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Weder gut noch schlecht fühlt sich die Mehrheit der Deutschen von ihren Politikern vertreten, während die Franzosen richtig unzufrieden sind mit ihrem politischen System. So ein erstes Ergebnis des Forschungsprojekts „Citizens and Representatives in France and Germany“, an dem Politikwissenschaftler der Universitäten Stuttgart, Halle und der Sciences Po Bordeaux kooperieren. Die Studie unter der Leitung von Prof. Oscar W. Gabriel vom Institut für Sozialwissenschaften der Uni Stuttgart befasst sich mit der politischen Repräsentation in Deutschland und Frankreich, insbesondere mit der Vertretung der Bevölkerung durch die Abgeordneten in den nationalen Parlamenten und auf Ebene der Wahlkreise. Damit wird ein Kernelement der Demokratie erstmals in vergleichender Perspektive umfassend beleuchtet.
Im Rahmen einer Bevölkerungsumfrage in Deutschland und Frankreich untersuchten die Wissenschaftler, wie die Bürgerinnen und Bürger über ihre Abgeordneten sowie deren Tätigkeiten und Leistungen denken. Erste Ergebnisse zeigen, dass sich politische Repräsentation im deutsch-französischen Ländervergleich stark unterscheidet: So fühlen sich mehr als die Hälfte der französischen Bevölkerung schlecht oder sehr schlecht im politischen System vertreten (64,7 Prozent), während die Deutschen überwiegend angeben, sich weder gut noch schlecht repräsentiert zu fühlen (50,2 Prozent). (siehe Grafik 1 am Textende)
Differenziert man obigen Gesamtwert nach politischen Institutionen oder Akteuren, so zeigt sich, dass die Regierung in Frankreich ihre Bürger wesentlich schlechter repräsentiert als die Deutsche. So fühlen sich 62,2 Prozent der Franzosen schlecht oder sehr schlecht von der Regierung vertreten, in Deutschland liegt der Wert bei 35 Prozent. Auch ihrem Parlament sowie den eigenen Abgeordneten stehen jeweils rund 53 Prozent der Franzosen kritisch gegenüber. Die Deutschen hingegen stehen den Abgeordneten skeptischer gegenüber als dem Parlament: 37,4 Prozent geben an, sich vom eigenen Abgeordneten schlecht oder sehr schlecht vertreten zu fühlen, nur 27 Prozent sagen dies bezüglich des Parlaments.
Mit Blick auf die Repräsentanz der Bürger bei bestimmten Einzelaspekten fällt das Ergebnis in beiden Ländern relativ schlecht aus, wobei auch in diesem Fall die Franzosen mit einem Wert von 3,75 auf einer Skala von 1 (sehr gut repräsentiert) bis fünf (überhaupt nicht repräsentiert) kritischer dastehen als die Deutschen (3,08). Während sich die französischen Bürger in ihren ökonomischen Interessen und bei wichtigen Themen am schlechtesten repräsentiert fühlen, sind die kritischsten Werte für Deutschland bei der Vertretung von Interessen als Mitglied einer bestimmten Gruppe zu finden sowie – genau wie in Frankreich – bei Themen, die dem Bürger wichtig sind.
Ob es um die Repräsentation des Wahlkreises im Parlament geht, um faires Verhalten gegenüber den Wählern, Kontakt mit den Bürgern, die Berücksichtigung der Interessen der Bevölkerung, Unabhängigkeit gegenüber Lobbyisten, angemessenes Verhalten oder Offenheit und Toleranz: Den Ansprüchen ihrer Bevölkerung werden die Parlamentarier bei Weitem nicht gerecht. Gerade diese Aspekte sind interessanterweise den Franzosen weitaus wichtiger als deutschen Bürgern. Einem einzigen Anspruch immerhin werden die Parlamentarier in beiden Ländern gerecht: der Loyalität zu ihrer Partei.
Die Differenzen zwischen der Rollenanforderung der Bevölkerung und der Erfüllung dieser Aufgaben sind in der französischen Bevölkerung stärker (und negativer) ausgeprägt als in Deutschland. Dennoch ist die Akzeptanz der Demokratie in beiden Ländern nahezu identisch: fast zwei Drittel der Bevölkerung präferieren das Modell der direkten Demokratie, die übrigen optieren für die repräsentative Demokratie – obwohl die französischen Bürger sich im politischen System schlechter vertreten fühlen als die Deutschen.
Petitionen in Deutschland, Streiks in Frankreich
Doch wirken die Bürger beider Länder ihrem Unmut aktiv entgegen – und welche Wege gehen sie dabei? Hier zeigen sich deutliche Unterschiede. So sind in Frankreich Protestaktivitäten wie Demonstrationen oder wilde Streiks weitaus stärker ausgeprägt als in Deutschland. Deutsche dagegen beteiligen sich eher an Petitionen (50,9 Prozent, Franzosen 27,3 Prozent). Auch die aktive Mitarbeit in Vereinen oder Verbänden ist unter deutschen Bürgern mit 41,2 Prozent gängiger als unter Franzosen (34,5 Prozent). Parteiarbeit wird in beiden Ländern nur von einem geringen Teil der Bevölkerung ausgeübt, der in Frankreich bei sechs und in Deutschland bei acht Prozent liegt. Häufiger (19 Prozent) nehmen Bürger beider Länder Kontakt zu Politikern auf. (siehe Grafik 2)
Weitere Informationen bei Prof. Oscar W. Gabriel und Mirjam Dageförde,
Institut für Sozialwissenschaften, Abteilung für Politische Systeme und Politische Soziologie, Tel. 0711/685-83430 oder -83434,
<e-mail mirjam.dagefoerde@sowi.uni-stuttgart.de>
Vertretenheitsgefühl der Bürger in Deutschland und Frankreich
Quelle: DFG-Projekt „Citizens and Representatives in France and Germany“, 2010, Angaben in Prozent.
None
Politische Partizipation in Deutschland und Frankreich
Quelle: DFG-Projekt „Citizens and Representatives in France and Germany“, 2010, Angaben in Prozent.
None
Criteria of this press release:
Journalists
Politics, Social studies
transregional, national
Research projects
German
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