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Wissenschaft
Neues Graduiertenkolleg beginnt am 1. Mai 1998
Zahlreich und zumeist populaerwissenschaftlich sind die Veroeffentlichungen im Bereich der Frauen- und Geschlechterforschung. Doch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist dieses Thema noch sehr jungfraeulich und wirft mehr Fragen auf als es Antworten geben kann. Diesen Mangel will ein neues Graduiertenkolleg an der Universitaet Wuerzburg beseitigen.
Das Kolleg, in dessen Rahmen zehn Doktoranden- und zwei Postdoktoranden-Stipendien vergeben werden, nimmt seine Arbeit zum 1. Mai auf. Es wird in den ersten drei Jahren von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 1,1 Millionen Mark unterstuetzt. Somit arbeiten an der Universitaet Wuerzburg sieben Graduiertenkollegs.
Ziel eines solchen Kollegs ist es, den wissenschaftlichen Nachwuchs zu foerdern. Vor allem Doktoranden sollen ihre Promotion im Rahmen eines systematisch angelegten, interdisziplinaeren Studienprogramms vorbereiten koennen. Dabei will gerade das neue Wuerzburger Kolleg "der isolierenden Tendenz der geisteswissenschaftlichen Einzelpromotion entgegenwirken", so Prof. Dr. Theodor Seidl, Inhaber des Lehrstuhls fuer Altes Testament und biblisch-orientalische Sprachen und erster Sprecher des Kollegs. Zweite Sprecherin ist Prof. Dr. Stephanie Boehm vom Institut fuer Archaeologie sowie Vor- und Fruehgeschichte. Beteiligt sind Institute der Katholisch-Theologischen Fakultaet, der Philosophischen Fakultaet I sowie die Soziologie.
Das neue Graduiertenkolleg heisst "Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz in religioesen Symbolsystemen". Hinter dieser sproeden Formulierung verbergen sich aeusserst interessante Forschungsgebiete. Unter "Geschlechterdifferenz" verstehen Wissenschaftler die Verschiedenheit der Lebenswirklichkeiten von Frauen und Maennern. Diese Differenz wird quer durch die Weltgeschichte in Wort und Bild vermittelt. Doch erst die feministische Fragestellung der Moderne sorgte dafuer, dass der Blick fuer die Wahrnehmung der Geschlechterdifferenz geschaerft wurde.
So besteht laut Prof. Seidl noch erheblicher Forschungsbedarf im Hinblick auf Deutung und Verstaendnis der Geschlechterdifferenz in symbolisch-systematischem Kontext - eine Aufgabe, der sich das Graduiertenkolleg stellen wird. Die einzelnen Fachgebiete vertreten dabei vielfach untereinander verflochtene Forschungsansaetze, die vorwiegend historisch und soziologisch orientiert sind.
Fuer das Judentum bilden nicht nur die alttestamentlichen Texte die Auslegungsgrundlage fuer die Einstellung zur Rolle der Frauen, sondern auch das juedische Recht, die Halacha. Deren Erforschung ist gerade mit Blick auf die Rollenzuweisung und den Bildungsstand der Frauen wuenschenswert - ein Gebiet, dem sich Prof. Dr. Karlheinz Mueller widmet.
Im Alten Testament (Prof. Dr. Theodor Seidl, Dr. Maria Haeusl) interessiert religionsgeschichtlich vor allem das Problemfeld des Geschlechts der Gottheit. Dies ist im Zusammenhang mit dem sich entwickelnden Monotheismus und dem Problem der Elimination und Integration von Goettinnen zu sehen. Dabei ergeben sich Verbindungen zur altorientalischen Religionsgeschichte (Prof. Dr. Gernot Wilhelm), wo unter anderem der Typus der Goettin als Ehefrau, Mutter, Heilerin oder Geburtshelferin auftaucht. Weitere gemeinsame Themen: die Rolle von Priesterinnen, weise Frauen, Rechtsnormen und familienrechtliche Urkunden.
Die AEgyptologie (Prof. Dr. Karl-Theodor Zauzich) kann die gedanklichen und realen Veraenderungen hinsichtlich der Geschlechterdifferenz ueber gut 3.000 Jahre hinweg anhand von Texten, Urkunden und archaeologischen Zeugnissen untersuchen. Aus der Klassischen Archaeologie (Prof. Dr. Stephanie Boehm, Dr. Ruth Lindner) wird besonders die ikonologische Forschung eingebracht. Im Zentrum stehen unter anderem Fragen nach weiblichem/maennlichem Gottes- oder Heroenbild sowie nach Graden der Idealisierung, Typisierung oder auch Karikierung von Maenner- und Frauenbildern.
Die Klassische Philologie (Prof. Dr. Michael Erler) steuert Quellenstudien zu lebensweltlichen Fragen bei, untersucht die Rolle von Mann und Frau in der Literatur und die maennlich/weibliche Metaphorik in Philosophie und Religion. Die Befunde aus der antiken griechischen und roemischen Welt koennen zudem mit denen aus dem antiken Judentum und fruehen Christentum verglichen werden (Prof. Dr. Karlheinz Mueller, Dr. Martin Ebner). Hier kann die neutestamentliche Exegese (Dr. Ebner) einsetzen: Sie untersucht die Rolle von Frauen in den urchristlichen Gemeinden.
Die Sprach- und Literaturwissenschaft war im urspruenglichen Konzept integriert und gehoert, nach der von der DFG empfohlenen fachlichen Konzentration auf die antiken Kulturen, nun immerhin zum Lehrprogramm des Kollegs. Fuer sie stellt sich die Frage der Geschlechterdifferenz auf der Ebene von Sprachsystem und -verwendung. Mit dieser Thematik werden sich Prof. Dr. Norbert Richard Wolf und Prof. Dr. Trude Ehlert in das Kolleg einbringen.
Die Fundamentaltheologie (Prof. Dr. Elmar Klinger) erforscht unter anderem die Stellung der Frauen im Umkreis Jesu, Frauenerfahrungen in der Kirche und den Goettinnenbegriff in den Religionen. Von der Dogmatik (Dr. Daniela Mueller) sind in diesem Problemfeld Schwerpunkte zu setzen wie zum Beispiel ein kritischer Blick auf die offizielle Position des kirchlichen Lehramtes.
Die Soziologie (Prof. Dr. Wolfgang Lipp) beschaeftigt sich besonders in ihren Teilgebieten Familiensoziologie und Frauenforschung mit der Entstehung sowie den Formen und Rahmenbedingungen geschlechterspezifischer Differenzierungen, Verhaltensweisen und Ungleichheiten. Ein Schwerpunkt ist die vergleichende Forschung zur familialen Arbeitsteilung in modernen Gesellschaften. Die Pastoraltheologie (Prof. Dr. Rolf Zerfass) schliesslich fragt nach der tatsaechlichen Verteilung der Partizipationschancen fuer Maenner und Frauen in christlichen Gemeinden, aber auch nach dem innovativen Potential kirchlicher Frauengruppen und deren gesellschaftspolitischer Ausstrahlung.
Kontakt: Prof. Dr. Theodor Seidl, Telefon (0931) 31-2270, E-Mail: ts@theologie.uni-wuerzburg.de
Criteria of this press release:
History / archaeology, Social studies
transregional, national
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German
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