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Wie sich das Nervensystem unter Schwerelosigkeit entwickelt
"Weltraum-Grillen" ins Gehirn schauen
Jena (30.04.98) Wenn Samstag nacht die Weltraumfaehre "Columbia" in Florida landet, warten auch Forscher der Friedrich-Schiller-Universitaet Jena darauf, dass zahlreiche 'Forschungs-Grillen' wieder die Erde betreten. Die Versuchstiere, die als Larven oder Eier die Erde verliessen, sind waehrend der 16-taegigen Weltraummission bewusst der Schwerelosigkeit ausgesetzt worden, um ihr Nervensystem erforschen zu koennen. Untersucht wird der Einfluss der fehlenden Schwerkraft auf die Entwicklung des Schweresinnsystems und der Nervenbahnen. Die Grille ist dafuer sehr gut geeignet, weil die Nervenzellen (Neuronen) bei jedem Tier am selben Ort sind. Die Resultate der Grillenforschung lassen auch Rueckschluesse ueber die Entwicklung des Nervensystems sowie ueber krankhafte Zustaende und Veraenderungen des Gleichgewichts- und Schweresinnes bei hoeher entwickelten Organismen bis zum Menschen zu.
Das Weltraum-Experiment, das von Professor Horn (Uni Ulm) initiiert wurde, wird von PD Dr. Hans-Juergen Agricola (Institut fuer Allgemeine Zoologie der Uni Jena) und seiner vorwiegend studentischen Arbeitsgruppe in Jena ausgewertet. Der Neurobiologe ist von den Ulmer Kollegen aufgrund seiner Erfahrungen bei der Untersuchung des Nervensystems von Insekten, vor allem den "hervorragenden Antikoerperfaerbungen", ausgewaehlt worden.
Das Nervensystem steuert das Verhalten jedes einzelnen Menschen und Tieres. "Eine Spinne beispielsweise baut ihr Netz, ohne es im individuellen Leben gelernt zu haben", erlaeutert Dr. Agricola. Wie dieses komplexe Handeln im Koerper verschluesselt ist, versucht der Neurobiologe zu ergruenden. "Da das Verhalten arteigen ist, sind genetische Programme zu vermuten, die im Verlauf der Entwicklung des Embryos die Verknuepfung von Nervenzellen mit den jeweiligen Zielzellen zu funktionstuechtigen Nervennetzen realisieren", lautet seine Arbeitshypothese. Allerdings wuerde die Gesamtheit aller Gene fuer die beobachteten milliardenfachen Verknuepfungen der Nervenzellen nicht ausreichen. Die Neurobiologen sind sich daher einig, dass neben den Genen auch verschiedene Umweltfaktoren die Entwicklung des Nervensystems beeinflussen. Dabei muessen zum einen Zelleinfluesse wie Wachstumsfaktoren oder Hormone beruecksichtigt werden. Zum anderen beeinflusst die Aussenwelt ueber die Ernaehrung, ueber Erfahrungen und Erleben die neuronalen Aktivitaeten. "Ergebnis dieser nicht vollstaendig abgeklaerten Entwicklungsprozesse ist eine ungeheuere Vielfalt von Nervenzelltypen". "Bisher wurden sie nach ihrer Form und nach dem Gehalt ihrer informationsuebertragenden Substanzen, den Transmittern, differenziert", erlaeutert Agricola.
Dem Neurobiologen war es bereits in einem frueheren Projekt gelungen, "eine grosse Anzahl von Antikoerpern gegen klassische Transmitter und gegen neu identifizierte Neuropeptide der Insekten herzustellen". Mit diesen Antikoerpern untersuchte er gemeinsam mit einem Muenchener Kollegen das Nervensystem der Insekten. "Mit jedem Antikoerper gelang die Darstellung eines spezifischen Neuronenmusters", erkannte Agricola. "Hochrechnungen ergaben, dass wir etwa 100 verschiedene Neuronentypen im Nervensystem der Insekten annehmen koennen". Ausserdem stellten die Forscher fest, dass die Neuronen meistens zwei oder mehrere Transmitter aufweisen. "Die Natur nutzt also offensichtlich wieder einmal das Prinzip der Kombination, indem in jeder Nervenzelle ein spezifisches Netzwerk von Genen aktiv ist", sagt der Jenaer Forscher.
Agricola will ab Juni, wenn die Grillen in Jena eintreffen, untersuchen, ob die Schwerelosigkeit die Funktion der einzelnen Nervenzelle veraendert. Er glaubt, "dass die Weltraumforschung einen gewaltigen Schritt zur Klaerung dieser Fragen beitragen kann". "Sollte die Schwerelosigkeit als Umweltfaktor auf die Differenzierung von Nervenzellen bei sich entwickelnden Grillen Einfluss haben, so sind wir in der Lage, dieses auf der Ebene einzelner individualisierter Nervenzellen zu registrieren", ist sich der Neurobiologe sicher. Aus dem Vergleich mit Grillen, die der Schwerkraft ausgesetzt waren, koennte sich dann der Ort fuer spezielle Wachstumsfaktoren ablesen lassen.
Doch zunaechst hofft Agricola, dass das Space Shuttle und seine zwei- und mehrbeinige Besatzung sicher landet.
Kontakt: PD Dr. Hans-Juergen Agricola, Institut fuer Allgemeine Zoologie und Tierphysiologie der Universitaet Jena, D - 07740 Jena, Tel.: 03641/949133, Fax: 03641/949102, e-mail: bah@rz.uni-jena.de
Criteria of this press release:
Biology, Information technology
transregional, national
Research projects
German
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