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Einer MZES-Studie zufolge stimmen viele Wähler für Parteien, die extremere Positionen vertreten als sie selbst
Bei der Bundestagswahl 2005 hat sich der durchschnittliche Wähler für eine Partei entschieden, deren sozialpolitische Position deutlich weiter von der politischen Mitte entfernt lag als seine eigene. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse des Politikwissenschaftlers Michael Herrmann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES) an der Universität Mannheim.
"Wir sprechen in solchen Fällen von abweichendem Verhalten moderater Wähler", erklärt Herrmann. "Viele Menschen haben radikaler gewählt, als ihnen eigentlich lieb ist." Genützt hat diese scheinbare Radikalisierung laut Herrmann kleinen Parteien, die in den Hauptfragen des Wahlkampfes verhältnismäßig radikal Stellung bezogen. Da der Bundestagswahlkampf 2005 stark von den sozialpolitischen Themen rund um die Agenda 2010 geprägt war, punktete sowohl Die Linke mit ihrer strikt sozialstaatlichen Position, als auch die FDP mit ihrer marktradikalen Linie. Beide schnitten 2005 mit 8,7 (Die Linke) und 9,8 Prozent (FDP) deutlich stärker ab, als es die in der Bevölkerung gemessenen Parteipräferenzen nahelegten. Verlierer waren die großen Volksparteien sowie die Grünen, die sich in der öffentlichen Debatte moderater positioniert hatten.
Der Wähler neigt unter bestimmten Bedingungen also offenbar zum Extrem. Aber warum? Michael Herrmann hat eine mögliche Erklärung gefunden: "Die Wähler mit abweichendem Verhalten sind eigentlich mit den Positionen von Union und SPD zufrieden. Sie glauben aber offenbar nicht an deren konsequente Umsetzung und entscheiden sich daher für eine extremere Alternative." Nach Herrmanns Modell bedeutet das für die untersuchte Bundestagswahl: Die Wähler haben im Durchschnitt für eine Partei gestimmt, deren sozialpolitische Position um 45 Prozent weiter von der politischen Mitte abwich als ihre eigene. Eine tiefgehende ideologische Spaltung der Wählerschaft lasse sich aus den Ergebnissen aber nicht ablesen, so der Politikwissenschaftler. Auch deuten Herrmanns Analysen nicht darauf hin, dass die Unterstützung für kleine Parteien von großer Dauer sein muss. Die Entscheidung für extremere Positionen entspringe in der Regel kurzfristigen wahltaktischen Erwägungen, so Herrmann.
Ob Herrmanns Analyse auch als Erklärungsansatz für die jüngsten Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen oder für die Hamburger Bürgerschaftswahlen am 24. Februar dienen kann, bleibt abzuwarten. Zwar sind auch die aktuellen Wahlkämpfe teilweise stark von sozialpolitischen Themen wie dem Mindestlohn geprägt. Ähnliche Tendenzen wie bei der Bundestagswahl 2005 seien daher denkbar, aber keineswegs zwingend, so Herrmann: "Generell sind Landtagswahlen schwieriger einzuschätzen, weil neben der Landespolitik auch bundespolitische Entwicklungen in die Wahlentscheidung eingehen können."
Michael Herrmanns Studie "Moderat bevorzugt, extrem gewählt. Zum Zusammenhang von Präferenz und Wahlentscheidung in räumlichen Modellen sachfragenorientierten Wählens" erscheint in der Märzausgabe 2008 der "Politischen Vierteljahresschrift" (PVS) im Verlag für Sozialwissenschaften. Herrmanns Modell beruht auf einer Vorwahlstudie, für die über sechs Wochen hinweg täglich Interviews mit einer repräsentativen Stichprobe von rund 90 Personen durchgeführt wurden. Insgesamt wurden 3583 Personen befragt.
Weitere Informationen und Kontakt:
Michael Herrmann
Universität Mannheim
MZES
Telefon: +49-621-181-2856
Telefax: +49-621-181-2845
Michael.Herrmann@mzes.uni-mannheim.de
Nikolaus Hollermeier
Universität Mannheim
MZES
Direktorat / Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Tel: +49/(0)621-181-2839
Fax: +49/(0)621-181-2866
Nikolaus.Hollermeier@mzes.uni-mannheim.deU
http://www.mzes.uni-mannheim.de
Criteria of this press release:
Economics / business administration, History / archaeology, Law, Media and communication sciences, Politics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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