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03/30/1999 13:49

Vom »Lumpensammler« zur »tragenden Säule« der deutschen Forschungslandschaft

Sabine Denninghoff Kommunikation
Fraunhofer-Gesellschaft

    1949 als Hoffnungsschimmer gegründet, um nach Zerstörung und Demontage Perspektiven für einen wirtschaftlichen Neuanfang zu eröffnen, mußte die Fraunhofer-Gesellschaft viele Jahre um Anerkennung und gesicherte Finanzierung ringen. Nach einer dramatischen Zeit der Neuorientierung in den 70er Jahren setzte sie zu einem imposanten Wachstum an. Das Erfolgsmodell bewies auch in den 90er Jahren seine Vitalität.

    »Die Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft ist der permanente Versuch, den richtigen Kurs einzuschlagen, letztlich ohne zu wissen, was der richtige Kurs denn ist«, faßt Prof. Helmuth Trischler, gemeinsam mit Prof. Rüdiger vom Bruch Autor des Buches über die Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft, pointiert zusammen. Allein durch die Aufgabenstellung ist das Schicksal einer Organisation für angewandte Forschung sehr eng mit der wechselvollen Politik-, Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung verknüpft. Deshalb erscheint die Fraunhofer-Gesellschaft oft als Spielball sehr viel mächtigerer Akteure. Die 50jährige Geschichte ist geprägt von zahlreichen Umarmungsversuchen. Die Kunst der Fraunhofer-Gesellschaft bestand darin, sich den verändernden Umgebungsbedingungen flexibel anzupassen, ohne ihre Unabhängigkeit und ihr Profil zu verlieren.

    Ganz grob kann man die 50jährige Geschichte der Fraunhofer-Gesellschaft in drei Phasen einteilen: Die schwierige Suche nach einem Platz in der Forschungslandschaft dauert bis Mitte der 60er Jahre. Dann folgte eine Phase heftiger äußerer und innerer Zerreiß- proben während des gesamtgesellschaftlichen Umbruchs der langen 70er Jahre. Sie mündete in ein weltweit einzigartiges Modell: Konsequente Ausrichtung auf den Markt und eine erfolgsabhängige Grundfinanzierung. Auf dieser Basis setzte die Fraunhofer-Gesellschaft in den 80er Jahren einen unvergleichlichen Wachstumsprozeß in Gang. Mit der Wiedervereinigung und dem Umbau der Forschungslandschaft Ost kam noch ein gewaltiger Brocken hinzu.

    So schwungvoll die Gründung der Fraunhofer-Gesellschaft begann, so zäh verliefen die folgenden Jahre. Zunächst galt sie als »verlängerter Arm des Bayerischen Wirtschaftsministeriums« für Bergbausondierungen. Kaum war es ihr gelungen, erste Fördermittel des European Recovery Programm ERP zu ergattern, die im Rahmen des Marshall-Plans vergeben wurden, verstärkten sich die Angriffe anderer Förderorganisationen, vor allem des Stifterverbands und der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Sie wollten die Aufgaben mitübernehmen. Noch lange Zeit galt angewandte Forschung nicht als »richtige« Forschung. Bezeichnend ist, daß auch der erste Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, Walther Gerlach, angewandte Forschung für »keine wirkliche Wissenschaft« hielt und schließlich als Vizepräsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Interessenskonflikt geriet. Nicht nur damals, auch später stand die Fraunhofer-Gesellschaft mehrfach vor der Auflösung. Als sie schließlich in den 50er Jahren begann, Forschergruppen nicht nur zu fördern, sondern in eigene Institute zu übernehmen, wurde sie als »Lumpensammler« tituliert. Doch wenn es ums Überleben geht, kann man nicht wählerisch sein. Und dieser Weg erwies sich als richtig, auch wenn er weniger aus strategischen Überlegungen, denn aus der Not geboren war. Dennoch blieben Existenzangst und Finanzkrise ständige Begleiter.

    Ein Ausweg aus der permanenten Finanznot bot sich erst Ende der 50er Jahre, als das neugegründete Verteidigungsministerium die Fraunhofer-Gesellschaft entdeckte und verteidigungsbezogene Institute rasch und vehement ausbaute. Die sprudelnden Geldquellen sicherten momentan zwar das finanzielle und institutionelle Überleben, fügten aber dem notorisch schlechten Ruf auch noch den Makel der »Rüstungsforschung« hinzu. In der Ära des Präsidenten Hermann von Siemens 1954 - 1964 entwickelte die Fraunhofer-Gesellschaft zwar langsam Profil, dennoch führte sie in der sich neu formierenden Forschungslandschaft der Bundesrepublik ein Schattendasein. Wenig beachtet hatte sie zum 20sten Geburtstag immerhin 19 Institute und Einrichtungen eingesammelt und so den Wechsel von der reinen Förderorganisation zur Vertragsforschungseinrichtung eingeläutet.

    Erst mit dem neugegründeten Ministerium für wissenschaftliche Forschung geriet die angewandte Forschung erneut ins Blickfeld staatlichen Handelns - und wieder nahm die Politik das Heft in die Hand. Ein Wissenschaftsrat wurde gegründet, um die Forschungslandschaft neu zu ordnen. Zunächst sah es gar nicht gut aus für die Fraunhofer-Gesellschaft. Hauptkritikpunkte waren die zufällige Mischung, das mangelnde wissenschaftliche Renommee und vor allem die Rüstungslastigkeit. Dann aber rückten Wirtschaftskrisen die Bedeutung von Innovationen ins Blickfeld. Hintergrund war die vieldiskutierte »technologische Lücke« und die mit der Großen Koalition beginnende Ausrichtung der Forschung »am gesellschaftlichen Bedarf«. Doch die wachsende Bedeutung der angewandten Forschung setzte auch eine langwierige und tiefgehende Auseinandersetzung um Aufgaben und Strukturen der Fraunhofer-Gesellschaft in Gang. Das Ringen kam in eine dramatische Phase, als das Forschungsministerium zu offener Intervention schritt und eine Kommission mit umfassenden Kompetenzen einsetzte. Das beschleunigte jedoch die Neuorientierung und brachte schließlich das Fraunhofer-Modell hervor, das auf einer erfolgsabhängigen Grundfinanzierung beruht. Dazu gehörte viel Mut: Denn viele Institutsleiter empfanden es als eine Zumutung, Wissenschaft verkaufen zu müssen, und insbesondere marktferne Forschungsgebiete sahen sich einem massiven Akquisitionsdruck ausgesetzt. Am Ende der Reformära hatte sich die Fraunhofer-Gesellschaft völlig verwandelt. Der Kabinettsbeschluß am 5. Oktober 1973 besiegelte den Ausbau der Fraunhofer-Gesellschaft zu einer leistungsfähigen Trägerorganisation für angewandte Forschung.

    Neue Organisationsstrukturen und ein hauptamtlicher Vorstand beschreiben den Wechsel von der ehrenamtlichen Knappheitswirtschaft zum unternehmerischen Denken am besten. Der neue Präsident Heinz Keller (1974 - 1983) brachte nicht nur Industrieerfahrung mit, sondern auch Souveränität im Umgang mit Institutsleitern und Behörden. Das Modell der erfolgsabhängigen Grundfinanzierung verlieh der Gesellschaft Flügel, denn es erlaubte und belohnte Wachstum. In rascher Folge wurden Institute geschlossen, umgewandelt und neue gegründet, so daß aus dem bunten Gemisch eine nach Sektionen gegliederte, auf den Zukunftsmarkt ausgerichtete Organisation wurde. In wenigen Jahren war aus dem »Lumpensammler« der Hoffnungsträger der deutschen Forschungslandschaft geworden. Beschleunigt wurde die Expansion durch ein Wettrüsten im Nord-Süd-Gefälle. Die Bundesländer entdeckten die Fraunhofer-Gesellschaft als Instrument zur Steuerung des regionalen Strukturwandels und heizten das Gründungsfieber mit Sonderfinanzierungen an. Ein großes Verdienst der Fraunhofer-Gesellschaft ist die Entdeckung des Mittelstandes, denn bis dahin wurde fast ausschließlich die Großindustrie gefördert.

    Unter der folgenden 10jährigen Präsidentschaft von Max Syrbe hielt die Fraunhofer-Gesellschaft das enorme Wachstum bei, obwohl Konsolidierung und qualitatives Wachstum auf dem Programm stand. So wuchs der Fraunhofer-Verbund Mikroelektronik zu einer wichtigen Säule heran. Da die Grundfinanzierung wegen knapper Kassen den zweistelligen Zuwachsraten der Fraunhofer-Gesellschaft immer weniger folgen konnte, stieß das Fraunhofer-Modell an seine Grenze.

    Da bot die Wiedervereinigung die Chance zu einer massiven Expansion. Dem zupackenden Elan Max Syrbes ist es zu verdanken, daß die Fraunhofer-Gesellschaft sehr rasch ein Konzept zur Gründung von acht Instituten und zehn Außenstellen vorlegen konnte. Die schnelle Reaktion war nötig, um die vorhandenen Kapazitäten zu erhalten, erwies sich aber später als so tragfähig, daß alle in unbefristete Einrichtungen umgewandelt werden konnten. Nach dieser Sonderkonjunktur schienen harte Zeiten angesagt. Die Fraunhofer-Gesellschaft drohte Opfer ihres eigenen Erfolgs zu werden. Die Konkurrenz auf dem Markt für Auftragsforschung wurde größer. Forschungsminister Heinz Riesenhuber lobte zwar die Leistungsfähigkeit der Fraunhofer-Gesellschaft und empfahl sie den Großforschungseinrichtungen als Vorbild, mußte aber den Grundzuschuß letztlich bis auf magere zwei Prozent Wachstum absenken. Gleichzeitig ging die Projektförderung erheblich zurück. Nun zeigte die Abhängigkeit vom Staat ihre Nachteile. Doch der neue Präsident Hans-Jürgen Warnecke (1993 bis heute) ließ sich nicht beirren, neue Märkte zu erschließen. Wachstumspotential sah er vor allem bei den Wirtschaftserträgen. Und mit massiven Akquisitionsanstrengungen gelang es, sie in wenigen Jahren von 200 Millionen DM auf über 400 Millionen DM zu verdoppeln. Schon sind 35 Prozent des Gesamtaufwandes erreicht und das Ziel auf 40 Prozent Wirtschaftserträge gesetzt. Dies ist um so bemerkenswerter, weil ja die Ostinstitute nur schrittweise an die Wirtschaftserträge der Westinstitute herangeführt werden konnten.

    Warnecke versuchte durch konsequente Verflechtung der Institute und enge Verknüpfung mit der Wirtschaft, Synergieeffekte zu erzielen. Das reicht von großen Institutsverbünden und strategischen Allianzen, Demonstrationszentren und gemeinsamen Projektgruppen bis hin zu Virtuellen Instituten. Ebenso wird die Vernetzung mit der Industrie in Brückenköpfen vorangetrieben. Innovationszentren sollen die Lücke zur Markteinführung schließen. Parallel dazu begann die Internationalisierung der Fraunhofer-Gesellschaft. Inzwischen sind in den USA sechs Außenstellen und in Singapur, Malaysia und China Verbindungsbüros entstanden. In den 90er Jahren verändert sich die Fraunhofer-Gesellschaft zusehends von einer staatlich grundfinanzierten Einrichtung zu einem marktorientierten Forschungsunternehmen. Präsident Warnecke nennt das Ziel prägnant »von der Behörde zum kundenorientierten Unternehmen«. Gemeinsam mit Institutsleitern arbeitet der Vorstand am Leitbild Fraunhofer 2010 - getreu nach Warneckes Motto: »Man wird nur alt, wenn man jung bleibt.«
    Franz Miller


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    Criteria of this press release:
    interdisciplinary
    transregional, national
    Science policy
    German


     

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