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Bochumer Medizinethiker veröffentlichen Umfrage-Ergebnisse
Palliativmediziner führen bei mehr als drei Vierteln ihrer Patienten in der letzten Lebensphase Maßnahmen der Symptomlinderung mit einer möglichen Lebensverkürzung durch. Das hat eine Studie von Medizinethikern der Ruhr-Universität ergeben. In Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin haben die Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann erstmals ärztliche Mitglieder der Fachgesellschaft zu ihren Therapieentscheidungen befragt und konnten 780 Todesfälle auswerten.
In 69% der Fälle wurden therapeutische Maßnahmen begrenzt und für einen Teil der betroffenen Patienten ein früherer Todeseintritt erwartet. In zehn Fällen gaben die Ärzte sogar an, den Tod des Patienten absichtlich herbeigeführt zu haben. Erste Ergebnisse der anonymen Befragung werden heute in der Fachzeitschrift Palliative Medicine veröffentlicht.
Erste Befragung von Palliativmedizinern
Die richtigen Entscheidungen am Lebensende zu treffen gehört zu den wichtigsten ethischen Herausforderungen in der modernen Medizin. Das „Patientenverfügungsgesetz“, die neue Rechtsprechung des Bundegerichtshofs zur Sterbehilfe und die öffentlich gewordenen Fälle der ärztlichen Beihilfe zum Suizid in Deutschland beschäftigen Ärzte und Patienten. Über die tatsächliche Praxis am Lebensende war dagegen bisher wenig bekannt. Das Forscherteam der RUB befragte nun mit dem Fragebogen des EURELD (European End of Life Decision)-Consortiums erstmals Palliativmediziner zu ihren Handlungen am Lebensende bei dem zuletzt verstorbenen Patienten.
Symptomlinderung und Therapiebegrenzung
Demnach gaben die Ärzte in 78% der 780 ausgewerteten Fälle an, Symptomlinderung mit einer möglicherweise resultierenden Verkürzung des Lebens durchgeführt zu haben. In 69% der Fälle wurden medizinische Maßnahmen begrenzt, wodurch sich die Lebenszeit möglicherweise verkürzt hat. In zehn Fällen wurde der Tod gezielt durch Substanzen herbeigeführt: in neun Fällen durch den Arzt und in einem Fall durch den Patienten selbst. Ärzte mit einer Zusatzbezeichnung Palliativmedizin gaben signifikant seltener an, Maßnahmen zur absichtlichen Lebensverkürzung durchgeführt zu haben. In 47 Fällen wurden die Patienten nicht über eine mögliche Lebensverkürzung informiert, obgleich sie zum Zeitpunkt der Entscheidung als selbstbestimmungsfähig eingeschätzt wurden. Das „beste Interesse des Patienten“ beziehungsweise „die Vermeidung eines möglichen Schadens“ wurden als Gründe für ein solches Vorgehen angegeben, das in der Tradition der paternalistischen Arzt-Patient-Beziehung steht.
Bemerkenswert: Lebensverkürzung oft beabsichtigt
Die Forscher weisen darauf hin, dass die Studienergebnisse aufgrund der gewählten Zielgruppe – ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin – nicht auf die gesamte Ärzteschaft in Deutschland übertragen werden können. „Es ist jedoch bemerkenswert, dass ein Teil der befragten Ärztinnen und Ärzte, insbesondere in der Gruppe der Befragten ohne palliativmedizinische Zusatzbezeichnung, eine Verkürzung des Lebens als Konsequenz ärztlichen Handelns nicht nur vorhersieht sondern beabsichtigt”, so Dr. Jan Schildmann vom Institut für Medizinische Ethik der RUB.
Ärzteschaft diskutiert
Die Studie wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, an dem professionell ärztliches Vorgehen am Lebensende auch innerhalb der Ärzteschaft in Deutschland kontrovers diskutiert wird. So befürworteten in einer vor wenigen Wochen veröffentlichten repräsentativen Befragung der Bundesärztekammer zur Einstellung von Ärzten gegenüber der Sterbehilfe ein Drittel der befragten Ärzte die ärztliche Beihilfe zum Suizid in bestimmten Fällen. In ihren „Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung“ lehnt die Bundesärztekammer die ärztliche Beihilfe zur Selbsttötung des Patienten bisher kategorisch ab. Allerdings wird auch in Gremien der verfassten Ärzteschaft neuerdings diskutiert, ob die in den Grundsätzen enthaltene Bewertung der Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung als eine dem ärztlichen Ethos widersprechende Handlung geändert werden soll.
Grundlage für eine ehrliche Debatte
„Die offiziellen Verlautbarungen zum ärztlichen Standesethos stimmen offenbar nicht mit den moralischen Bewertungen und Handlungen zahlreicher Ärztinnen und Ärzte in Deutschland überein“, sagt Prof. Vollmann. „Die neuen empirischen Forschungsergebnisse sollten als Grundlage für eine ehrliche Debatte über zeitgemäße ethische Richtlinien zum ärztlichen Handeln am Lebensende genutzt werden“.
Forschungsförderung
Die empirische Untersuchung ist Bestandteil klinisch-ethischer Forschungsvorhaben, die im Rahmen der durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie geförderten NRW-Nachwuchsforschergruppe „Medizinethik am Lebensende: Norm und Empirie“ (Leiter: Dr. med. Jan Schildmann, M.A.) durchgeführt werden.
Titelaufnahme
Schildmann J, Hoetzel J, Mueller-Busch C, Vollmann J: End-of-life practices in palliative care: a survey among physician members of the German Society for Palliative Medicine. In: Palliative Medicine, Online First, 6.9.2010, DOI: 10.1177/0269216310381663
Weitere Informationen
Prof. Dr. med. Dr. phil. Jochen Vollmann, Dr. med. Jan Schildmann, Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum, Malakowturm, Markstr. 258a, 44799 Bochum, Tel.: 0234/32-23394, E-Mail: jochen.vollmann@rub.de, E-Mail:jan.schildmann@rub.de, http://www.rub.de/malakow
Redaktion: Meike Drießen
Criteria of this press release:
Medicine, Philosophy / ethics, Social studies
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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