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01/19/1998 00:00

Konvektion unter Schwerelosigkeit

Ulrich Thimm Presse, Kommunikation und Marketing
Justus-Liebig-Universität Gießen

    bitte Sperrfrist beachten: 23. Januar, 0:00 Uhr

    19. Januar 1998 Nr. 1

    Konvektion unter Schwerelosigkeit Gießener Experiment auf dem Space Shuttle

    Auf dem Space Shuttle "Endeavour", der am 22. Januar amerikanischer Zeit starten soll, fliegt ein Experiment der Universität Gießen mit. Prof. Dr. Dietrich Schwabe vom I. Physikalischen Institut untersucht damit die sogenannte Marangoni-Konvektion - Strömungen und Wirbel, die sich auch unter Schwerelosigkeit in Flüssigkeiten bilden können. Abgesehen von Fragestellungen der Grundlagenforschung ist der Effekt für die Elektronikindustrie von Interesse, weil er bei der Produktion von dotierten Siliciumkristallen aus der Schmelze stört.

    Kerzen brennen besonders gut, weil heiße Verbrennungsgase aufsteigen, die leichter sind als die kalte Umgebungsluft, doch erhalten Begriffe wie "leichter" und "schwerer" erst ihren Sinn unter dem Einfluß der Erdanziehung. Unter Schwerelosigkeit gibt es diese "thermische Konvektion" nicht. Würden die Astronauten auf der Space Shuttle wie bei Muttern Suppe kochen wollen, würde sie ihnen anbrennen, denn da die Schwerkraft fehlt, hätte die heiße Suppe keinen Grund, vom Topfboden aufzusteigen. Und doch bewegen sich auch unter Schwerelosigkeit noch Flüssigkeiten, wenn man sie einem Temperaturunterschied aussetzt und wenn sie eine freie Oberfläche - wie Kaffee in der Tasse - haben.

    Dahinter steckt die sogenannte Oberflächenspannung einer Flüssigkeit, die zum Beispiel dafür sorgt, daß sich Wassertropfen abkugeln oder manche Käfer übers Wasser laufen können. Weil die Oberflächenspannung ebenfalls von der Temperatur abhängt, wird die Flüssigkeitshaut von heißen zu kalten Stellen gezogen und nimmt durch die "Reibung" darunterliegende Flüssigkeitsschichten mit. Diese Marangoni-Konvektion ist auf der Erde beinahe untrennbar mit der thermischen Konvektion verknüpft. Unter Schwerelosigkeit fällt allerdings die thermische Konvektion weg, und so läßt sich unabhängig davon die Marangoni-Konvektion ungestört beobachten.

    Schon im Juni 1983 flog ein Gießener Experiment zu diesem Thema auf einem Shuttle-Flug mit. Prof. Schwabe entdeckte damals, daß die Marangoni-Konvektion nicht nur eine gleichmäßige Strömung verursacht, sondern sogar in Schwingungen umschlagen kann. Durch die geeignete Wahl der Flüssigkeit und Temperaturdifferenz kann inzwischen jedes Verhalten von gleichmäßiger Strömung bis chaotischer Wirbelbildung hervorgerufen werden.

    Modellflüssigkeit auf diesem Flug ist Natriumnitrat, das bei 307 Grad schmilzt und dann eine glasklare Flüssigkeit liefert. Ein Tropfen davon hängt zwischen zwei Graphitstempeln, die auf unterschiedlichen Temperaturen gehalten werden, und nimmt dort Zylinderform an. Kleine Aluminiumoxid-Partikeln machen dann die Struktur der Konvektion sichtbar. Die Erforschung der räumlichen und zeitlichen Strukturen der Marangoni-Strömung und ihres Übergangs zum Chaos bei Erhöhung der Temperaturdifferenz sind das Ziel des Experiments. Es dauert etwa zehn Stunden, eine Zeit, die von den Batterien, die den Strom für die Heizung liefern, begrenzt ist. Das Projekt wird von der Deutschen Anstalt für Luft- und Raumfahrt DLR geleitet, verantwortlich für die Umsetzung ist Daimler-Benz Aerospace. Die wesentlichen Komponenten - zwei Experimentkammern - wurden vom I. Physikalischen Institut der Universität Gießen gebaut.

    Für die Elektronikindustrie ist die Marangoni-Konvektion von Interesse, weil sie bei der Produktion von Siliciumkristallen einerseits stört, andererseits aber auch hilfreich sein könnte. Computerchips werden aus Scheiben eines einzelnen Siliciumkristalls gefertigt. Für Hochleistungselektronik - wie zum Beispiel Gleichrichter für ICE-Züge, die den Wechselstrom aus der Fahrleitung in Gleichstrom für den Motor umwandeln - wird besonders reines und homogenes Silicium benötigt, das noch über die Anforderungen der Computerindustrie hinausgeht. Normalerweise wird ein Siliciumkristall aus einem Tiegel gewonnen, in den ein kleiner Saatkristall getunkt und dann langsam herausgezogen wird. Noch reiner wird das Silicium, wenn ein Siliciumstab durch eine ringförmige Heizung geführt wird, die das Silicium aufschmilzt, so daß es danach zu einem einzigen Kristall kristallisieren kann. Allerdings herrschen in der zylindrischen flüssigen Zone an der freien Oberfläche große Temperaturdifferenzen und treiben deswegen eine Marangoni-Konvektion an, bei der es trotz der konstanten Energiezufuhr zu einer chaotischen Wirbelbildung kommt. Elemente wie Phosphor oder Arsen, die wegen der erwünschten Halbleitereigenschaft zugesetzt werden, durchmischen sich dann nicht mehr gleichmäßig mit dem erstarrendem Silicium, sondern lagern sich schichtartig verteilt ab. Andererseits beschleunigt die Marangoni-Konvektion das Abdampfen von Sauerstoff aus der Siliciumschmelze im Tiegel um das Drei- bis Zehnfache - ein durchaus erwünschter Effekt. Erst ein genaues Verständnis dieses Phänomens wird helfen, die Marangoni-Konvektion im Sinne der Elektronikindustrie auszunutzen.

    Kontaktadresse: Prof. Dr. Dietrich Schwabe I. Physikalisches Institut Heinrich-Buff-Ring 16 35392 Gießen Telefon (0641) 99-33150 Fax (0641) 99-33119 e-mail Dietrich.Schwabe@exp1.physik.uni-giessen.de

    Prof. Schwabe kann Fotos vom Experimentaufbau zur Verfügung stellen.


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    Criteria of this press release:
    Information technology, Materials sciences, Mathematics, Physics / astronomy
    transregional, national
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