idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Experten diskutieren auf internationaler Tagung unterschiedliche
Lebens- und Haftbedingungen im Vollzug
In den skandinavischen Ländern Schweden und Finnland scheinen die Lebensbedingungen im Vollzug erheblich besser sowie stärker konform zu den internationalen Mindest-Standards und Menschenrechtsnormen zu sein als in den Baltischen Staaten und in Polen. Dies ist ein zentrales Ergebnis einer aktuellen empirisch-vergleichenden Forschungsstudie zu den Lebens- und Haftbedingungen in den Ostseeanrainerstaaten, die im Oktober auf der internationalen Tagung "Vernetzung, Kooperation und Programmentwicklung im Strafvollzug und in der ambulanten Straffälligenhilfe in den Ländern des Ostseeraums" in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald vorgestellt wird.
Unter der Leitung von Prof. Dr. Frieder Dünkel vom Lehrstuhl für Kriminologie der Universität Greifswald wollen etwa 100 Wissenschaftler, Praktiker und Verantwortliche von Justizministerien aus den Ländern des Ostseeraums den bisher unzureichenden Erfahrungsaustausch auf internationaler Ebene vorantreiben und positive Praxisbeispiele weiterentwickeln (siehe Programm). Darüber hinaus ist die Vernetzung des stationären (Strafvollzug) und ambulanten Hilfesystems (Bewährungshilfe, freie Straffälligenhilfe) ein zentrales Thema. Zu der Konferenz wird auch der Staatssekretär des Justizministeriums von Mecklenburg-Vorpommern, Dr. Rainer Litten, erwartet. Die Tagung findet in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung statt und wird von der Europäischen Kommission unterstützt.
Aus dem Zeitraum von 2002 bis 2005 durchgeführten Projekt "Strafvollzug und Menschenrechte - Bestandsaufnahme der Lebens- und Haftbedingungen in den Ländern des Ostseeraums" ist eine der bis dahin wenigen empirisch-vergleichenden Analysen auf dem Forschungsgebiet der Kriminologie entstanden (siehe Hintergrund), die auch strukturelle Defizite aufzeigt. Neben Deutschland beteiligten sich die Baltischen Staaten Estland, Lettland, Litauen sowie Polen, Finnland und Schweden an dieser Untersuchung. Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es länderübergreifend in den untersuchten Ostseeanrainerstaaten problematische Aspekte in Bezug auf die Lebens- und Haftbedingungen gibt. Demzufolge weist jedes Gefängnissystem im Hinblick auf die Menschenrechte und deren Kontrollsysteme Besonderheiten und Mängel auf.
Nach wie vor ist der Strafvollzug mit enormen Problemen sowohl für die Inhaftierten als auch die Bediensteten verbunden. Demzufolge gaben die Gefangenen in den Befragungen im erheblichen Umfang Gesundheitsbeschwerden und Depressionen an. Allein in den alten Bundesländern, in den Baltischen Staaten und in Polen liegt der Anteil bei bis zu 60 Prozent. Sogar unter äußerlich günstigen Haftbedingungen weisen 10 bis 40 Prozent der Gefangenen diese Symptome auf. Alkohol und illegale Drogen sind bei den Gefangenen ebenfalls weit verbreitet und werden von den Gefangenen als behandlungsbedürftiges Problem angesehen. Selbst für die Bediensteten des allgemeinen Vollzugsdienstes bringt das Leben im Strafvollzug gesundheitsschädigende Aspekte mit sich. So klagen 10 bis 20 Prozent über häufige Kopf- und Rückenschmerzen sowie Schlafstörungen. In den polnischen Anstalten betraf dies sogar ein Drittel bis zur Hälfte aller Bediensteten. Der überwiegende Teil der Bediensteten fühlt sich in den Haftanstalten sicher, obwohl 50 bis 70 Prozent bereits von den Gefangenen bedroht worden sind.
Um die Gesamtsituation der Haft- und Lebensbedingungen von Gefangenen und Bediensteten zu verbessern, fordern die Teilnehmer des Projektes eine Reduzierung der Gefangenenraten. Nach wie vor ist die Lage in vielen Haftanstalten durch eine bedrückende Überbelegung geprägt, die eine Reihe von Konflikten nach sich zieht. Lediglich Schweden, teilweise auch Finnland und Deutschland erfüllen mit nur einem Gefangenen pro Haftraum den international geforderten Standard. Darüber hinaus bedarf es regelmäßiger Inspektionen durch unabhängige Instanzen wie das Europäische Antifolter Komitee sowie ein effektives System von Beschwerdemöglichkeiten zu Gerichten, zu Bürgerbeauftragten und ähnlichen Instanzen. Denn jedes Kontrollsystem weist Schwächen auf. Daher erscheint es notwendig, den individuellen Rechtsschutz und generelle Kontrollformen sinnvoll und notwendig miteinander zu kombinieren. Insgesamt sollen dadurch die Lebensbedingungen der Gefangenen verbessert und an geltende internationale Standards angepasst werden. Der internationale Vergleich verdeutlicht, so die Verfasser der Studie, dass die Gefangenenraten und die Humanisierung des Strafvollzugs auch vom politischen Gestaltungswillen abhängig sind. Infolgedessen sollten die Ostseeanrainerstaaten im Rahmen kriminalpolitischer Initiativen noch stärker miteinander kooperieren und von Best-Practice-Beispielen profitieren. Die im Oktober stattfindende Tagung möchte dazu einen Beitrag leisten.
Hintergrund
Die Untersuchungsbasis der wissenschaftlichen und vergleichenden Studie bildeten jeweils zwei Anstalten des geschlossenen Männererwachsenenstrafvollzugs der in die Analyse einbezogenen Ostseeanrainerstaaten, wobei ein multi-methodologisches Vorgehen zur Anwendung kam. Anhand einer Zufallsstichprobe wurden etwa 30 bis 50 Gefangene zu den wahrgenommenen Lebens- und Haftbedingungen und cirka 30 Bedienstete des Vollzugsdienstes zu ihren Arbeitsbedingungen und zu ihrer beruflichen Rolle schriftlich befragt. Die auf der Basis der Europäischen Strafvollzugsgrundsätze entwickelten Fragebögen gewährleisteten eine Auswertung anhand der international geltenden menschenrechtlichen Standards. Neben der Erfassung der strukturellen Rahmenbedingungen des Strafvollzugs wurden die untersuchten Anstalten darüber hinaus im Rahmen eines qualitativen Ansatzes beobachtet. Finanziert wurde das Forschungsprojekt mit Mitteln des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Mecklenburg-Vorpommern.
PROGRAMM
"Vernetzung, Kooperation und Programmentwicklung im Strafvollzug
und in der ambulanten Straffälligenhilfe in den Ländern des Ostseeraums"
vom 20. - 23. Oktober 2005
Internationale Tagung des Lehrstuhls für Kriminologie der Universität Greifswald
in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung, Regionalbüro Mecklenburg-Vorpommern
Tagungsort
Berufsbildung in Greifswald BIG, Feldstraße 85, 17489 Greifswald
Donnerstag, 20. Oktober 2005
19.00 Uhr Abendessen und Begrüßung der Teilnehmer
Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald
Freitag, 21. Oktober 2005
09.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald
09.15 Uhr Grußwort
Dr. Rainer Litten, Staatssekretär im Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern
9.30 Uhr Strafvollzug im europäischen Vergleich - Probleme und Entwicklungstendenzen, dargestellt anhand der international vergleichenden Studie über "Strafvollzug und Menschenrechte" der Universität Greifswald
Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald
11.00 Uhr Strafvollzug, Bewährungshilfe und Straffälligenhilfe: Einführung in die rechtlichen Grundlagen und aktuelle Entwicklungen in der Praxis - Berichte aus den beteiligten Ländern (je 15 Min.): Deutschland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Russland
12.30 Uhr Diskussion
14.30 Uhr Neue Anforderungen an die Reformen der Sozialen Dienste der Justiz (Bewährungshilfe, Gerichtshilfe, Sozialarbeit im Vollzug) - Überblick und Entwicklungen in Mecklenburg-Vorpommern
Rudolf Grosser, Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern
15.30 Uhr Zusammenarbeit der freien und staatlichen Straffälligenhilfe mit dem Strafvollzug bei der Entlassungsvorbereitung - Berichte aus den beteiligten Ländern (je 15 Minuten): Deutschland, Estland, Lettland
16.15 Uhr Diskussion
17.00 Uhr Fortsetzung der Landesberichte zur Zusammenarbeit von Straffälligenhilfe und Strafvollzug
(je 15 Min.): Litauen, Polen, Russland
17.45 Uhr Aussprache zu den Referaten
Ab 20.30 Uhr Get Together
Sonnabend, 22. Oktober 2005
09.00 Uhr Das Gefängnis als lernende Institution -Praxisreformen in Kooperation mit der Freien Straffälligenhilfe sowie der Gerichts- und Bewährungshilfe
MR a.D. Prof. Dr. Bernd Maelicke, Kiel
09.45 Uhr Darstellung von Praxisprojekten der Zusammenarbeit von Strafanstalten mit Trägern der Entlassenenhilfe in Litauen und Polen
10.45 Uhr Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen durch gemeinnützige Arbeit: Das Projekt "Ausweg" in Mecklenburg Vorpommern
Dr. Jens Scheel, Universität Greifswald; Lothar Strubel, Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern
11.45 Uhr Podiumsdiskussion und weiterführende Aussprache
Staatssekretär Christoph Flügge, Justizministerium Berlin; Ministerialdirigent Jörg Jesse, Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern, Teilnehmer aus Estland, Deutschland, Litauen, Lettland, Polen und Russland
12.45 Uhr Erarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen
13.15 Uhr Schlussbemerkungen
Prof. Dr. Frieder Dünkel, Universität Greifswald
14.30 Uhr Exkursion zur JVA Stralsund
Ab 21.00 Uhr Get Together
Ansprechpartner an der Universität Greifswald
Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät
Lehrstuhl für Kriminologie
Professor Dr. jur. Frieder Dünkel
Domstraße 20, 17489 Greifswald
T +49 (0)3834/86 21 38
F +49 (0)3834/86 21 55
E duenkel@uni-greifswald.de
http://www.uni-greifswald.de/~ls3
Prof. Dr. Frieder Dünkel lehrt Kriminologie an der Universität Greifswald.
None
Ein Bild von den Haftbedingungen in Deutschland wollen sich die Teilnehmer der Tagung bei einem Besu ...
None
Criteria of this press release:
Law, Politics, Psychology, Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences, Transfer of Science or Research
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).