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04/05/2006 10:18

"Die Geschichte, das bin ich"

Axel Burchardt Abteilung Hochschulkommunikation/Bereich Presse und Information
Friedrich-Schiller-Universität Jena

    Wissenschaftler der Universität Jena edieren Tagebücher Alexander Cartellieris

    Jena (05.04.06) Jenas Wissenschaftstradition ist reich an großen Namen. Mehr oder weniger nachhaltig sind sie bis heute im Bewusstsein der Menschen verankert. Einen fast Vergessenen, der an der Saale ein Stück "Weltgeschichte" schrieb, wollen PD Dr. Matthias Steinbach und Dr. Uwe Dathe von der Friedrich-Schiller-Universität Jena ins Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit rücken. Steinbach, Privatdozent am Historischen Institut, hat sich seit langem den Tagebüchern des Jenaer Historikers Alexander Cartellieri (1867-1955) verschrieben. Der in Odessa geborene Kosmopolit mit italienischen Vorfahren hat vom 11. Lebensjahr bis zu seinem Tod zunächst täglich, gegen Ende seines Lebens wöchentlich und dabei auch als Reflexion notiert, was ihn bewegte.

    Auf diese Weise hat Cartellieri rund 50.000 Blatt an Tagebuch-Aufzeichnungen hinterlassen. "Eine authentische Quelle von solcher Kontinuität existiert nur sehr selten", erläutert Steinbach, der sich bereits in seiner Dissertation ("Des Königs Biograph") mit dem schreibfreudigen Historiker auseinander setzte. "Schon die Kindertagebücher geben Aufschluss über einen außergewöhnlichen Bildungsgang, der prägend für Cartellieris ganzes Leben war", sagt Steinbach. Ein Weg, der nach Worten des Experten auch in die Wirtschafts- oder Kulturwissenschaft hätte führen können. "Er aber hat sich auf die politische Historie spezialisiert."

    Die Tagebücher des Historikers sind als eine kritisch kommentierte Edition in einem Band von etwa 800 bis 1.000 Seiten geplant - einschließlich Einleitung, Register und Kommentar. Das Manuskript soll Ende 2008 vorliegen. Erscheinen wird die Publikation in der Reihe "Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts", die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegeben wird. Sie hatte bereits im Kontext der Dissertation diese Edition angeboten, doch erst jetzt kann das Vorhaben realisiert werden. Möglich macht das eine Förderung durch die Fritz-Thyssen-Stiftung. Sie finanziert das Projekt unter Leitung von Steinbach für zwei Jahre mit insgesamt 120.000 Euro für einen Mitarbeiter. Die Universität selbst sattelt ein weiteres halbes Jahr drauf.

    "Wir wollen anhand der über 76 Jahre geführten Tagebücher zeigen, wie ein deutscher Geisteswissenschaftler sein Metier im Wandel der Zeit betrieben hat", macht Mitarbeiter Uwe Dathe deutlich. "Immerhin hat der international agierende, aber stark national verwurzelte Cartellieri vier Reiche und damit mehrfache Systembrüche zwischen Kaiserreich und deutscher Zweistaatlichkeit erlebt." Vor diesem Hintergrund sei das Spannungsverhältnis zwischen Autonomie und Determinierung wissenschaftlichen und politischen Handelns von enormem Interesse, ergänzt Matthias Steinbach. Zugleich würden die Tagebücher ein "helles Licht" auf die in der Gesellschaft und der Lebenswelt des Historikers verwurzelten wissenschaftlichen Fragestellungen werfen.

    "Cartellieri stammte aus christlich-liberalem Elternhaus europäischer Prägung", so Steinbach, "und in Europa war er letztlich auch zu Hause." Ein Weltbürger, der in die deutsche Provinz berufen wird, zunächst als Privatdozent nach Heidelberg, 1902 dann als Professor nach Jena. "Dort hat Cartellieri noch übergreifend Weltgeschichte mit einem besonderen Schwerpunkt auf der französischen Geschichte gelehrt. Dabei stand er bereits zwischen den Fronten einer sich spezialisierenden und modernisierenden mittelalterlichen und neueren Geschichte", umreißt Steinbach das 33-jährige Wirken des Historikers in Jena. An der dortigen Universität hat "der Franzose an der Saale", wie er sich selbst nannte, in dieser Zeit nicht weniger als 155 Dissertationen betreut. Kein Wunder, dass er von sich behauptete: "Die Geschichte, das bin ich".

    Kontakt:
    PD Dr. Matthias Steinbach
    Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität
    Fürstengraben 13, 07743 Jena
    Tel.: 03641 / 944435, Fax: 03641 / 944462
    E-Mail: matthias.steinbach@uni-jena.de


    Images

    Alexander Cartellieri 1942.
    Alexander Cartellieri 1942.
    Foto: Prange
    None


    Criteria of this press release:
    History / archaeology
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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