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Publikation zur Struktur- und Funktionsgeschichte der Gaue im "Dritten Reich" erschienen
Jena (25.02.08) Historiker haben das "Dritte Reich" in nahezu all seinen Facetten beleuchtet. Die Zeit des Nationalsozialismus dürfte damit zu den am besten erforschten Perioden deutscher Geschichte gehören. Doch gibt es bis heute weiße Flecken. Dazu gehören die Gaue als quasistaatliche Handlungs- und Mobilisierungsstrukturen des "Dritten Reiches". Initiiert von Prof. Dr. Jürgen John von der Friedrich-Schiller-Universität Jena hat sich Ende 2005 eine Konferenz in Berlin mit den NS-Gauen befasst. Deren Tagungsband liegt nun vor.
Im Grunde zeichne sich erst jetzt eine systematische Gauforschung ab, sagt Jürgen John. Zwar haben sich Regional- und Milieuforschungen zur NS-Zeit mit den Gauen befasst. Insbesondere ihre Kulturpolitik sei recht gut erforscht. Zudem gab es eine frühe Studie über die NSDAP-Gauleiter und Einzelbiografien - darunter jüngst zum Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel. Die Gaue seien dabei, so John, nur als Partei- und "Gleichschaltungs"-Instanzen der NSDAP oder reichs-distanzierte Regionalmilieus wahrgenommen worden. "Die eigentliche Struktur- und Funktionsgeschichte der Gaue gleichsam ,im Reichsauftrag' blieb nahezu unberücksichtigt", so der Jenaer Historiker. Hier habe die Konferenz angesetzt, was der Tagungsband belegt. Jürgen John nennt die Befunde: "Seit 1936 und im Kriege stattete das NS-Regime die Parteigaue mit quasistaatlichen Mobilisierungs- und Steuerungsfunktionen aus und ordnete ihnen Provinzialverwaltungen als Hilfsstrukturen zu. So wurden die Gaue zu ,neustaatlichen' Mittelinstanzen des NS-Systems und zur neuen Regionalstruktur, die sich über die Länder und Provinzen legte." Damit zählten die NS-Gaue zur Kategorie mobilisierender und systemstabilisierender "Sondergewalten" an der "inneren Front" des "Altreichs" und der "Anschlussgebiete" von 1938/39. Ihre damit verbundenen "neustaatlichen" Funktionen prägten sich je nach Politikfeld, "Innerreich"- oder "Grenzland"-Lage unterschiedlich aus. Dieser Grundtrend habe jedoch alle Gaue erfasst.
"Ein solcher systemgeschichtlicher Blick auf die NS-Gaue als ,neustaatliche' Sondergewalten und Reichs-Mittelinstanzen führt in noch unklare und heftig diskutierte Fragen nach dem Grundcharakter der im Kern kriegsgerichteten NS-Diktatur und ihrer Staatlichkeit", sagt John. Theorien habe es genügend gegeben. Sie reichten vom "totalen", "totalitären", allein vom "Führer gelenkten" oder auf ihn ausgerichteten Staat bis zur Vorstellung eines polykratischen, destruktiven, sich in Konflikten und konkurrierenden Instanzen "selbst zerstörenden" Systems. Zwar würden solche Theorien durchaus im Einzelnen charakteristische Phänomene beschreiben, sagt John, sie könnten indes nicht schlüssig erklären, wie das NS-System jahrelang einen massiven Angriffs- und Vernichtungskrieg zur ,Neuordnung Europas' führen konnte. Neuere Forschungen - auch zu den NS-Gauen - zeigen das Ausmaß kriegsgerichteter und systemstabilisierender Mobilisierungsfähigkeit des NS-Systems und seiner "Zustimmungs"- und "Volksgemeinschafts"-Diktatur.
Die Diktatur sei - bei allen Konflikten und Konkurrenzen - lange Zeit eher von Konsens als von Dissens geprägt gewesen, wobei der traditionelle "Normenstaat" und der neue NS-"Maßnahmestaat" auch auf Gauebene interaktiv und komplementär zusammenwirkten. "Erst nach 1945 wurden die unvermeidlichen Konkurrenzen und Konflikte zu Resistenz, Dissens und Widerstand umgedeutet", betont John. Systematische Gau-Forschungen unter solchen Aspekten können - so der Jenaer Historiker - diesen Grundtrend neuerer NS-Forschung verstärken und zu besseren Einblicken in die Funktionsweise des NS-Systems verhelfen. Der neue Tagungsband soll dafür Wege weisen, ein vertiefendes Forschungsprojekt wird folgen.
Jürgen John, Horst Möller, Thomas Schaarschmidt (Hg.): Die NS-Gaue. Mittelinstanzen im zentralistischen "Führerstaat", Schriftenreihe der Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Verlag R. Oldenbourg, München 2007, 440 Seiten, Preis 69,80 Euro, ISBN 978-3-486-58086-0
Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen John
Historisches Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Fürstengraben 13, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 944484
E-Mail: juergen.john[at]uni-jena.de
Der Jenaer Historiker Jürgen John.
Foto: Peter Scheere/FSU
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Criteria of this press release:
History / archaeology
transregional, national
Scientific Publications
German
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