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In Deutschland leben etwa drei Millionen Menschen, die ihre Wurzeln in der Türkei haben. Was aber wissen die Deutschen über die Geschichte der Türkei? Der Bochumer Historiker Stefan Plaggenborg stellt erstmals die Frage nach dem historischen Ort der Geschichte dieses Landes im 20. Jahrhundert und findet sie im europäischen Kontext. Er schrieb eine vergleichende Untersuchung zum Kemalismus in der Türkei, zum italienischen Faschismus und zum sowjetischen Sozialismus, die vor kurzem unter dem Titel „Ordnung und Gewalt“ im Oldenbourg-Verlag erschienen ist.
Gemeinsame Ausgangslagen
Im Ersten Weltkrieg brachen die alten Ordnungen und Imperien zusammen. Aus Krise und Krieg gingen der sowjetische Sozialismus, der Kemalismus in der Türkei und der italienische Faschismus zeitgleich hervor. Die neuen Regime drückten der Geschichte des 20. Jahrhunderts ihren Stempel auf. Nicht die unterschiedlichen Ideologien sind der entscheidende Aspekt, sondern die Art und Weise, wie die Regime auf die Herausforderungen ihrer Epoche reagierten. Sie versuchten, den Staat, die Gesellschaft, die Kultur, ja selbst den Menschen in seinem Denken und Verhalten völlig neu einzurichten. Daraus entstanden verschiedene Formen der Diktatur. Der italienische Faschismus brach 1945 endgültig zusammen, das sozialistische Experiment in der Sowjetunion 1991, nur die Grundlagen des Kemalismus haben bis heute überlebt. „Wer die Türkei verstehen möchte, muss sie in diesen Zusammenhängen begreifen“, so Prof. Plaggenborg.
Massenmord und Führerkulte
Es gibt zahlreiche Gemeinsamkeiten der drei Regime. Plaggenborg analysiert u.a. den Weg in die Diktatur, der in allen drei Fällen gewaltsam vonstattenging. Aber mit welch unterschiedlichen Dimensionen: Es heißt Abstand zu nehmen von der lang gehegten Vorstellung, der Faschismus sei ein Synonym für Gewalt. Viel mehr gilt dies für den Bolschewismus, nicht aber für den Kemalismus. Auch die Führerkulte um Atatürk, Mussolini, Lenin und Stalin prägten die Gesellschaften auf je eigene Weise. Und schließlich hatten die drei Regime mit den mächtigen Traditionen der Religion und Frömmigkeit zu kämpfen.
Fellowship in Freiburg
Die Studie wurde während eines 15-monatigen Fellowships an der Exzellenzeinrichtung Freiburg Institute of Advanced Studies gefördert. Das Fellowship entbindet vom akademischen Betrieb, um in Ruhe und im Austausch mit anderen Fellows eine Monographie schreiben zu können. In der Zeit wird die Professur vertreten.
Titelaufnahme
Stefan Plaggenborg, Ordnung und Gewalt. Kemalismus – Faschismus – Sozialismus. Oldenbourg-Verlag, München 2012. ISBN 978-486-71272-8
Weitere Informationen
Prof. Dr. Stefan Plaggenborg, Ruhr-Universität Bochum, Historisches Institut, Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte, Tel. 0234/32-22635, oeg@rub.de
Homepage: http://www.ruhr-uni-bochum.de/oeg/
Redaktion: Jens Wylkop
Criteria of this press release:
Journalists
History / archaeology, Politics
transregional, national
Scientific Publications
German
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