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11/05/2007 23:43

MEFES: Gut entscheiden in der Klinik

Klaus P. Prem Presse - Öffentlichkeitsarbeit - Information
Universität Augsburg

    Kliniken zeigen großes Interesse an einem neuen Modell für Ethische Fallbesprechungen des Augsburger Theologen Rupert M. Scheule.
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    Moderne Medizin ist Entscheidungssache. Je besser die Medizin wird, desto öfter stoßen Mediziner auf die Frage, ob eine Behandlung fortgesetzt, ausgeweitet oder abgebrochen werden soll. Noch vor 30 Jahren starb ein Patient mit einem bestimmten Krankheitsbild unausweichlich innerhalb eines bestimmten Zeitraums, gleichgültig was die Ärzte machten. Die heutige Intensivmedizin erlaubt hingegen eine dauerhafte Lebensverlängerung auch bei sterbenden Patienten. Sollte der Patient wirklich sein perspektiveloses Vegetieren beenden (dürfen), dann aufgrund der Entscheidung, die Apparate abzustellen. Doch auch bei Therapien, die medizinisch möglich, aber extrem kostspielig sind, muss eine Entscheidung getroffen werden, die die Verhältnismäßigkeit der Therapie unter den herrschenden Knappheitsbedingungen berücksichtigt. Wie gut eine medizinische Einrichtung ist, zeigt sich nicht zuletzt am Umgang mit Entscheidungen dieser Art. Die ethische Reflexion kann wesentlich beitragen zu tragfähigen und gut vermittelbaren Entscheidungen. Aber gibt es auch eine Methode für diese Reflexion? Der Ethiker Rupert M. Scheule hat an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg eine solche Methode entwickelt. Und sie bewährt sich bereits in der Praxis.

    Ethische Entscheidungshilfe bei konkreten medizinischen Problemen kann weder von sogenannten Ethikkommissionen (Kontrollgremien an Universitäten oder Ärztekammern zur Überprüfung von Forschungsprotokollen und -vorhaben), noch von Ethikkomitees (Beratungsorgane der Klinikleitung für Fragen der Organisationsethik und ethischer Leitlinien im Haus) geleistet werden. Konkrete medizinische Entscheidungsprobleme brauchen ein praxisnahes Forum: die "Ethische Fallbesprechung". Privatdozent Dr. Rupert Scheule hat am Augsburger Lehrstuhl für Moraltheologie (Prof. Dr. Klaus Arntz) ein eigenes Verfahren für Ethische Fallbesprechungen entworfen.

    Entscheidungstheorie als Grundlage

    Ausgehend von seinem DFG-Projekt "Entscheidungslehre christlicher Ethik" (http://www.dfg.de/gepris/nachweise/229002.htm) hat Scheule ein Verfahren konzipiert, das stark entscheidungstheoretisch inspiriert ist. "Die Entscheidungstheorie folgt der Grundidee, eine Entscheidung durch die Zerlegung in ihre Einzelteile übersichtlicher zu machen. Genau diesen Effekt wollte ich in der 'Ethischen Fallbesprechung' zur Wirkung bringen", erklärt Scheule. So entstand MEFES - die "Multidisziplinäre ethische Fallbesprechung in schwierigen Entscheidungssituationen"). Es handelt sich um eine Anleitung zu einem straff strukturierten, moderierten Teamgespräch, an dem aus jeder Berufsgruppe des Behandlungsteams ein Vertreter teilnimmt, gelegentlich auch ein Angehöriger des Patienten. Die Erkenntnisse von Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten und Logopäden, ggf. auch von Juristen, Sozialarbeitern und Angehörigen werden durch MEFES systematisch erhoben und ergeben ein Gesamtbild, das erheblich vielschichtiger ist, als es die Sichtweise einer einzelnen Berufsgruppe ermöglichen würde. Das multidisziplinäre Bild wird unter der Anleitung des Moderators um den ethischen Blickwinkel - die Autonomie und die Würde des Patienten - erweitert. Bei begrenzten Ressourcen muss zudem die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit zur Sprache kommen. Das komplexe Entscheidungsproblem kann dann in seinen Einzelheiten analysiert werden und die ethische Dimension aller Entscheidungsalternativen wird sichtbar. MEFES empfiehlt am Ende jene Entscheidung, die ethisch akzeptabel ist und daneben noch aus möglichst vielen weiteren Blickwinkeln als richtig erscheint.

    Zwei Jahre Praxistest am Augsburger Schlaganfallzentrum

    Solch ein Verfahren zu entwickeln ist das Eine, es anzuwenden das Andere. "Ich war dankbar, dass Dr. Gerd Kellner vom Haus Tobias der Diözese Augsburg auf mein Projekt aufmerksam wurde und den Kontakt zum Augsburger Klinikum herstellte", erinnert sich Scheule. Bei Oberarzt Dr. Tilman Becker rannten Scheule und Kellner offene Türen ein. Becker ist seit 1999 Oberarzt des Schlaganfallzentrums der Neurologischen Klinik am Zentralklinikum Augsburg und sieht sich häufig mit dem Problem konfrontiert, dass sowohl eine Therapieausweitung als auch eine Therapiebegrenzung medizinisch begründbar wären. "Da ist es natürlich sehr hilfreich," so Tilman Becker, "neben der medizinischen auch noch andere Sichtweisen auf die anstehende Entscheidung zu erschließen. Und es ist gut, wenn das ethische Urteil dann den Ausschlag für diese oder jene Entscheidungsempfehlung gibt." Becker präzisiert allerdings: "Die Entscheidung selbst verbleibt in der Verantwortung des Arztes. Aber MEFES hilft ihm, zu einer guten Entscheidung zu kommen". So führte er, unterstützt von Chefarzt Prof. Markus Naumann, im Herbst 2005 MEFES am Augsburger Schlaganfallzentrum als Modellprojekt ein.

    Perspektive des Patienten

    Für das MEFES-Team konnte zudem Pfarrer Jürgen Floß gewonnen werden. Der evangelische Theologe ist Seelsorger am Schlaganfallzentrum und engagiert sich seit Langem für das Thema "Ethik in der Klinik". Der Krankenhausseelsorger kann meist Auskunft darüber geben, wie ein Patient selbst über seine Situation denkt und welchen Sinn er überhaupt in seinem Leben sieht. "Diese Perspektive ist wichtig und darf als eigener Aspekt bei MEFES nicht fehlen", meint Scheule, der bisher die meisten MEFES-Sitzungen selbst moderierte.

    Auf klinischen Betrieb zugeschnitten

    Durch den intensiven Kontakt mit der Praxis konnte das Verfahren noch passgenauer auf den klinischen Betrieb zugeschnitten werden, doch das Grundgerüst eines straff strukturierten, multidisziplinären Gesprächs, das die ethische neben den fachlichen Sichtweisen zur Geltung bringt, hat sich von Beginn an bewährt. "Es hat sich gezeigt, dass das verhältnismäßig 'strenge Design' von MEFES hilft, in nicht mehr als 45 Minuten zu einer Entscheidungsempfehlung zu kommen, die die Komplexität der Lage durchaus berücksichtigt" sagt Tilman Becker und betont, dass der sparsame Umgang mit Arbeitszeit extrem wichtig ist für den Alltag auf Station. MEFES kam bei den Vertretern aller Berufsgruppen gut an, die Evaluation, die im Anschluss an jede Fallbesprechung von Wissenschaftlichen Hilfskräften der Universität Augsburg durchgeführt wurde, hat MEFES ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt. Das Modellprojekt überzeugte auch den Vorstand, die Chefarztkonferenz und die Pflegedirektion, sodass ab sofort Ethische Fallbesprechungen nach dem MEFES-Design an allen 24 Kliniken des Augsburger Zentralklinikums stattfinden können.

    MEFES-Kurse ausgebucht

    Scheule, Kellner, Becker und Floß sehen MEFES mittlerweile als ihr gemeinsames Anliegen. Organisiert von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg bieten sie MEFES-Kurse im Haus Tobias der Diözese Augsburg an. Derzeit sind es Kliniken in Kempten, Füssen, Friedberg, Wertingen, Aichach und Augsburg, die Mitarbeiter zu MEFES-Moderatoren ausbilden lassen. Und der Bedarf ist weiterhin groß: Schon heute werden die Kurse bis 2010 vorausgeplant.
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    MEFES-Homepage: http://www.kthf.uni-augsburg.de/scheule/Projekt_MEFES/
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    Kontakt:

    PD Dr. Rupert M. Scheule
    Katholisch-theologische Fakultät
    Universität Augsburg
    86135 Augsburg
    Telefon 0821/598-2730
    rupert.scheule@kthf.uni-augsburg.de


    More information:

    http://www.kthf.uni-augsburg.de/scheule/Projekt_MEFES/


    Images

    MEFES-Verfahrensanweisung
    MEFES-Verfahrensanweisung
    Grafik: Tilman Becker
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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing, Philosophy / ethics, Psychology, Religion, Social studies
    transregional, national
    Research projects
    German


     

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