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Wissenschaft
Essen – In Deutschland leben mehr als 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Studien belegen, dass Migranten bei Scheidungen oder familiären Krisen psychisch verletzbarer sind als Einheimische. Sie suchen sich dabei auch seltener medizinische Hilfe. Hürden sind vor allem fehlende Sprachkenntnisse bei den Zugereisten und fehlende Kulturkenntnisse bei den behandelnden Ärzten. Wie eine muttersprachliche Psychotherapie die Therapietreue der Patienten verbessert und Diagnosen zuverlässiger macht, diskutieren Experten auf dem Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Dieser findet vom 23. bis 26. März 2011 in Essen statt.
Türkische Migrantinnen leiden unter Eheproblemen erheblich mehr als etwa westeuropäische Frauen. In einer Untersuchung gaben sie an, dass ehelicher Streit und Trennung für sie die größte psychische Belastung darstellt – noch vor Ereignissen wie dem Tod eines Angehörigen oder einer schweren Krankheit. „Der enge Zusammenhang zwischen einer gescheiterten partnerschaftlichen Beziehung und einer posttraumatischen Belastungsstörung kann mit der sehr hohen Wertigkeit der Ehe in bestimmten Kulturen und besonders im Kontext der Heiratsmigration erklärt werden“, sagt Privatdozentin Dr. med. Yesim Erim vom Universitätsklinikum Essen. Diesen Frauen sei deshalb nicht mit dem Rat geholfen, sich doch vom Ehemann loszusagen und ein eigenes Leben anzufangen. „Das würde verkennen, dass es für türkischstämmige Frauen kein Rollenmuster für die Gestaltung des sozialen Lebens nach einer Trennung oder Scheidung gibt“, so die Ärztin und Psychotherapeutin. Dies ändere sich jedoch zunehmend. „Auch suchen erstmals türkische Männer nach psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten. Alleine zu wohnen und alleinerziehend zu sein, bereiten ihnen Probleme“, schildert Erim ihre Erfahrungen aus der interkulturellen Ambulanz in Essen.
Bislang finden hierzulande Migranten in erster Linie deutsche und damit deutschsprachige Psychotherapeuten vor. „Das ist insofern problematisch, als zahlreiche psychische Belastungen nur vor dem Hintergrund ihres kulturellen Kontextes verstehbar werden“, sagt Erim. Auch die muttersprachliche Behandlung sei hilfreich, denn Patienten nehmen eine Therapie dann eher in Anspruch. Der Therapeut könne zudem sicherer beurteilen, ob eine psychische Störung vorliegt.
Nach Ansicht von Wissenschaftlern bestimmen Normen und Erwartungen einer Kultur unseren Gefühlshaushalt viel stärker als bislang angenommen: „Dieser Erkenntnis müssen wir Rechnung tragen und die Psychotherapie interkulturell ausrichten“, fordert die Expertin. Während beispielsweise eine Abtreibung in Russland nur selten ein psychisches Trauma bei den Betroffenen auslöse, sei es in den USA ganz anders: Dort geht eine Abtreibung sehr häufig mit einer schweren seelischen Krise einher. „Die kulturellen Standards eines Landes entscheiden mit darüber, was einen Menschen seelisch krank werden lässt.“
Psychotherapie müsse in Zukunft mehr sein als eine Therapiemethode westeuropäischer Prägung. „Nur wenn wir uns auf die Probleme und Denkweise der Migrantinnen und Migranten einlassen“, so Erim, „wird es uns gelingen, die Akzeptanz von Psychotherapie bei den Zugereisten zu erhöhen.“ Dass dies nötig ist, belegen mehrere Gesundheitssurveys: Migranten erkranken häufiger an Depressionen und anderen seelischen Leiden als Einheimische. Inwiefern kulturelle Faktoren die Psyche unterschiedlich belasten und wie die Behandlung von Migranten verbessert werden sollte, ist auch Thema der Pressekonferenz im Rahmen des Deutschen Kongresses für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am 24. März 2011 in Essen.
Literatur:
Yesim Erim et al: Traumaerlebnisse, Posttraumatische Belastungsstörung und Kohärenzgefühl bei türkischsprachigen Patienten einer psychosomatischen Universitätsambulanz, In: Zeitschrift für Medizinische Psychologie, 2009, 18, 108-116
Psychotherapie im Dialog 11 (4): Schwerpunktheft Migration
Terminhinweis:
Kongress-Pressekonferenz
Donnerstag, 24. März 2011, 12.45 bis 13.45 Uhr, Konferenzraum N (Congress Center Süd, Essen)
Themen und Referenten
+ Krankmachende Arbeitswelt, psychosoziale Krisen und Traumata
Wie können Menschen psychosoziale Belastungen besser bewältigen?
Professor Dr. med. Wolfgang Senf
Kongresspräsident für die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM), Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universität Duisburg-Essen
+ Interdisziplinarität: Welche Rolle spielt die Psychosomatik in der Medizin?
Professor Dr. med Hans Georg Nehen
Kongresspräsident für das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin (DKPM), Direktor der Klinik für Geriatrie, Elisabeth-Krankenhaus Essen
+ Jeder vierte Krebspatient leidet an psychischen Störungen:
Wie lassen sich Belastungen der Erkrankung mithilfe der Psychoonkologie verbessern?
Professor Dr. med. Dipl.-Psych. M.E. Beutel
Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Universitätsklinikum Mainz
+ Psychosomatische Behandlung von Menschen aus anderen Kulturkreisen:
Wie sehr steuert die Kultur unsere Gefühle?
Privatdozentin Dr. med. (TR) Yesim Erim
Leitende Oberärztin an der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Duisburg-Essen
+ Körperliche Beschwerden ohne Befund: eingebildete Krankheit oder echtes Leiden?
Professor Dr. med. Peter Henningsen
Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin, Klinikum rechts der Isar der TU München Klinikum rechts der Isar der TU München
+ Psychische Störungen nach Gewalterfahrungen
Professor Dr. med. Johannes Kruse
Stellvertretender Vorsitzender DGPM, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Gießen
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Kongressveranstaltungen zum Thema:
Plenarveranstaltung: Interkulturelle Psychosomatik: Alle gleich und doch verschieden?
Freitag, 25. März 2011, 9.00 bis 12.30 Uhr, Congress Center West, Saal Europa
Symposium: Interkulturelle Psychosomatik
Freitag, 25. März 2011, 14.00 bis 15.30 Uhr, Congress Center West, Saal Berlin
State of the Art: Interkulturelle Aspekte in der Psychotherapie
Freitag, 25. März 2011, 16.00 bis 17.30 Uhr, Congress Center Süd, Konferenzraum T
Pressekontakt für Rückfragen:
Deutscher Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Pressestelle
Anne-Katrin Döbler, Christine Schoner
Postfach 30 11 20, 70451 Stuttgart,
Tel: 0711 8931-573; Fax: 0711 8931-167
schoner@medizinkommunikation.org
http://www.deutscher-psychosomatik-kongress.de
Criteria of this press release:
Journalists
Medicine
transregional, national
Press events, Scientific conferences
German
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