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Auf in den Osten, der ,Nischel" ruft Großveranstaltung des Cartellverbandes katholischer Verbindungen in Chemnitz
Zu DDR-Zeiten waren sie verboten - die Studentenverbindungen oder Korporationen. Sie galten - manchmal nicht ganz zu Unrecht - als revanchistisch, als rückwärtsgewandt und rechtsextrem. Doch seit der Wende sind sie auch an den ostdeutschen Universitäten wieder im Kommen, wenn sie auch bisher nur eine winzige Minderheit der Studenten angezogen haben. Als besonders einflußreich gilt seit jeher der Cartellverband katholischer deutscher Studentenverbindungen (CV), der auf eine fast 140jährige Geschichte zurückblicken kann. Rund 125 Studentenverbindungen gehören ihm an. Und der führt jetzt, erstmals nach der Wende, nach Nazi-, Besatzungs- und DDR-Zeit, wieder eine offizielle Großveranstaltung in den neuen Ländern durch - von Freitag, dem 26. September, bis Sonntag, dem 28. September, in Chemnitz.
Anlaß ist das 75jährige Gründungsjubiläum des Philister-Zirkels "Nischel" Chemnitz-Westsachsen. Mit Philistern sind in der Sprache der Studentenverbindungen die "Alten Herren", also die berufstätigen Akademiker, gemeint. Wer einer Studentenverbindung beitritt, gehört ihr nämlich in der Regel für den Rest seines Lebens an, also auch nach dem Studium. Dann allerdings halten sich die "Altherren" aus dem Verbindungsleben heraus. Sie unterstützen allerdings durch ihre Beiträge Veranstaltungen und finanzieren insbesondere die Verbindungshäuser, in denen die studentischen Mitglieder preiswert wohnen können. Nicht selten haben es die Altherren weit gebracht und sitzen an Schaltstellen in Politik und Wirtschaft: Außenminister Klaus Kinkel, Forschungsminister Jürgen Rüttgers oder der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer etwa sind allesamt "Cartellbrüder", und auch der Bundesbeauftragte für die neuen Länder, Rudi Geil, gehört einer (konkurrienden) Verbindung an. Die Studenten dagegen, die "Aktiven", sind meist in der Minderzahl: Bei den CVern stellen sie nur etwa 4.000 der rund 32.000 Mitglieder.
Der Name "Nischel" für den Chemnitzer Ableger des CV ist natürlich jüngeren Datums, ihn gab es noch nicht, als sich im November 1922 sieben CV- Mitglieder trafen, um den Chemnitzer Philisterzirkel zu gründen. Und nur weil ein Mitglied von damals, Anton Salomon, noch lebte, war überhaupt ein Anknüpfen an die Tradition möglich. Heute zählen die Chemnitzer Philister wieder rund 40 Mitglieder. Nur mit Studenten sieht es noch mau aus: Erst ein einziger, aus dem Westen zugezogener, ist bisher dabei. Das mag auch daran liegen, daß Aufnahmebedingungen gelten, die nur wenige Sachsen erfüllen können: die Mitglieder müssen katholisch und - männlich sein. Doch unter der Hand läßt man wissen, daß zumindest die erste Bedingung recht weitherzig ausgelegt wird. Und auch der für die meisten Verbindungen typische Ausschluß der Frauen wird zumindest bei den CV-Leuten immer häufiger kontrovers diskutiert und wird wohl auf Dauer nicht so bleiben.
Überhaupt unterscheiden sich die Cartellverbandsmitglieder in vielem von anderen Verbindungen. So sind die CVer nichtschlagend - eine Mensur, also den Zweikampf mit Säbeln und der damit verbundenen Verletzungsgefahr, kennen sie nicht. Sie würde auch nicht zu dem katholischen Anspruch passen: früher wurden mensurenschlagende Studenten exkommuniziert, also aus der Kirche ausgeschlossen. Und auch von rechtsgewirkten Verbindungen, wie es sie immer noch gibt, die sich nach einem Großdeutschen Reich zurücksehnen, hält man sich fern. Die Grundsätze Freundschaft, Wissenschaft und Vaterland gelten aber auch für die CVer, wobei man unter dem Vaterland heute meist ein "Vaterland Europa" versteht.
Folgerichtig werden zum Jubiläum des Chemnitzer Zirkels auch Verbindungen aus anderen Ländern ihre Aufwartung machen: aus den deutschsprachigen Ländern Schweiz und Österreich, aber auch unter anderem aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und Osteuropa. Die sind mit den Deutschen zusammen im Europäischen Kartellverband vereint. Und noch etwas steht während des Treffens an: die Übergabe des sogenannten Vorortes. Damit ist der CV-Vorstand gemeint, der jedes Jahr aus einer anderen deutschen Universitätsstadt kommt. In den vergangenen zwölf Monaten war das Karlsruhe, ab Sonnabend dieser Woche wird es Köln sein. Die Übergabe findet jedoch immer an einem neutralen, dritten Ort statt, diesmal eben in Chemnitz.
Klar, daß sich dazu auch hochkarätige Gäste angesagt haben. Eröffnet werden die Feierlichkeiten, über die der Chemnitzer Oberbürgermeister Peter Seifert die Schirmherrschaft übernommen hat, am Freitag, dem 26. September, um 19 Uhr im Industriemuseum. Nach der Begrüßung wird Dr. Ehrhart Neubert von der Berliner Gauck-Behörde ein Referat über die "Rolle von Opposition und Kirche im SED-Staat und die religiöse Situation heute" halten. Am Sonnabend geht es um 17 Uhr mit einem Empfang im Rathaus weiter, dem sich ein Abendessen anschließt. Um 20 Uhr ist dann im Forum in der Brückenstraße der feierliche Übergabekommers angesagt. Musikalisch umrahmt wird die Veranstaltung von einer Bergmannskappelle. Vorgesehen ist auch eine Ansprache zum Thema "Welche Vielfalt bringt die Einheit?", die der schon erwähnte Rudi Geil halten wird.
Der Sonntag ist dann, wie bei einem katholischen Verband nicht anders zu erwarten, der Religion gewidmet. Um 10 Uhr treffen sich die Teilnehmer zu einer Matinée im Renaissance-Saal des Schloßbergmuseums. Sachsens Wissenschaftsminister Prof. Hans Joachim Meyer, zugleich Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und damit ranghöchster katholischer Laie, wird dort über "Elitenbildung - Anspruch oder Ausgrenzung?" sprechen. Um 11.30 Uhr geht's dann in die Schloßkirche zum feierlichen Hochamt. Gelesen wird es gemeinsam von dem cartellverbandseigenen Seelsorger Prof. Friedrich Diedrich und dem Chemnitzer Studentenpfarrer Thomas Körner, die Predigt hält der Leiter der Katholischen Akademie in Dresden, Prälat Bernhard Rachwalski. Übrigens: zu allen Jubiläumsveranstaltungen sind auch Frauen willkommen.
(Autor: Hubert J. Gieß)
Aus Anlaß des Cartellverbands-Treffens findet am Samstag, dem 27. September, um 16.30 Uhr im Chemnitzer Rathaus eine Pressekonferenz der Veranstalter statt. Sollten Sie daran teilnehmen wollen, melden Sie sich bitte bis zum 26. September, 12 Uhr, unter der Rufnummer 0371/350348 Peter W. Patt) an, damit eine Pressemappe für Sie bereitgestellt werden kann.
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