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Wissenschaft
Wie organisiert man ein INTERNET-Studium?
Chemnitzer Uni laesst sich in die Karten schauen
Studieren ohne Grenzen - Chemnitz ertrinkt in einer Flut von 2000 Interessenten
CHEMNITZ. Sie sind Mathematiker oder Manager, Lehrer oder Juristen, Ingenieure oder Polizisten. Ihr Studium liegt oft schon 15 oder 20 Jahre zurueck, und manche von ihnen haben gar kein Abitur, dafuer aber jahrelange Erfahrung mit Computern. Einige sind erst 30, andere schon 55 Jahre alt. Sie kommen aus Frankfurt, Hamburg und Dortmund, und dort wohnen und arbeiten sie auch. Aber eines haben alle gemein: Sie studieren in Chemnitz - und das, ohne auch nur einen Fuss aus ihrem Buero oder Wohnzimmer zu setzen. Denn ihr Studium laeuft - als einziges in Deutschland, moeglicherweise sogar in der ganzen Welt - voellig ueber das Internet.
Seit 1995 bieten die Fakultaet fuer Informatik und das Rechenzentrum der TU Chemnitz-Zwickau das Aufbaustudium "Informations- und Kommunikationssysteme" an. Hauptintiator war der Leiter des Uni-Rechenzentrums, Prof. Uwe Huebner. Gedacht ist das Studium in erster Linie fuer bereits im Beruf stehende Computerfachleute, meist mit Hochschulabschluss. Denn die Computerbranche veraendert sich so rasch, dass frueher erworbenes Wissen oft schon nach kurzer Zeit hoffungslos veraltet ist - die Praktiker kommen nicht darum herum, sich laufend weiterzubilden, wollen sie nicht vorzeitig aufs Altenteil geschickt werden. Zur Weiterbildung war in der Vergangenheit ein hohes Mass an Eigeninitiative noetig. Auch allerlei Privatfirmen boten zum Teil obskure Kurse an. Mancher "Internet-Fuehrerschein" oder "Computerfuehrerschein" war vor allem eines: sehr teuer. Und selbst die serioeseren Angebote waren oft genug auf einen bestimmten Softwareanbieter oder Computerhersteller zugeschnitten und hatten eher den Charme einer Werbeveranstaltung. In die Tiefe gingen sie jedenfalls nicht, und firmenneutral waren sie auch selten. Anders das Chemnitzer Angebot: Es bietet in vier Semestern ein fundiertes Wissen, das von der Herstellung eigener Internet-Seiten ueber die "Netiquette" und Fragen der Datensicherheit bis hin zum Aufbau lokaler Netze und zum Netzwerk-Management reicht. Bei dieser Breite ist es kein Wunder, dass beispielsweise die Telekom den Chemnitzer Abschluss als einzigen anerkennen will.
Das Studium selbst stellt hohe Anforderungen: mal eben zwischen Abendbrot und Tagesschau ist es nicht zu packen. Die Einfuehrung findet noch in Chemnitz statt. Das ist noetig, weil die Studenten eine E-Mail-Adresse, Passworte und andere Rechnernutzungsrechte bekommen, und die gibt's, um einen Missbrauch auszuschliessen, nur gegen Ausweis. Ausserdem lernen die Teilnehmer an diesem Tag, wie sie ueberhaupt eine Internet-Verbindung zum Unirechenzentrum (uebrigens mit dem leistungsstaerksten Rechner einer ostdeutschen Uni) herstellen koennen. Und schliesslich, auch das ist wichtig, sollen die Studenten sich und ihre Betreuer persoenlich kennenlernen. Danach aber geht's richtig zu Sache. Immerhin 200 Seiten Material bekommt jeder Student im Monat zugeschickt. Ein Zuckerschlecken ist das alles nicht. Der wesentliche Vorteil gegenueber einem her oemmlichen Studium ist jedoch, dass die Internet-Studenten ihre Zeit frei einteilen koennen. Daher ist trotz der hohen Belastung eine Weiterbildung neben dem Beruf moeglich - ein Studium quasi vom heimatlichen Sessel aus. Und da kann man auch mal unrasiert und ungewaschen sein oder zwischendurch seine Stulle verdruecken.
Ganz umsonst ist das freilich nicht, schliesslich benutzen die Studenten teure Rechentechnik der Uni. 1500 Mark Nutzungsentgelt verlangt die TU fuer das viersemestrige Studium: ein Bruchteil von dem, was kommerzielle Anbieter haben wollen. Diese Summe hat bisher keinen Interessierten vom Studium abgehalten. Eher bereiten da schon die happigen Telekom-Tarife Sorgen. Nachdem die Telefonkosten sich am Jahresanfang besonders fuer weitab wohnende Studenten fast verdreifacht hatten, liess die Netzaktivitaet der Studenten deutlich nach. Doch auch hier hat sich in vielen Faellen ein Kompromiss finden lassen, etwa indem die Rechenzentren naeher gelegener Unis die Internetverbindung nach Chemnitz hergestellt haben.
Natuerlich werden die Studenten auch geprueft. Anfangs glaubten die Initiatoren, die Teilnehmer seien an dem angebotenen Zertifikat nicht so sehr interessiert, ihnen ginge es allein um mehr Wissen. Ein Irrtum: Bei Bewerbungen oder wenn Personal eingespart werden soll, ist das Chemnitzer Zeugnis Gold wert. Die meisten Studenten machen sich denn auch ueber die Aufgaben her, die ihnen alle vier Wochen per e-mail auf den Schirm gelangen. Aber wird da nicht, menschlich-allzumenschlich, geschummelt? Auch hier haben die Chemnitzer Wissenschaftler vorgesorgt - schliesslich haben sie Deutschlands renommierteste Verschluesselungsspezialisten direkt im Haus. Eine digitale Unterschrift sorgt dafuer, dass der Absender auch wirklich der Absender ist. Die Betreuer sind der begrenzende Faktor - Aufgaben muessen korrigiert, Fragen beantwortet, Hilfe geleistet werden. Politiker, die da glauben, mit Internet-Studien liesse sich Geld einsparen, sind auf dem Holzweg. Jeder Student hat "seinen" persoenlichen Ansprechpartner. Um mindestens zehn Studenten muss sich jeder dieser Internet-Betreuer an der Chemnitzer Uni - allesamt hochqualifizierte Computerspezialisten - im Schnitt kuemmern. Zudem muss das Unterrichtsmaterial in jedem Semester ueberarbeitet werden. Ebensowenig laesst sich an der Rechnerausruestung der Uni sparen. Wegen der intensiven Betreung zaehlt das Chemnitzer Studium bisher nur 60 Studenten pro Semester, ab dem kommenden Semester werden es 120 sein. Und Prof. Huebner graust es vor jedem neuen Zeitungsartikel: "Dann rufen uns jedesmal Dutzende von Interessenten an. Rund 2000 waren es schon in diesem Jahr." Ihm und seinen Mitarbeitern waere es denn auch am liebsten, wenn sie ihre Erfahrungen mit dem Internetstudium an andere Unis oder nichtkommerzielle Anbieter weitergeben koennten. Natuerlich mussten auch die Chemnitzer Pioniere Lehrgeld zahlen, nicht alles klappte auf Anhieb. Gerade hiervon koennten Nachzieher pofitieren.
Noch naemlich sind die Chemnitzer die einzigen mit einem vollwertigen Internet-Studium in Deutschland. Was an anderen Unis so laeuft, ist allenfalls die UEbertragung einer Vorlesung von einem Hoersaal in den naechsten - da haette eine Videokassette auch gereicht. Auch, wenn Studenten einen Internet-Anschluss haben, mit dem sie sich ins Uni-Netz einklinken koennen, ist das noch kein Internet-Studium und im uebrigen in Chemnitz schon seit Jahren Standard. Besonders fuer ein Studium neben dem Beruf und fuer Aufbaustudien - Stichwort: lebenslanges Lernen - eignet sich das Internet, und natuerlich ist es auch fuer andere Faecher, etwa aus dem Bereich der Gesellschafts- oder der Kulturwissenschaften, gegeignet. Doch dort bestehen noch viele Beruehrungsaengste besonders der Lehrenden, die fuerchten, nicht mit der Technik zurechtzukommen, hat Huebner beobachtet. Aber gerade hier koennten Experten wie die Chemnitzer Wissenschaftler helfen.
Wer sich einmal selbst ueberzeugen moechte, wie ein Internetstudium in der Praxis funktioniert, hat vom 25. bis 28. September auf der 7. BIK Fachmesse fuer Telekommunikation und Computer in Leipzig auf dem Stand MN 06 (Forschungsland Sachsen) in Halle 1 Gelegenheit dazu.
Kontakt: Technische Universitaet Chemnitz-Zwickau, Fakultaet fuer Informatik, Strasse der Nationen 62, 09107 Chemnitz, Prof. Uwe Huebner, Tel. 0371/531-1464, Fax 0371/531-1629, Internet: http://www.tu- hemnitz.de/~huebner/iuk-erf2/iukerfa.htm oder auf der BIK '96 in Leipzig
Criteria of this press release:
Information technology
transregional, national
Research projects
German
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