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11/27/2000 13:37

1. Dezember 2000: Mexiko steht vor dem Wechsel

Dr. Christian Jung Stabsreferat Kommunikation
VolkswagenStiftung

    Vom Reichtum der Worte: Ergebnisse einer von der VolkswagenStiftung mit 300.000 Mark an der Freien Universität Berlin geförderten Untersuchung zum Zapatismus in Mexiko liegen jetzt vor.

    Wenn am 1. Dezember Vicente Fox sein Amt als mexikanischer Präsident antritt, beginnt für Mexiko eine neue Epoche seiner modernen Geschichte. Schon über 70 Jahre wird das Land ununterbrochen von der Institutionell-Revolutionären Partei (PRI) gelenkt, die seit 1928 den Präsidenten stellt und über die Mehrheit im Kongress verfügt. Sie herrscht mittels einer ausgefeilten Mischung aus autoritärer Parteiendiktatur und demokratischem Anstrich. So war es eine Sensation, als bei der Präsidentenwahl im Juli diesen Jahres der Kandidat der PRI gegen den Kandidaten der konservativen Partei der Nationalen Aktion Vicente Fox (PAN) unterlag. Man sprach von "Zeitenwende" und "Mauerfall".

    Unklar ist bislang, wie Fox an die Befriedung des größten mexikanischen Bundesstaates Chiapas herangehen will. Hier macht seit dem 1. Januar 1994 die "Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung" (EZLN) auf die Probleme der indianischen Bauern aufmerksam. Die Besetzung von Städten beantwortete die Regierung seinerzeit zunächst mit der Entsendung von Soldaten, die Aufständische niedermachten; sie musste sich dann aber unter nationalem und internationalem Druck auf einen Waffenstillstand einlassen. 1995 wurde nach neuen Kämpfen ein Autonomieabkommen unterzeichnet, das allerdings bis heute nicht in die Tat umgesetzt ist. Seit am 22. Dezember 1997 paramilitärische Truppen 45 Tzotziles-Indianer in einer Wallfahrtskapelle niedermetzelten, schwelt der Konflikt gefährlich weiter.

    Charakteristisch für den Zapatismus - die Bezeichnung erinnert an den 1919 ermordeten Revolutionär Emiliano Zapata - ist, dass sich die Befreiungsbewegung nicht in fest formulierten Forderungen äußert, sondern in einer neuartigen, für herkömmliches Denken schwer zu verstehenden Diskursart. Zur Untersuchung dieser Denk- und Sprechweise hat die VolkswagenStiftung bereits 1996 im Rahmen ihres früheren Förderschwerpunktes "Das 'Fremde' und das 'Eigene': Probleme und Möglichkeiten interkulturellen Verstehens" dem Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin rund 300.000 Mark für die Studie "Der 'Chiapas-Effekt': Zur symbolischen Politik der Zapatistas und ihrer Perzeption in der mexikanischen und internationalen Öffentlichkeit" zur Verfügung gestellt. Die Ergebnisse der Wissenschaftlerin Anne Huffschmid, die ihre Untersuchungen zum Großteil vor Ort durchgeführt hat, liegen jetzt pünktlich zur politischen Zeitenwende in Mexiko vor. Deutlich wird: Die Aufständischen in Chiapas sind arm an Waffen, aber überreich an Worten. So ist die Waffe des Zapatismus das Wort, das auf eine bisher nicht gekannte Art und Weise eingesetzt wird. Der zapatistische Diskurs zeichnet sich nicht durch programmatische oder ideologische Festlegungen aus, sondern gerade durch eine strukturelle Offenheit, die sich jeder Etikettierung - etwa "Reformisten", "Revolutionäre" oder "Utopisten" - entzieht. Ein offizieller politischer Unterhändler hat einmal Klage geführt über den "Mutanten-Charakter" der Aufständischen, die ihre Propaganda immer daran anpassten, was das Publikum gerade hören wolle. Für die Zapatisten ist diese interaktive Dynamik Teil ihrer kommunikativen Strategie, mit der sie ihre Ziele durchzusetzen versuchen. Zudem lässt sich als Charakteristikum, wie Sprache von ihnen eingesetzt wird, eine Neigung zum Metaphorischen und zur Paradoxie ausmachen.

    Inzwischen ist an der FU Berlin ein ganzes Archiv verschiedener Textsorten entstanden: pathetische Manifeste, offene Briefe, amüsante Presseerklärungen - aber auch das Echo aus sozialen oder solidarischen Bewegungen. Und im Internet erhält man, füttert man eine Suchmaschine etwa mit den Begriffen "zapatistas" oder "EZLN", mehr als 10.000 Nennungen.

    Spannend ist der Gebrauch und die Entwicklung so genannter Leerstellen. War die Zapatistische Armee zur Nationalen Befreiung einst unter dem Schlachtruf "Ya basta!" (es reicht) angetreten, so trat der Präsidentschaftskandidat Fox später mit dem schlichten Wahlslogan "Ya" (genug) an. Mit derartigen "Leerstellen", die Anhänger und Wähler mit eigenen Wahrnehmungen ausfüllen konnten, haben sich beide Akteure - Zapatisten als auch Fox - in den Demokratisierungsprozess ihres Landes eingeschrieben.

    Dennoch wird es für einen in wirtschaftlichen Bilanzen denkenden Manager und Politiker wie Vicente Fox nicht leicht sein, sich auf die von den Zapatisten gepflegte Art des Miteinander-Redens einzulassen. Für jene hingegen wird es nicht leicht sein, sich nun jemandem gegenüber zu sehen, der sie nach ihren realpolitischen Wünschen fragt. In jedem Fall weiß Fox, dass eine Befriedung des Bundesstaates Chiapas wesentlich zur Stabilisierung ganz Mexikos beitragen würde. Als Überzeugungsstrategie will der ehemalige Coca-Cola-Manager dabei ganz auf wirtschaftliche Verbesserung setzen und das Land nach betriebswirtschaftlichen Regeln führen. Dabei spielt Deutschland - natürlich nach den USA - eine herausragende Rolle; schon heute ist die Bundesrepublik Mexikos wichtigster Handelspartner. Nicht zufällig hat Fox bereits vor seinem Amtsantritt einen Besuch in Berlin gemacht.

    Kontakt:
    Anne Huffschmid, e-mail: huffschmid@laneta.apc.org, Tel./Fax: 00 52/55 11 06 77, Mobil: 00 52/(0 44) 54 15 23 86

    VolkswagenStiftung; Förderschwerpunkt "Konstruktionen des 'Fremden' und des 'Eigenen'": Dr. Hiltgund Jehle,
    Tel.: 05 11/83 81 - 276, e-mail: jehle@volkswagenstiftung.de


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    Criteria of this press release:
    History / archaeology, Language / literature, Law, Media and communication sciences, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research projects, Research results
    German


     

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