderforschungsbereichs "Molekulare Pathogenese hepato-gastroenterologischer Erkrankungen", dessen Sprecher Professor Stremmel ist. In diesem Zusammenschluß beschäftigen sich Heidelberger Wissenschaftler mit verschiedenen Erkrankungen der Leber und des Magen-Darm-Bereichs. Die Forscher interessieren sich dabei vor allem für die molekularen Mechanismen, die an der Entstehung dieser Krankheiten beteiligt sind.

    Zu diesen Mechanismen gehört der "programmierte Zelltod" (Apoptose), den Krammer als einer der weltweit führenden Wissenschaftler auf diesem Gebiet erforscht. Dabei handelt es sich um einen Selbstmord-Mechanismus, über den beinahe jede Körperzelle aus Sicherheitsgründen verfügt. Denn wenn Zellen zu alt oder fehlerhaft sind, töten sie sich normalerweise zum Wohle des Organismus selbst.

    Bei der Chemotherapie nutzt man gerade diesen Mechanismus aus. Mit ihrer Hilfe wird den Krebszellen signalisiert, daß es für sie an der Zeit ist, ihr Todesprogramm zu starten. Auf die giftigen Medikamente, die auch andere Körperzellen angreifen und daher meist zahlreiche Nebenwirkungen haben, reagieren die Tumorzellen offenbar besonders empfindlich. Das liegt vermutlich daran, daß sie sich besonders schnell vermehren.

    Wie Professor Krammer berichtete, sorgen die in der Chemotherapie verwendeten Zytostatika ("Zellstopper") zumindest bei Tumoren der Leber dafür, daß ein molekularer Wachhund mit dem Namen "p53" in den Krebszellen stärker gebildet wird. Dieses Molekül bewacht normalerweise das Erbgut und ist dafür verantwortlich, daß sich Zellen mit fehlerhaften Genen selbst zerstören, damit sie sich nicht im Körper weiter vermehren und so Fehler in der Erbinformation im Organismus verbreiten.

    Wie p53 diese Wächterfunktion vollführt, hat Dr. Müller-Schilling nun gezeigt: P53 greift direkt in den molekularen Todesmechanismus der Zelle ein. Es bindet sich an einen Genabschnitt im Zellinnern, der dafür sorgt, daß ein wichtiges Molekül verstärkt auf der Zelloberfläche gebildet wird - das von Professor Krammer beforschte "CD95". Durch diese Antenne auf ihrer äußeren Haut wird die Zelle erst für Todessignale empfänglich. "Verschiedene Welten kommen hier zusammen", lobte Krammer Müller-Schillings Erkenntnisse. Erstmals sei eine Verbindung geknüpft worden zwischen der Chemotherapie, dem schon lange als "Wächter des Erbguts" bekannten p53 und der Zelltod-Antenne CD95.

    Trägt die Tumorzelle erst einmal genug von diesen Antennen auf ihrer Oberfläche, dann geht plötzlich alles ganz schnell: Sobald ein bestimmter Botenstoff das Todessignal gibt, formieren sich binnen einer Sekunde zahlreiche Moleküle um CD95 - wie eine Baseballmannschaft, die vor Spielbeginn die Köpfe zusammensteckt. In einem komplexen Ablauf wird das Todessignal dann von einem Eiweißmolekül an das nächste weitergereicht, erläuterte Professor Krammer. Dabei muß das Todesprogramm ebenso exakt wie endgültig sein. Denn, auch wenn der Zelltod zum Leben dazu gehört und ohne ihn ein gesunder Körper undenkbar wäre, ist mit ihm nicht zu spaßen: Kleine Fehler können hier schwerwiegende Folgen haben.

    Am Ende der durch CD95 in Gang gesetzten Signalkette hacken Eiweißstoffe in der Tumorzelle so ziemlich alles klein, was für ihren Fortbestand wichtig wäre. In einer toten Zelle ist kaum noch etwas an dem Ort, an dem es vorher war. Sogar Teile der Membran-"Haut" sind von innen nach außen gekehrt; das aus verschiedenen Strukturmolekülen bestehende Skelett der Zelle ist zertrümmert; ihre Kraftwerke (die Mitochondrien) sind lahmgelegt, weil eines der wichtigsten Moleküle für die Energiegewinnung ausgelaufen ist; ihr genetischer Code ist in kleine Stücke zerhackt; und damit auch ja nichts schiefgeht, wurden diejenigen Proteine, die eventuell noch etwas reparieren könnten, gleich mitzerstückelt.

    Doch gerade weil das Todesprogramm so komplex und gut kontrolliert ist, können sich auch viele Fehler einschleichen. Vermutlich sind es diese Fehler, die die Entstehung von Krebs überhaupt möglich machen. Denn normalerweise dürften Krebszellen kaum älter als ein paar Stunden werden. Dann müßten die Kontrollmechanismen in ihrem Innern Alarm schlagen und den Selbstmord der entarteten Zellen einleiten - ...sofern das Todesprogramm ordnungsgemäß funktioniert. Da dieses Programm nicht nur die Entstehung von Krebs verhindern müßte, sondern nach den Erkenntnissen der Heidelberger Forscher auch für den Erfolg der Chemotherapie mitverantwortlich zu sein scheint, sprechen zahlreiche Tumore nicht auf Zytostatika an - die Behandlung versagt.

    Wie Frau Dr. Müller-Schilling erläuterte, liegt dieses Versagen häufig daran, daß der "Wächter des Erbguts", p53, seine Aufgabe bei vielen Tumoren nicht richtig erfüllt. Weil er selbst verändert ist, kann er nicht auf die Medikamente reagieren und der Krebsherd entzieht sich der Chemotherapie. Ihre Erkenntnisse möchte Dr. Müller-Schilling dazu nutzen, schon vor der Behandlung eines Tumors festzustellen, ob er überhaupt auf die entsprechenden Zytostatika reagieren wird. Auch könnte ihr Wissen, daß p53 und dadurch auch CD95 bei der Therapie versagen, langfristig dazu führen, gezielt an diesen Punkten einzugreifen und die Tumorzellen schließlich für eine Chemotherapie empfänglich zu machen.

    Dr. Christina Berndt

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Wolfgang Stremmel
    Tel. 06221 568700, Fax 564116
    wolfgang_stremmel@ukl.uni-heidelberg.de

    oder:
    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Research results
    German


     

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