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Das Umweltrecht soll neu und einheitlich geregelt werden: Industrieverbände
nutzen dies für Angriff auf bestehende Umweltstandards - Rechtsexperten von
Öko-Institut, Deutscher Umwelthilfe und Unabhängigem Institut für
Umweltfragen sehen zukunftsfähige Umweltpolitik gefährdet - Auch
Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) besorgt
Berlin, 19. Juni 2008: Industrie und Agrarlobby sehen das derzeit zwischen
Bund und Ländern beratene einheitliche Umweltgesetzbuch (UGB) vor allem als
Möglichkeit, etablierte Umweltstandards auszuhebeln. Dieses ernüchternde
Fazit ziehen das Öko-Institut, die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und das
Unabhängige Institut für Umweltfragen (UfU) nach einer dreitätigen Anhörung
zum UGB-Entwurf im Bundesumweltministerium, die heute zu Ende ging. In der
kommenden Woche werden die Bundesländer gehört. Besonders besorgt zeigen
sich die drei Organisationen, die den Gesetzgebungsprozess des wichtigsten
umweltrechtlichen Vorhabens der letzten Jahrzehnte von Beginn an fachlich
begleitet haben, weil sich der "Versuch eines umweltpolitischen Rollbacks"
seit Monaten weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzieht.
"Wir haben immer darauf hingewiesen, dass die im Grundsatz überfällige
Vereinheitlichung des deutschen Umweltrechts nur erfolgreich sein kann, wenn
sie unser Land auf die ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen
der Zukunft vorbereitet. Dafür müsste das bestehende Umweltrecht dringend
weiterentwickelt werden. Nun erzwingen Industrie, Landwirtschaftslobby und
ihre Fürsprecher in der Politik einen harten Abwehrkampf. Das steht im
Widerspruch zur weit verbreiteten Rhetorik und PR um Nachhaltigkeit und
Corporate Social Responsibility und den ernsthaften Bemühungen einiger
Unternehmen, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Wenn es aber um die harten
Fakten geht, also um die verbindlichen Regeln, nach denen in den nächsten
Jahrzehnten in Deutschland darüber entschieden wird, welche Anforderungen
Industrie und Landwirtschaft zum Schutz von Umwelt, Klima und Biodiversität
einhalten müssen, fallen die Lobbyverbände zurück in alte Muster.
Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit werden als Gegensätze zugespitzt,
jegliche Innovation wird abgelehnt. Das Exportland Deutschland wird nur dann
erfolgreich sein, wenn es ökologisch gegenüber anderen Nationen nicht
zurückfällt", erklärte Regine Barth, die Koordinatorin Umweltrecht &
Governance des Öko-Instituts.
Es werden Regelungen verlangt, die die Möglichkeiten des Staates bei der
Genehmigung von Industrieanlagen auf mögliche neue Erkenntnisse und
ökologische Herausforderungen zu reagieren, weiter einschränken würden. Das
Gegenteil wäre notwendig. Die Grundprinzipien des deutschen
Genehmigungsrechts sind Jahrzehnte alt. Eine entscheidende Schwäche ist zum
Beispiel, dass selbst bei langfristig genutzten umweltbelastenden
technischen Anlagen wenige Spielräume für spätere entschädigungsfreie
Nachrüstungsanforderungen bestehen. Notwendig wäre eine neue Balance. Auf
der einen Seite wiegen sachgerechte Umweltstandards, die sicherstellen
müssen, dass die aktuellen umweltpolitischen Ziele der Bundesrepublik
erreichbar werden und der Staat seine unabdingbaren mittelfristigen
Handlungsspielräume erhält. Auf der anderen Seite wiegen die Anliegen
Investitionssicherheit, Bestandsschutz und Entbürokratisierung. Stattdessen
wurde vorgeschlagen, bewährte Umweltstandards zurückzudrehen. Zum Beispiel
bei der Benutzung von Gewässern. Aktuell haben Behörden die Möglichkeit,
deren Benutzung nur für den Zeitraum einer Generation zu erlauben. Geht es
nach den Wünschen der Industrie, soll diese gestrichen oder erheblich
erschwert werden.
"Bedauerlich ist, dass versucht wird, die vorherige Information und
Beteiligung von Nachbarn und Öffentlichkeit in einer Reihe von
konfliktträchtigen Vorhabensarten zu streichen. Eine moderne Verwaltung
sieht anders aus. Sie setzt auf Transparenz und Interessensausgleich. Viele
Konflikte - gerade in kleineren Verfahren - können durch die Beteiligung der
Öffentlichkeit frühzeitig gelöst werden und brauchen nicht vor Gericht
getragen zu werden. Selbst wenn sich die Ressorts der Bundesregierung
verständigen sollten, müssen wir fürchten, dass über den Bundesrat oder die
Unionsfraktion später verbliebene Pluspunkte aus dem Entwurf des
Bundesumweltministeriums gestrichen werden", sagt Michael Zschiesche, der
Geschäftsführer des UfU.
Mit Horrorszenarien über künftige Zumutungen bei Genehmigungsverfahren
hätten die Industrieverbände während der Anhörung massiv versucht,
insbesondere den Mittelstand gegen die Vereinheitlichung des deutschen
Umweltrechts in Stellung zu bringen, sagte Cornelia Nicklas, die Leiterin
Recht der Deutschen Umwelthilfe. "Wir sind erschüttert, dass die Wirtschaft
hinter jeder Ecke Investitionshemmnisse, Wettbewerbsnachteile und
Rechtsunsicherheit vermuten will. In den Industrieverbänden und beim
Deutschen Bauernverband dominiert immer noch die altertümliche Vorstellung
eines Fundamentalkonflikts zwischen Ökonomie und Ökologie. Wir erleben einen
Frontalangriff auf den Rechtsschutz für Natur und Umwelt." Nach Überzeugung
von DUH, Öko-Institut und Ufu sprechen die bei der Anhörung auftretenden
Verbandsvertreter bei weitem nicht für die gesamte deutsche Wirtschaft oder
alle Landwirte. Viele seien weiter und hätten längst verstanden, dass "die
deutsche Volkswirtschaft nur dann florieren wird, wenn wir Ökonomie und
Ökologie in Einklang miteinander bringen", sagte Nicklas.
Ein zentraler Streitpunkt innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund
und Ländern betrifft die so genannte Eingriffsregelung, also die Frage, ob
künftig Belastungen des Naturhaushalts einfach durch Geldzahlungen
ausgeglichen werden können, statt wie bisher durch eine entsprechende
Entlastung an anderer Stelle. Über diese Änderung, die nach Überzeugung von
Öko-Institut, DUH und UfU den Kernpunkt des Naturschutzrechts auf den Kopf
stellen würde, gibt es innerhalb der Bundesregierung und zwischen Bund und
Ländern Streit. Anlässlich der Vorstellung des Umweltgutachtens des
Sachverständigenrats für Umweltfragen der Bundesregierung (SRU) hatte sich
am Mittwoch auch dessen Vorsitzender Hans-Joachim Koch besorgt über eine
mögliche Änderung gezeigt. Die so genannte "Naturalkompensation" sei für
einen ernsthaften und nachhaltigen Naturschutz unverzichtbar, sagte Koch
Eine Stellungnahme von Öko-Institut, Deutscher Umwelthilfe und unabhängigem
Institut für Umweltfragen zum UGB-Entwurf des Bundesumweltministeriums
finden Sie online unter http://www.umweltgesetzbuch.org
AnsprechpartnerInnen:
Öko-Institut e.V. - Büro Darmstadt
Regine Barth
Koordinatorin des Forschungsbereichs Umweltrecht & Governance
Rheinstraße 95
64295 Darmstadt
Telefon: +49 (0)6151-81 91-30
Fax: +49 (0)6151-81 91-33
E-Mail: r.barth@oeko.de
Deutsche Umwelthilfe | Büro Berlin
Leiterin Recht
Dr. Cornelia Nicklas
Hackescher Markt 4 /
Neue Promenade 3 (Eingang)
10178 Berlin
Telefon: +49-(0)30 - 24 00 867-18
Fax: +49 (0)30 - 24 00 867-19
E-Mail: nicklas@duh.de
Unabhängiges Institut für (UFU)Umweltfragen e.V. - UfU
Fachgebiet Umweltrecht & Bürgerbeteiligung
Michael Zschiesche
Geschäftsführer
Greifswalder Str. 4
10405 Berlin
Telefon: +49 (0)30 - 42 84 99 3-31
Fax: +49 (0)30 - 42 80 04-85
E-Mail: recht@ufu.de
Criteria of this press release:
Biology, Environment / ecology, Law, Oceanology / climate, Politics
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Research projects, Scientific conferences
German
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