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Jena. (10.05.99) Nach wie vor entwickeln Jugendliche in Ostdeutschland erheblich früher erste berufliche Vorstellungen als ihre Altersgenossen im Westen der Republik. Allerdings gilt diese frühzeitige "Stanzung" auch für andere Bereiche der Lebensplanung wie Partnerwahl oder Familiengründung. Das ergab eine Langzeitstudie, die der Entwicklungspsychologe Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen und sein Team an der Universität Jena auf der Basis zweier repräsentativer Erhebungen 1991 und 1996 anstellte. Insgesamt wurden 4.500 Jugendliche im Alter zwischen 13 und 19 Jahren befragt.
Während 1991 Heranwachsende im Osten bereits mit 14,3 Jahren klare Berufsziele vor Augen, wußten Westdeutsche erst mit im Durchschnittsalter von 15,5 Jahren, "was sie einmal werden wollten". Eine Vergleichsstudie 1996 ergab nur unwesentlich veränderte Werte: 15,1 in Ost und 15,9 in West. Inhaltlich hingegen haben sich die Berufswünsche inzwischen an die neuen wirtschaftlichen Gegebenheiten angeglichen - jedenfalls so, wie die Jugendlichen sie verstehen. "Wir erkennen daran, daß sich selbst bei Jugendlichen althergebrachte psychosoziale Verhaltensmuster erst allmählich, aber partiell sehr unterschiedlich abschleifen", erläutert Silbereisen die Ergebnisse. "Die Inhalte haben sich gewandelt, aber die Uhr tickt noch wie früher."
Zu DDR-Zeiten war es durchaus ein Karrierevorteil, die gesellschaftlich festgelegte, frühzeitige Berufszielbestimmung zu akzeptieren und sich zielstrebig darauf vorzubereiten. Heute hingegen ist das Spektrum beruflicher Perspektiven weitaus größer geworden; dafür wuchs allerdings das persönliche Risiko, die Folgen möglicher Fehlentscheidungen tragen zu müssen. Nicht mehr ein berechenbares Gesellschaftssystem bestimmt über individuellen Erfolg im Beruf, sondern ein freier, aber erheblichen Schwankungen unterworfener Arbeitsmarkt. Was zu DDR-Zeiten sicher ein Vorteil war, kann heute ostdeutschen Jugendlichen eher zum Nachteil gereichen, falls sie sich weniger Zeit lassen, heranreifende Neigungen und Fähigkeiten auszuprobieren und dadurch weniger flexibel auf Arbeitsmarkttendenzen reagieren können.
"Wir haben es bei der früheren Ausbildung erster Berufsvorstellungen mit der Tradierung einer ostdeutschen Teilkultur zu tun, die sich selbst unter den vollständig überworfenen Systembedingungen weitaus länger halten wird, als wir vermutet haben", resümiert Silbereisen. Sind also Ost-Jugendliche in ihren Lebensplanentwürfen überhaupt ,vorzeitig eingerastet'? - "Nein", sagt Silbereisen, "was wir festgestellt haben, gilt nur für den ehemals durch öffentliche Einflußnahme geprägten Bereich von schulischer Entwicklung und Berufswahl."
In Ostdeutschland hatten Heranwachsende traditionell weniger Zeit, jung zu sein, erläutert er, mit 18, 19 Jahren zogen sie von zu Hause aus und gründeten bald eine eigene Familie; dazu mußte man natürlich schon beruflich arriviert sein. Die Zeitschiene in diesem privaten Bereich der individuellen Entwicklung habe sich aber in Ost und West inzwischen stark angeglichen. Schon zu DDR-Zeiten sei zudem die Wahl einer beruflichen Karriere nicht derart als ein Eckpfeiler des Lebensplans empfunden worden wie im Westen. Andere Studien hätten zudem belegt, daß die kreative Entfaltung der Persönlichkeit bei Ost-Jugendlichen keineswegs eher abschließt. Silbereisen: "Früher wissen, was man werden will, bedeutet ja nicht das Ende aller Neugier."
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Tel.: 03641/945200, Fax: 945202
e-mail: sii@rz.uni-jena.de
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
e-mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Criteria of this press release:
Psychology, Social studies
transregional, national
Research results
German
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