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Wissenschaft
Sein Gebiet hat dauerhaft Hochkonjunktur: Professor Gerald Schneider, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Politik an der Universität Konstanz, ist Experte für Konflikt- und Terrorismusforschung. "Im Gespräch" hat ihn zu seiner Arbeit befragt.
Herr Professor Schneider, welche Länder sind besonders anfällig für Konflikte beziehungsweise Kriege?
Wir haben für den Zeitraum 2008 bis 2012 vier unterschiedliche Gefährdungsniveaus erarbeitet, wobei wir die Länder, in denen bereits Bürgerkrieg herrscht, also beispielsweise Afghanistan, Kolumbien und Kongo, außen vor gelassen haben. Unseren Forschungen zufolge haben für den genannten Zeitraum Burundi, Zentralafrika, Kongo-Kinshasa, Haiti, Nigeria, Pakistan und Thailand ein besonders großes Bürgerkriegsrisiko. Ein hohes Risiko haben etwa Angola, Kambodscha, Guatemala, Ruanda, Kongo-Brazzaville, Nepal und die Elfenbeinküste. Ein mittleres Risiko haben weitgehend Entwicklungsländer und Georgien sowie der Libanon. Ein geringes Risiko ist vor allem in den reichen OECD-Ländern festzustellen, also in Deutschland und seinen Nachbarn. Wichtig ist zu wissen: Ein Land kann durch eine innenpolitische oder beispielsweise wirtschaftliche Krise in eine höhere Kategorie kommen.
Welche Faktoren sind für Ihre Einschätzung ausschlaggebend?
Insgesamt sind es zehn Faktoren. Wir berücksichtigen beispielsweise die Größe des Landes und die Tatsache, ob es sich um einen ölexportierenden Staat handelt. Weitere Faktoren sind Armut - sie schafft ein Bürgerkriegsrisiko - und die systematische Verletzung der Menschenrechte. Auch spielt es eine Rolle, ob in dem Land schon kürzlich ein Bürgerkrieg wütete. Von der Staatsform her gesehen sind Mischformen ein Risiko - Diktaturen und etablierte Demokratien sind in der Regel stabiler als Länder, die halb Autokratien, halb Demokratien sind.
Welche Bürgerkriege untersuchen Sie derzeit?
Für die Deutsche Stiftung Friedensforschung untersuchen wir 20 vorwiegend afrikanische Bürgerkriege seit Ende des Kalten Krieges, also beispielsweise in Angola und im Kongo. Eine unserer Fragestellungen lautet: Warum ist es zu Massakern gekommen? Wir haben auch viele Daten über die Elfenbeinküste und den Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien.
Das sind aber zwei paar Stiefel.
Schon. Unsere Erklärungen sollen aber zeit- und raumübergreifend sein.
Gibt es bei Ihren Projekten generelle Untersuchungskriterien zur Ursache von Gewalt?
In den letzten Jahren haben wir besonders untersucht, ob ökonomische Faktoren wie Armut oder die Globalisierung mit dem Ausbruch von Kriegen verknüpft sind. Ähnliche Erklärungen ziehen wir heran, um die Gefahr von terroristischen Anschlägen zu untersuchen. Die ist bei Staaten, die wirtschaftliche eng miteinander verknüpft sind, höher. Nehmen Sie Saudi-Arabien und die USA als Beispiel für ein ökonomisch integriertes Staatenpaar. Es ist wahrscheinlich, dass jemand aus Saudi-Arabien einen Anschlag in den USA verübt, weil er so einen höheren "Preis" erringen kann, als wenn er den Anschlag in einem Staat verübt, mit dem Saudi-Arabien nur begrenzt verknüpft ist. Natürlich spielt auch die regionale Interessenlage eine Rolle. So kommt es innerhalb eines Bürgerkriegslandes darauf an, wo die ethnischen Grenzen verlaufen und wo es Bodenschätze gibt.
Natürliche Ressourcen spielen in vielen Bürgerkriegen eine wichtige Rolle.
Ja und nein. Sind die Ressourcen gut abbaubar und nicht verstreut gelegen, kann es zu Konflikten oder auch Kriegen kommen. Eine italienische Kollegin hat herausgefunden, dass die Aktien von Unternehmen, die Diamantenschürflizenzen in Angola hatten, an Wert verloren haben, als der Bürgerkrieg zu Ende ging. In den Ländern, in denen es Diamantenvorkommen gibt, gibt es oft ganz lange Kriege. Die Feldherren haben das Ziel, möglichst lange vom Diamantenabbau zu profitieren. Mögliche politische Ziele wie das Erringen der Herrschaft über ein Land spielen dann höchstens eine nebensächliche Rolle.
Auf welches Datenmaterial greifen Sie bei Ihren Untersuchungen zurück?
Seit Jahrzehnten bestehen verschiedene Kriegsdatenbanken; auch zu terroristischen Anschlägen gibt es umfassende Datensätze. Für unsere eigene Forschung suchen wir systematisch Daten zu Massakern zusammen; dazu benutzen wir eine Vielzahl von Nachrichtenmeldungen von regionalen und internationalen Medien. Wichtig ist dabei, dass gerade internationale Medien sehr selektiv sind. Manche Kriege finden in unserem Bewusstsein nicht oder fast nicht statt. In Angola haben wir zum Beispiel über 800 Fälle von Massakern dokumentiert. Nur über etwas mehr als zehn Prozent dieser Fälle wurde in der Neuen Zürcher Zeitung, im Independent oder in der New York Times berichtet, wie Florian Roth, einer der Absolventen unseres Fachbereiches, etablieren konnte.
Wie grenzen Sie Ihren Forschungsbereich zeitlich ein?
Unsere Forschung ist von Daten abhängig. Die Kriegsursachenforschung bezieht sich deshalb hauptsächlich auf die Nachkriegszeit, es gibt aber auch das in den 1960er-Jahren an der University of Michigan etablierte "Correlates of War"-Projekt, das bei der Sammlung der Daten zurückgeht bis auf 1816 beziehungsweise den Wiener Kongress. In dieser Art von Forschung werden einzelne Konflikte miteinander verglichen. Andere Kollegen gehen mit ihren Datensammlungen noch weiter zurück in die Geschichte, etwa in die mittelalterliche Toskana. Die Untersuchung dieser Konflikte erfordert einiges Wissen über die damalige Geschichte der Stadtstaaten. Um Prognosen für die heutige Zeit zu erstellen, brauchen wir natürlich aktuelle Daten. Ein Vergleich des Konfliktrisikos in einzelnen Ländern ist dabei auch heute oft schwierig, weil die Daten nur begrenzt verlässlich sind. Deshalb untersuchen wir jetzt eher die Dynamik einzelner Konflikte und versuchen einzelne Ereignisse innerhalb eines Krieges zu erklären und vorherzusagen.
Hat der 11. September mit dazu beigetragen, dass Sie sich auch mit Terrorismusforschung beschäftigen?
Nein. Die Ursachenforschung von Bürger- und zwischenstaatlichen Kriegen ist eines meiner Hauptforschungsthemen seit meiner Studienzeit, und die Terorrismusforschung gehört seit ein paar Jahren dazu, weil zum Teil ähnliche Ursachen zu vermuten sind. Als Konfliktforscher halte ich es nicht für sinnvoll, beispielsweise den Bereich des Terrorismus von den anderen genannten Forschungsbereichen abzutrennen.
Erfüllen Sie Ihre eigenen Prognosen mit Sorge?
Natürlich machen sie uns betroffen. Gleichzeitig ist die Betroffenheit einer der Auslöser für unsere Arbeit.
Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit?
Es ist natürlich nicht rein die intellektuelle Neugier, die uns antreibt. Es gibt Prognosemodelle bei der Europäischen Kommission, von denen wir wissen, dass sie nicht auf der aktuellen Grundlagenforschung beruhen. Solche Frühwarnsysteme sind nicht verlässlich, und die Politik sollte umsatteln auf Modelle, die in der internationalen Spitzenforschung verankert sind. Wir hoffen selbstverständlich, dass wir die Politik so beeinflussen können. Auch wenn wir die Entscheidungsträger vielleicht nicht erreichen: Ein Weg zur Verbesserung der Politik besteht in der Ausbildung von Studierenden, die später entscheidende Funktionen übernehmen und die aufgrund ihrer theoretischen und methodischen Fertigkeiten gute von schlechten Studien unterscheiden können.
Wie viele Mitarbeiter haben Sie?
Ich habe eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, Dr. Margit Bussmann, die in den USA promoviert hat, und verschiedene Doktoranden. Zurzeit sind wir intensiv mit Kodierungsarbeiten beschäftigt. So halten wir möglichst präzise fest, wie viele Zivilisten in Bürgerkriegen durch wen verletzt oder getötet wurden und mit welchen Mitteln dies geschehen ist. Die Mitarbeiter etablieren, ob die Tötung von Zivilisten die eigentliche Absicht war oder im Rahmen einer anderen Aktion bewusst in Kauf genommen wurde. Andere Mitarbeiterinnen untersuchen beispielsweise die Organisation von Rebellenbewegungen oder die Re-Integration von ehemaligen Kindersoldaten in die Gesellschaft.
Ein weites Feld.
Stimmt. Es gibt auch nicht so viele Leute, die sich mit Konfliktforschung beschäftigen, so dass das Arbeitsfeld zwangsläufig eher breit abgesteckt ist. In Deutschland gibt es zwei Konfliktforschungszentren - eines in Hamburg, eines in Frankfurt. Und dann ist die Konfliktforschung auch bei Professuren angesiedelt. Rund 40 gibt es für Internationale Politik, mit Konfliktforschung im eigentlichen Sinn befassen sich vielleicht acht bis zehn Professuren in Deutschland. Insgesamt gibt es in Deutschland schätzungsweise rund 75 professionelle Konfliktforscher. Im Vergleich zu den Konjunkturforschern ist das eine absolut lächerliche Zahl.
Wollen Sie eine kurze Bilanz Ihrer Arbeit der vergangenen Jahre ziehen?
Das Konflikt- beziehungsweise Kriegsrisiko ist im letzten Jahrzehnt gesunken. Die Welt ist deswegen aber nicht weniger gewaltbereit: "Ersatz" gibt es für gewaltbereite Akteure durch terroristische Aktionen. Bin Laden würde am liebsten einen Bürgerkrieg in Saudi-Arabien anzetteln, um an die Macht zu kommen. Das geht aber nicht so schnell - das Land und das Königshaus sind dafür zu stabil. Eine mittelfristige Lösung für ihn ist Terrorismus.
Terrorismus ist billiger als Krieg.
Ja. Und hat eine fast ähnlich große Wirkung. Solange der Konflikt zwischen Israel und Palästina sowie seinen Nachbarn nicht gelöst ist, ist nicht mit einem Abflauen zu rechnen. Letztlich geht es um politische Ziele und in den meisten Fällen darum, Macht zu erringen. Die persönliche Bereicherung kann dabei ein längerfristiges Nebenziel sein. Ich halte es mit Carl von Clausewitz: Gewalt ist nur ein Instrument für diese politischen und wirtschaftlichen Ziele.
Zur Person:
Gerald Schneider ist seit 1997 Professor für Internationale Politik an der Universität Konstanz. Er hat Politikwissenschaft, Volkswirtschaft und Geschichte an der Universität Zürich studiert und dort auch 1991 mit einer Arbeit zu den Planungshorizonten von Regierungen promoviert. Nach einem Post doc-Aufenthalt an der University of Michigan (Ann Arbor) war Gerald Schneider von 1992 bis 1995 chargé d?enseignement am Institut universitaire de hautes études internationales in Genf und von 1994 bis 1997 Programmdirektor an der Universität Bern. An der Universität Konstanz wirkte Gerald Schneider von 1995 bis 1996 als Vertreter einer Professur. 1996 bis 1997 war er Professor für Internationale Politik an der Universität Stuttgart. Neben der Konfliktforschung ist die Analyse von Entscheidungsprozessen in der EU sein Hauptschwerpunkt der Forschung und Lehre; seit 2000 ist er geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift "European Union Politics". Für die Fachvereinigung "International Studies Association" amtiert er derzeit zusammen mit Dr. Sabine Carey (Nottingham) als Program Chair für das 50. Jahrestreffen, das im Februar 2009 rund 5000 Teilnehmern nach New York bringen wird.
Gerald Schneider ist kürzlich in den Auswahlausschuss der "National Science Foundation" berufen worden, der sich mit der Auswahl von Großprojekten im Rahmen einer amerikaweiten Ausschreibung zur Konflikt- und Terrorismusforschung beschäftigt. Dieses Gremium wird die Ausrichtung der Konfliktforschung für die nächsten zehn bis 15 Jahre maßgeblich mitbestimmen.
Prof. Dr. Gerald Schneider
Bild: Universität Konstanz / Pressestelle
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Criteria of this press release:
Politics
transregional, national
Research results
German
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