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In welchem Ausmaß belastet das Mobilitätsverhalten der Bürgerinnen und Bürger das Klima? / Forscher identifizieren fünf "Mobilitäts-Typen", die auf individuellen Einstellungen und Wertorientierung basieren / Verkehrsmittelwahl wirkt sich deutlich auf Umweltbilanz aus / Die Einstellung der Menschen zur Mobilität hat größeren Einfluss auf diese Bilanz als die Wohnlage / Forschungsziel: Spezifische Dienstleistungsangebote sollen Klimabelastung verringern helfen.
Wie richte ich meinen Alltag so ein, dass Umwelt und Natur möglichst wenig beeinträchtigt werden? Antworten auf diese Frage, die sich in den letzten Jahren mehr und mehr Menschen stellen, hat eine Forschungsgruppe um Marcel Hunecke von der Ruhr-Universität Bochum erarbeitet. Sie untersuchte, in welchem Ausmaß das Mobilitätsverhalten der Menschen unser Klima belastet. Die Wege, die Menschen mit unterschiedlichen Verkehrsmitteln zurücklegen, um ihre alltäglichen Ziele zu erreichen (vom Arbeits- oder Einkaufsweg über Kurzurlaube bis hin zu Fernreisen), setzen in unterschiedlichem Ausmaß klimaschädliche Substanzen frei, vor allem das Treibhausgas Kohlendioxid.
Im Rahmen des Projekts MOBILANZ haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler individuelle Wertorientierungen und Einstellungen erfasst, die in Zusammenhang mit dem tatsächlichen Mobilitätsverhalten stehen. Auf Basis ihrer Ergebnisse wollen die Forscher in Zukunft prüfen, welche konkreten Mobilitätsdienstleistungen man bestimmten Personengruppen anbieten kann, um deren Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Diese Nachwuchsgruppe ist beispielhaft für die Verknüpfung von sozialwissenschaftlicher und ökologischer Forschung, wie sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 1999 in dem Schwerpunkt "Sozial-ökologische Forschung" (SÖF) fördert.
Für ihre Untersuchungen befragte die Arbeitsgruppe, zu der auch Wissenschaftlerinnen des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie sowie der Universität Lüneburg gehören, knapp 2000 Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 80 in drei ausgewählten Städten (Augsburg, Bielefeld, Magdeburg). In jeder Stadt wurden Personen aus drei unterschiedlichen Stadtgebieten - Zentrumsnähe, Stadtrand, Umland - befragt. Dabei gaben die Befragten Auskunft über ihre Alltags- und Urlaubsmobilität, also zum Beispiel die Zielorte aller Aktivitäten sowie die zurückgelegten Distanzen, über die dazu gewählten Verkehrsmittel sowie die Zahl der begleitenden Personen. Erfragt wurde auch der technische Stand der genutzten Pkw und motorisierten Zweiräder. Die Interviewer stellten zudem fest, wie häufig die Personen normalerweise eine bestimmte Aktivität pro Woche oder Monat ausüben. Darüber hinaus erhoben sie die Zahl aller Urlaube in den letzten 12 Monaten, der Kurzurlaube in den letzen sechs Monaten und alle Tagesausflüge der letzen drei Monate.
Die Forschergruppe ermittelte fünf unterschiedliche "Mobilitätstypen", also Menschengruppen, die sich in ihrem Mobilitätsverhalten von ähnlichen Werten, Zielen und Einstellungen leiten lassen. Zu diesen Kategorien gehören zum Beispiel die (positive oder negative) Einstellung gegenüber dem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), dem Fahrrad oder dem Auto, die "Empfindlichkeit" gegenüber schlechtem Wetter sowie auch die allgemeine Bereitschaft, für Veränderungen offen zu sein. Die fünf ermittelten Mobilitätstypen lassen sich folgendermaßen charakterisieren:
1. "ÖV-distanzierte Zwangsmobile", die starke Mobilitätserfordernisse empfinden und dem ÖPNV distanziert gegenüberstehen;
2. "Pkw-Individualisten", bewerten das Auto emotional sehr positiv, den ÖPNV dagegen eher negativ und sind in ihrer allgemeinen Grundhaltung offen gegenüber Veränderungen eingestellt.
3. "Wetterunabhängige Rad-Fans", die das Fahrrad nicht nur als Verkehrsmittel für die Freizeit sondern auch im Alltag schätzen und sich dabei häufig auch von schlechtem Wetter nicht abhalten lassen.
4. "Umweltsensibilisierte ÖV-Fans", die gut auf den ÖPNV zugreifen können und ihn - auch der Umwelt zuliebe - gerne nutzen.
5. "Selbstbestimmt Mobile", die kaum Mobilitätszwänge empfinden und die unterschiedlichen Verkehrsmittel flexibel nutzen.
Die ausführliche Befragung zum Mobilitätsverhalten im Rahmen von MOBILANZ zeigt in Übereinstimmung zu anderen Erhebungen, dass Arbeits- und Freizeitwege den größten Anteil der Wege ausmachen. Einkäufe sind ebenfalls häufig, umfassen aber meist kurze Strecken. Urlaubsreisen finden zwar vergleichsweise selten statt, verursachen aber auf Grund der großen Entfernungen starke Umwelteffekte.
Betrachtet man die Wahl der Verkehrsmittel, dann zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Mobilitätstypen. So legen die ÖV-distanzierten Zwangsmobilen fast drei Viertel ihrer Wege mit dem Pkw zurück, die Pkw-Individualisten dagegen etwa zwei Drittel. Die Wetterunabhängigen Rad-Fans nutzen für fast 40 Prozent ihrer Wege das Rad, deutlich mehr als den Pkw. Die Umweltsensibilisierten ÖV-Fans weisen im Vergleich zu den anderen Typen die höchste ÖV-Nutzung auf und zeigen zugleich eine sehr ausgewogene Verkehrsmittelwahl: Sie legen fast genauso viele Wege mit dem ÖV, dem Pkw und zu Fuß zurück, etwas seltener sind sie mit dem Rad unterwegs. Die Selbstbestimmt Mobilen legen mit 36 Prozent so viele Wege zu Fuß zurück wie kein anderer Mobilitätstyp, ihre Pkw-Nutzung ist etwas ebenso hoch, der ÖV wird häufiger genutzt als das Rad.
Die Forschergruppe ließ vom Ifeu-Institut für Energie- und Umwelt (Heidelberg) berechnen, wie klimabelastend die einzelnen mobilen Verhaltensweisen sind. Das Ergebnis zeigt deutliche Unterschiede zwischen den Mobilitätstypen: Der hohe Anteil von Wegen, die mit Kraftfahrzeugen zurückgelegt werden, führt bei den ersten beiden Typen zu einer vergleichsweise ungünstigen Umweltbilanz. Bei den "Pkw-Individua-listen" kommen noch hohe Belastungen aus dem Flugverkehr hinzu. Die günstigste Umweltbilanz weisen dagegen die Selbstbestimmt Mobilen auf; die Gruppen 3 und 4 liegen mit ihren Werten zwischen diesen Extremen.
Interessant ist die Tatsache, dass in der Umweltbilanz zwischen den Mobilitätstypen größere Unterschiede bestehen als zwischen den Personengruppen, die in unterschiedlichen Stadtlagen (Zentrumsnah, Stadtrand, Umland) wohnen: Entgegen weitläufiger Ansicht hat die Einstellung zur Mobilität demnach mehr Einfluss darauf, wie umweltverträglich Personen ihre Mobilität im Alltag organisieren, als deren Wohnsituation in den unterschiedlichen Wohnregionen innerhalb von Großstädten. Die Ergebnisse sind als repräsentativ anzusehen für jene rund 40 Prozent der deutschen Bevölkerung, die in Großstädten leben.
In der nächsten Phase des Projektes werden die Forscher untersuchen, welche Dienstleistungen man einzelnen Mobilitätstypen anbieten kann, die den Betroffenen helfen, die Umweltbilanz ihres Verhaltens zu verbessern. Zu diesem Zweck hat die Arbeitsgruppe einige ausgewählte Angebote (z.B. Car-Sharing, Fahrgemeinschaften, Mitnahme von Fahrrädern im ÖV) in die Befragungen und Untersuchungen einbezogen.
Kontakt: Dr. Marcel Hunecke, Ruhr-Universität Bochum,
Telefon: 0234-32-23030, Email: Marcel.hunecke@ruhr-uni-bochum.de
http://frog.eco.psy.ruhr-uni-bochum.de/mobilanz - Projektinformationen
http://www.souial-oekologische-forschung.org - Informationen zu SÖF
Criteria of this press release:
Biology, Economics / business administration, Environment / ecology, Oceanology / climate, Social studies, Traffic / transport
transregional, national
Research projects, Research results
German
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