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Wissenschaft
Jena (02.06.00) Ecstasy-Konsumenten haben nur scheinbar mit dem Klischee des verwahrlosten Fixers nichts gemein. Sie stammen überwiegend aus gut situierten Elternhäusern der Mittelschicht und besitzen ein relativ hohes Bildungsniveau, äußere Zeichen der Abhängigkeit oder der Verwahrlosung entdeckt man an ihnen eher selten. "Die meisten Eltern sind völlig arglos", erklärt Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen, Entwicklungspsychologe an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
"Sie haben keine Ahnung, dass ihre Sprösslinge auf Parties oder in der Disco zu den kleinen, bunten Pillen als ,Erlebnisbeschleuniger' greifen." Erste Erfahrungen, schätzt Silbereisen, finden zumeist zwischen dem 16. und 18. Lebensjahr statt, das Durchschnittsalter der Konsumenten beträgt laut Studien etwa 23 Jahre - bei Mädchen etwas niedriger als bei Jungen.
Zwar machen laut Statistik selbst in großstädtischen Einzugsgebieten nur rund drei Prozent der Jugendlichen Erfahrungen mit Ecstasy, die Tendenz jedoch ist steigend, warnt Silbereisen. "Das liegt einerseits an dem Image der Droge als sauber und harmlos", erläutert er, "andererseits wird die Schere zwischen immer früherer sexueller Reifung und immer später eintretender sozialer Unabhängigkeit größer." Damit steige bei Jugendlichen, die sich zwar schon als Erwachsene fühlen, als solche aber noch nicht von ihrem Erwachsenenumfeld akzeptiert werden, die Versuchung, das klassische Dilemma der Adoleszenz durch Drogenkonsum zu kompensieren.
Silbereisen: "Ecstasy wird zumeist in Gruppen Gleichaltriger genommen. Die Konsumsituation vermittelt also auch die Akzeptanz von Bezugspersonen, Unabhängigkeit und Stärke." Der niedrige Preis dieser Amphetamine und -Derivate und die schein-bar geringeren gesundheitlichen Folgen sorgten in den 90er Jahren zusätzlich für einen Boom der Designer-Drogen.
Die Verlaufsmuster für den Einstieg in den Ecstasy-Missbrauch ähneln durchaus denen anderer harter Drogen. Fast alle Konsumenten hatten bereits vorher Erfahrungen mit Alkohol und Haschisch oder Marihuana, häufig wird Ecstasy zusammen mit anderen Drogen eingenommen. "Es ist eine typische Droge der Teens und Twens in der geschilderten Situation der Pseudo-Maturität", erklärt Silbereisen. "Bei vielen wächst sich das im höheren Lebensalter wieder aus." Nur ein Bruchteil der Ecstasy-Freaks steigt später auf andere, noch gefährlichere psychoaktive Substanzen wie Kokain und Heroin um.
Häufig handelt es sich dabei um Menschen, die schon in der Kindheit durch Anpassungsstörungen wie Aggressivität, Frustrationsintoleranz, Impulsivität oder Hyperaktivität aufgefallen sind. "Der Jugendzeit kommt in den seltenen Fällen lebenslanger Drogenkarrieren eine Schlüsselstellung zu", so der Jenaer Psychologe.
Auch wenn sich der Ecstasy-Erstkonsum nach landläufigem Klischee hauptsächlich in der Clique auf Raver-Parties und in Techno-Discos abspielt, haben die Eltern und Familien einen erheblichen mittelbaren Einfluss darauf, ob ihre Zöglinge zu den bunten Pillen greifen oder nicht. "Nicht alle Raver nehmen Ecstasy", warnt Silbereisen vor einer üblen Verallgemeinerung, "aber auch nicht alle Jugendlichen haben das gefestigte Selbstbewusstsein, um in der Gruppe ein Konsumangebot auszuschlagen."
An dieser Stelle spielt die Sozialisation in der Familie eine nicht unwesentliche Rolle. Eltern müssten lernen, dass ihre Kinder mit und nach der Pubertät das althergebrachte Rollenspiel neu aushandeln wollen. "Wenn das subjektiv nicht hinreichend klappt, entstehen Kompensationsbedürfnisse - etwa durch Drogen - umso leichter", weiß Silbereisen.
Mit Restriktionen und Ausspionieren im Stile eines ,Familiensheriffs' werden Eltern kaum den Drogenkonsum ihrer Kinder verhindern, sondern im Zweifelsfall sogar eher befördern. Solche Strategien sind zum Scheitern verurteilt, denn Eltern können ja ihre Kinder nicht ständig in Schule und Freizeit überwachen.
Erfolg verspricht hingegen ein Familienmanagement, das auf gegenseitigem Vertrauen und Zuwendung gründet. "Erwachsene sollten ihre Kinder ernst nehmen - auch dann, wenn ihnen deren Probleme nichtig und lächerlich erscheinen", schlägt Silbereisen vor. Außerdem helfe es, Jugendliche frühzeitig und mit Augenmaß mit sozial verantwortungsvolleren Aufgaben zu betrauen - etwa in der Schule, in Vereinen und Initiativen oder auch in der Familie. "Daraus erwachsen Selbstvertrauen, Bestätigung und Akzeptanzgefühl", so Silbereisen. "Wer sich derart psychosozial gefestigt hat, schlägt Drogenangebote fast immer selbstbewusst aus."
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Rainer K. Silbereisen
Institut für Psychologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Tel.: 03641/945201, Fax: 945202
E-Mail: sii@rz.uni-jena.de
Kongresstelefon (bis So, 4.06.): 03641/941875
Friedrich-Schiller-Universität
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Dr. Wolfgang Hirsch
Fürstengraben 1
07743 Jena
Tel.: 03641/931031
Fax: 03641/931032
E-Mail: h7wohi@sokrates.verwaltung.uni-jena.de
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Psychology, Social studies
transregional, national
Research results
German
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