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Toxikologie
Die Umweltbelastung durch Dioxine ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Dennoch verschwindet der krebserregende Stoff nicht ganz aus dem Bewußtsein, weil immer wieder Meldungen über dioxinbelastete Lebensmittel in die Medien gelangen. Den komplizierten Wirkmechanismen des Dioxins im Körper ist eine Forschergruppe aus Tübinger Toxikologen, Biochemikern und Chemikern nähergekommen.
Wie Dioxin im Körper wirkt
In der Tübinger Toxikologie wurde die krebserregende Wirkung untersucht
Dioxine sind eigentlich immer unerwünschte Nebenprodukte. Sie entstehen, wenn bei Verbrennungsvorgängen die sogenannten Halogene, wie zum Beispiel Chlor, dabei sind, etwa bei der Müllverbrennung. Da früher auch vielfach chlorhaltige Pflanzenschutzmittel hergestellt wurden, konnte es 1976 zu dem schweren Dioxin-Unfall in einer Pflanzenschutzmittel-Fabrik im italienischen Seveso kommen. Zahlreiche Menschen erlitten damals zum Teil schwere Vergiftungen. Wie Dioxin im Körper wirkt, hat die Forschergruppe "Biochemische Toxikologie" unter der Leitung von Prof. Karl Walter Bock an der Universität Tübingen untersucht.
Es ist auch auf die Initiative von Toxikologen zurückzuführen, daß in zahlreichen Fabriken Rauchgasfilteranlagen installiert worden sind, die einen großen Teil des unerwünschten Dioxins zurückhalten. Dadurch ist die Belastung zwar geringer geworden, aber der gefährliche Stoff ist nicht völlig aus der Umwelt verschwunden. Das liegt daran, daß Dioxin sehr stabil ist und in der Umwelt nur langsam abgebaut wird. Es reichert sich über verschiedene Nahrungsketten vor allem in fleischfressenden Tieren an, das Fleisch von Nutztieren kann über das Futter mit Dioxin verseucht werden. Wir nehmen mit der Nahrung täglich kleine Mengen Dioxin auf. Menschen, die sich überwiegend von tierischen Produkten ernähren, können damit unter Umständen sogar die von der Weltgesundheitsorganisation als unschädlich angesehene Menge überschreiten. "Akute Vergiftungserscheinungen sind allerdings nur in hohen Dosen wie damals bei dem Unfall in Seveso zu erwarten", sagt der Tübinger Toxikologe Prof. Michael Schwarz.
Dioxine können vielfältige Gesundheitsschäden auslösen wie Schädigungen von ungeborenen Kindern, Beeinträchtigungen der Fruchtbarkeit, Schäden am Nerven- und Immunsystem und an der Leber. Außerdem kann Dioxin Chlorakne hervorrufen. Die Langzeitwirkungen wie die krebsauslösende Wirkung durch Dioxine sind für die Toxikologen besonders schwer zu beurteilen. "Dabei kommt das Dioxin nie allein zur Wirkung, viele andere Substanzen können bei der Krebsentstehung beteiligt sein", erklärt der Toxikologe.
Die meisten krebserregenden Stoffe verändern das Erbgut und bewirken, daß die Zellen sich unkontrolliert vermehren. Dioxin gehört nicht zu dieser Substanzklasse. "Vielmehr wirkt es über eine Signalkette auf den Zyklus von Teilung und Absterben der Zellen ein", erklärt Schwarz. Dioxin bewirkt, daß Tumorzellen seltener absterben. Dadurch wachsen Tumore schneller oder noch gutartige Tumorvorstufen können sich in Krebs verwandeln. Zu der krebsfördernden Wirkung des Dioxins trägt außerdem bei, daß die Wachstumshemmung der Tumorzellen an Begrenzungen aufgehoben wird. Bei Tieren löst Dioxin im Experiment vor allem Leberkrebs aus, bei Menschen ist dies nicht so deutlich. Auf welchen Wegen Dioxin im Körper wirkt, haben die Tübinger Toxikologen erfolgreich erforscht. "Doch die Abschätzung, welche Risiken eine bestimmte Dioxinbelastung birgt, ist noch immer schwierig", sagt Schwarz.
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Ein unerwünschtes Nebenprodukt
Tübinger Toxikologen erforschen die Wirkung von Dioxinen
Bekannt geworden ist das Dioxin 1976 bei dem schweren Unfall in einer Pflanzenschutzmittel-Fabrik im italienischen Seveso. Damals gelangte eine größere Menge des Stoffes in die Umwelt, die Gesundheit zahlreicher Menschen wurde zum Teil schwer beeinträchtigt. Doch auch heute macht dioxinverseuchtes Fleisch immer wieder Schlagzeilen in den Medien. Woher kommt das Dioxin und wie gelangt es in das Fleisch? "Dioxine entstehen bei allen Arten von Verbrennungsvorgängen, bei denen die sogenannten Halogene, häufig Chlor, dabei sind", erklärt Prof. Michael Schwarz, Toxikologe an der Universität Tübingen, der in der Forschungsgruppe "Biochemische Toxikologie" unter der Leitung von Prof. Karl Walter Bock die Wirkungen von Dioxin auf den Körper untersucht. Dioxin fällt bei thermischen Prozessen, so zum Beispiel auch bei der Müllverbrennung, an. Früher entstand es auch bei der Herstellung von chlorhaltigen Pflanzenschutzmitteln. In der Umwelt reichert sich das Dioxin über die verschiedenen Nahrungsketten vor allem in fleischfressenden Tieren an. Das Fleisch der Nutztiere kann über das Futter mit Dioxinen belastet sein.
Die Liste der Schäden, die Dioxine auslösen können, ist lang: Sie wirken potentiell schädigend auf ungeborene Kinder, auf die Fruchtbarkeit der Menschen, sie können Krebs erzeugen und verursachen Beeinträchtigungen am Nervensystem, Immunsystem und an der Leber. Auf der Haut können sie Chlorakne hervorrufen und zeigen außerdem hormonähnliche Wirkung. "Diese Wirkungen einer akuten Vergiftung sind allerdings nur bei sehr hohen Dosen zu erwarten", erklärt Schwarz. Über die Lebensmittel nehmen auch wir jeden Tag kleinste Mengen Dioxin auf, etwa ein billionstel Gramm pro Tag und Kilo Körpergewicht. Damit bleiben die meisten Menschen zwar unter der Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, die etwa die vierfache Menge als unschädlich einstuft. Doch wer sich hauptsächlich von tierischen Produkten wie Milch, Fleisch oder Fisch ernährt, kann die empfohlene Höchstmenge unter Umständen überschreiten.
Welche Auswirkungen hat diese alltägliche Dosis Gift? "Die Bezeichnung 'Gift' geht Toxikologen nicht so leicht über die Lippen, denn ob ein Stoff giftig ist, ist immer eine Frage der Menge, die im Körper zur Wirkung kommt", sagt der Wissenschaftler. Beispielsweise sind allgemein als giftig bezeichnete Stoffe wie Blausäure in kleinen Mengen ungefährlich, dagegen kann auch ein scheinbar harmloser Stoff wie Alkohol in größeren Mengen schädlich oder gar tödlich sein. Eine akute Vergiftung wie bei den Unfallopfern in Seveso sei selbst beim Genuß von stark dioxinbelastetem Fleisch in der Regel nicht zu befürchten. Bei den Dioxinen handelt es sich eigentlich um eine Substanzklasse mit über 200 in der Struktur ähnlichen Verbindungen. Das Seveso-Dioxin ist hochwirksam, andere Dioxine erreichen die gleiche Giftwirkung erst bei größeren Mengen. Schwieriger zu beurteilen sind dagegen die Langzeitwirkungen der Dioxinbelastung, wie zum Beispiel der Einfluß auf die Entstehung von Krebs. Zwar gibt es deutliche Hinweise, daß Dioxin krebserregend wirkt, doch auch in den mehr als zwanzig Jahren nach dem Seveso-Unfall ist dort die Krebsrate in der Bevölkerung nicht sprunghaft angestiegen. "Die Risikoabschätzung ist auch deswegen so schwierig, weil das Dioxin nie allein zur Wirkung kommt, sondern immer gemeinsam mit anderen Krebsrisikofaktoren", sagt Schwarz.
In Experimenten mit Tieren stieg die Leberkrebsrate bei Dioxinbelastung an. "Beim Menschen zeigt sich allerdings nicht so deutlich, daß eine bestimmte Krebsart zunimmt", sagt der Toxikologe. Dioxine verändern nicht, wie die meisten anderen krebsauslösenden Stoffe, das Erbgut von Zellen. "Dioxine gehören zu einer zweiten Klasse von Stoffen mit krebserregender Wirkung, die möglicherweise genauso bedeutsam sind. Sie greifen über Signalketten in den Zyklus von Teilung und Absterben der Zellen ein", erläutert Schwarz. Dioxin bewirkt, daß Tumore schneller wachsen oder noch gutartige Tumorvorstufen zu Krebs werden, vorwiegend indem es das Absterben der Tumorzellen verhindert.
"In Zellkulturen führt die Zugabe von Dioxin außerdem dazu, daß die sogenannte Kontaktinhibition wachsender Zellen aufgehoben wird, das heißt, daß die Zellen ihr Wachstum an einer Begrenzung nicht einstellen", nennt Schwarz ein weiteres Ergebnis der Forschergruppe. Dieser Effekt kann das Tumorwachstum zusätzlich beschleunigen. Die Tübinger Forscher haben außerdem eine Anti-Östrogen-Wirkung des Dioxins gefunden. Das Wachstum mancher Tumore wird durch das Hormon Östrogen aufrechterhalten. Vermittelt wird die Hormonwirkung über bestimmte Rezeptoren, die ein Signal weitergeben, wenn sich ein passender Partner an sie bindet. "Dioxine hemmen den Rezeptor für Östrogen. Deshalb zeigen sie kurioserweise auch eine antikanzerogene Wirkung", sagt der Toxikologe. Als Medikament ließe sich Dioxin dennoch nicht einsetzen, es hätte zu viele unerwünschte Nebenwirkungen.
Auf welchen Wegen im Körper Dioxin wirkt, haben die Toxikologen an Zellkulturen erforscht. Sie haben dabei festgestellt, daß Dioxin sich besonders leicht an einen bestimmten Rezeptor im Zellplasma bindet. Dadurch wird eine Signalkette in Gang gesetzt, bei der Proteine aktiviert werden, die bei verschiedenen Arten von Streß eingeschaltet werden. Dioxin und Rezeptor werden in den Zellkern transportiert, wo diese dann auf mehrere Gene im Erbgut einwirken. Die bilden daraufhin vermehrt Enzyme, die für den Abbau von Fremdstoffen im Körper zuständig sind. "Wir wissen noch nicht, welcher Bindungspartner natürlicherweise an den Rezeptor im Zellplasma bindet. Es ist unwahrscheinlich, daß der Körper einen Rezeptor für einen Fremdstoff wie das Dioxin geschaffen hat, dafür gibt es sonst kein bekanntes Beispiel", erklärt Schwarz. Dem Wirkmechanismus des Dioxins sind die Wissenschaftler näher gekommen, doch, so Schwarz: "die Risikobeurteilung von Belastung mit Dioxin ist nach wie vor schwierig."
Dennoch gibt es in puncto Dioxin nicht nur schlechte Nachrichten. Zwar reichert sich der fettlösliche Stoff im Fettgewebe des Menschen und in der Muttermilch an und wird im Körper und in der Umwelt nur sehr langsam abgebaut. Doch Schwarz führt es unter anderem auch auf das Engagement von Toxikologen zurück, daß die Dioxinabgabe in die Umwelt durch Rauchgasfilteranlagen stark eingedämmt wurde. "Die Belastung für Menschen ist seither deutlich zurückgegangen", weiß der Toxikologe. (6416 Zeichen)
Nähere Informationen:
Prof. Karl Walter Bock
Institut für Toxikologie
Wilhelmstraße 56 (Lothar-Meyer-Bau)
72074 Tübingen
Tel. 0 70 71/2 97 22 74
Fax 0 70 71/29 22 73
Der Pressedienst im Internet: http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/pd/pd.html
Criteria of this press release:
Biology, Chemistry, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research results
German
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