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Prof. Ameling analysierte die Grenzen der multireligioesen Gesellschaft: Das bittere Ende der Toleranz
Jena (4.12.97). Mit einem Schreckensszenario begann der Altertums- wis-senschaftler Prof. Dr. Walter Ameling am 2.Dezember seine Antritts- vorlesung an der Uni Jena: die Synagogen geschaendet, juedische Maenner, Frauen und Kinder zusammengetrieben, gefoltert, verbrannt, ihre Leichen zerstueckelt, ihre Haeuser gepluendert und zerstoert. Die Schilderung dieses antisemitischen Pogroms hat Ameling den Aufzeichnungen des juedisch-hellenistischen Philosophen Phidon von Alexandria entnommen, der entsetzlich plastisch die Judenverfolgung des Jahres 38 n. Chr. in seiner aegyptischen Heimatstadt berichtete. - Ausgangspunkt fuer Ameling, nach den "Grenzen der mul-ti-religioesen Gesellschaft" zu fragen.
Kaum ein historisches Phaenomen besitzt eine solche Kontinuitaet von der Antike bis zur Neuzeit wie die Judenverfolgung. Stereotype Erklaerungsmuster wie Selbstisolation oder stigmatisierender Mono- theismus reichen Ameling nicht aus; vielmehr unternahm es der Alt- historiker, die lokale Situation vor fast 2000 Jahren praezise nachzu- skizzieren. Eigentlich haetten im - durch die ptolemaeische Herrschaft - hellenistisch gepraegten Alexandria ideale Vorraussetzungen fuer eine multi-religioese Gesellschaft geherrscht: Die Stadt war sehr wohlhabend, die Bevoelkerung gebildet und aufgeschlossen, durch Handel und Wandel habe es eine tiefe ethnische Durchmischung gegeben, und mit der Synthese hellenistischer und altaegyptischer Kulturtraditionen fand auch eine synkretistische Toleranz breiten Raum. Das religioese und philosophische Beziehungsgeflecht zwischen AEgyptern, Griechen und Juden schien beispielhaft intakt. Die roemische Ordnungsmacht hielt sich weitgehend zurueck, die alten juedischen Gemeinden - als Diaspora seit dem 2. Jhdt. v. Chr. nachweisbar - wurden weder bevorzugt noch benachteiligt, konnten ungestoert ihren Kulthandlungen nachgehen und durften sogar eine eigene ethnarchische Schiedsgerichtsbarkeit betreiben.
Dennoch berichtet der juedische Geschichtsschreiber Flavius Josephus im 1. Jhdt. n. Chr. von antisemitischen Gefuehlen, die von der alttestamentlichen Episode vom Auszug der Juden aus AEgyptenland herruehrten. Antisemitische Tendenzen bestanden aber auch bei den griechischen Bevoelkerungsteilen, nachweisbar allerdings erst in der roemischen Kaiserzeit. Aber warum kam es gerade 38 n. Chr. zum of-fenen Ausbruch?
Walter Ameling diskutierte vier Erklaerungsmodelle: Er verwarf die Suendenbocktheorie, die die Juden als Sympathisanten fuer die roemi- sche Machtuebernahme sieht, ebenso wie die Deprivationstheorie, weil die Juden durch die neuen Herrscher ja nicht beguenstigt wurden. Auch fuer einen demographischen Druck gibt es keine signifikante Da- tenbasis. Als einzige Erklaerung bleibt ein religioes begruendeter Fremdenhass, der aber erst durch gesellschaftliche Umbrueche und neue soziale Differenzierungen bei Machtuebernahme der Roemer wieder stimuliert wurde. So installierten die neuen Herren z. B. ein kost- spieliges, durch die Oberschicht zu leistendes Zwangsbeamtentum. Der herrschaftstragende Kaiserkult - in der Tradition altaegyptischer und ptolemaeisch-hellenistischer Koenigskulte - zwang zudem die Juden, da sie auf ihrer monotheistischen Religion beharrten, in eine Aussenseiterrolle.
Funktionieren kann eine multi-religioese Gesellschaft also nur unter stabilen Rahmenbedingungen, schlussfolgerte Walter Ameling. Sobald die etablierte soziale Ordnung gestoert wird und die Religion vom Traeger individueller Sinnstiftung zum identitaetsbildenden Faktor der Gesellschaft mutiert, entsteht die latente Gefahr eines Pogroms - als Versuch gesellschaftlicher Krisenbewaeltigung.
Criteria of this press release:
Social studies
transregional, national
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German
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