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09/03/2012 12:40

Entschädigung für NS-Zwangsarbeit: RUB-Historiker veröffentlicht vier Bände

Dr. Josef König Pressestelle
Ruhr-Universität Bochum

    Mehr als rund 4,4 Milliarden € hat Deutschland zwischen 2001 und 2007 an 1,66 Millionen ehemalige NS-Zwangsarbeiter in 98 Ländern ausbezahlt. Das groß angelegte Projekt zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ unter der Leitung von Prof. Dr. Constantin Goschler (RUB) ist im Frühsommer 2012 abgeschlossen worden. Am 4. September erscheinen die Ergebnisse in vier Bänden im Wallstein-Verlag.

    Entschädigung für NS-Zwangsarbeit: Von internationalen Verhandlungen zu lokalen Praktiken
    Über die Wirkung materieller und symbolischer Wiedergutmachung nach über 60 Jahren
    RUB-Historiker: Vier Bände über die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“

    Mehr als rund 4,4 Milliarden € hat Deutschland zwischen 2001 und 2007 an 1,66 Millionen ehemalige NS-Zwangsarbeiter in 98 Ländern ausbezahlt. Erwartete man anfangs, die Opfer würden das Geld eher als symbolische Anerkennung empfinden, so stellte sich nachträglich heraus, dass sie die Entschädigung unterschiedlich bewertet haben - je nach ökonomischer Lage und persönlicher Erinnerung an die Zwangsarbeit. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“. Das von der Stiftung EVZ finanziell geförderte groß angelegte Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Constantin Goschler (Zeitgeschichte, Ruhr-Universität Bochum) ist im Frühsommer 2012 abgeschlossen worden. Morgen, am 4. September, erscheinen die vier Bände „Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft‘ und ihre Partnerorganisationen“ im Göttinger Wallstein-Verlag.

    Vor allem Opfer im Osten entschädigt

    Nach langwierigen internationalen Verhandlungen, die in der deutschen und internationalen Presse auf große Aufmerksamkeit stießen, wurde im Sommer 2000 in Berlin die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gegründet. Mit etwa 5,1 Milliarden €. DM ausgestattet und jeweils zur Hälfte vom Bund und der deutschen Wirtschaft finanziert, sollte die Stiftung fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs ehemaligen NS-Zwangsarbeitern und anderen Opfern des NS-Regimes eine materielle und symbolische Entschädigung zahlen. In einem komplexen Auszahlungsverfahren entschädigte die Stiftung zusammen mit sieben internationalen Partnerorganisationen neben jüdischen Sklavenarbeitern vor allem ehemalige Zwangsarbeiter in Ost- und Ostmitteleuropa, die bis dahin kaum Wiedergutmachung erhalten hatten.

    Umfangreiche Archivrecherche und Interview von Zeitzeugen

    Unmittelbar nach dem Abschluss der Zahlungen begann ein internationales Team von 20 Wissenschaftlern unter der Leitung von Prof. Constantin Goschler an der Ruhr-Universität Bochum die Umsetzung und die Folgen des Auszahlungsverfahrens zu erforschen. Sie durchsuchten umfangreiche Archivbestände beteiligter Organisationen in acht Ländern und führten zahlreiche Zeitzeugeninterviews. Die Resultate ihrer vierjährigen Forschungen zeigen, wie politische Verteilungskämpfe und bürokratische Organisationen mit komplexen Verfolgungserfahrungen und konkurrierenden Gerechtigkeitsansprüchen umgegangen sind, wie die Empfänger finanzielle Leistungen bewertet haben und wie sie zugleich die europäische Erinnerungslandschaft umformten.

    Bände thematisch breit angelegt

    Die Bände widmen sich dem Umgang mit der Zwangsarbeit in Deutschland und der Arbeit der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (Band 1), der Praxis der weltweit tätigen Jewish Claims Conference und der International Organization for Migration (Band 2), den Auszahlungen und ihren Folgen in Polen und Tschechien (Band 3), sowie der Zwangsarbeiterentschädigung und Erinnerungskultur in den postsowjetischen Gesellschaften (Band 4).

    Vermeintliche „Verräter“ endlich entschädigt

    Die mit der Auszahlung befassten Organisationen kämpften mit einem komplexen Gefüge bürokratischer Traditionen, unterschiedlicher Erwartungen und Erinnerungskulturen und divergierender Systeme der Opferversorgung. Die Stiftung EVZ stand in einem schwierigen Spannungsfeld: Sie sollte ein möglichst einfaches Verfahren für die betagten Antragsteller durchführen und dennoch dem Ziel der Bundesregierung gerecht werden, die Wiedergutmachung endgültig abzuschließen und der deutschen Wirtschaft Rechtssicherheit vor weiteren Klagen zu verschaffen. In Russland und anderen postsowjetischen Staaten mussten die beteiligten Partnerorganisationen damit umzugehen lernen, die international vereinbarten Entschädigungskategorien und Opferhierarchien im eigenen Land umzusetzen, obwohl sie in Teilen der nationalen und individuellen Erinnerung sowie bisherigen Praktiken widersprachen. So waren z.B. in der Sowjetunion die nach 1945 aus Deutschland zurückgekehrten Zwangsarbeiter als Verräter abgestempelt worden. Dass sie nun mit deutschem Geld für ihr Opfer entschädigt werden sollten, widersprach der sowjetischen Erinnerungskultur an den Zweiten Weltkrieg, die bis in die 2000er Jahre gültig war. So öffnet dieses Projekt gerade die Augen für die nicht-intendierten Nebenwirkungen eines transnationalen Entschädigungsprozesses.

    Persönliche Erfahrung und Erinnerung wichtig

    Eines der zentralen Ergebnisse des Bochumer Forschungsprojekts betrifft die Bedeutung der Auszahlungen aus Sicht der einzelnen Antragsteller. Ohne dass diese Frage bisher eingehend erforscht worden wäre, verwies man in der Diskussion zur materiellen Bewältigung historischen Unrechts vor allem darauf, dass die Bedeutung der Entschädigung darin bestehe, dass die ehemals Verfolgten symbolische Anerkennung erführen. Das Bochumer Projekt kommt demgegenüber zu dem Ergebnis, dass von einer linearen Wirkung der Zahlungen keine Rede sein kann. Auf individueller Ebene ist die Bedeutung von Entschädigung in hohem Maße abhängig von einer Vielzahl unterschiedlicher Variablen wie der Verfolgungserfahrung und der sozialen Lage der Betroffenen, ihrem politischen, ökonomischen und erinnerungskulturellen Umfeld sowie nicht zuletzt ihren Erfahrungen mit der deutschen Wiedergutmachung und anderen Aufarbeitungsbemühungen.

    Vorbildarbeit für künftige Entschädigungspraxis

    Seit den 1990er Jahren gewinnen Entschädigungszahlungen weltweit an Bedeutung bei der Überwindung von Diktaturen und der Aufarbeitung historischen Unrechts. Das Bochumer Projekt zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ bringt die Erforschung solcher Prozesse erheblich voran und liefert auch für künftige Entschädigungspraxen wichtige Erkenntnisse. Erstmals wird detailliert dargestellt, wie schwierig die Durchführung von Entschädigungszahlungen ist und was eine Entschädigung sowohl für die betroffenen Individuen als auch für ihre Gesellschaften bedeuten kann.

    Titelaufnahme

    Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit am Anfang des 21. Jahrhunderts. Die Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« und ihre Partnerorganisationen . Herausgegeben von Constantin Goschler in Zusammenarbeit mit José Brunner, Krzysztof Ruchniewicz und Philipp Ther, 4 Bände, Göttingen (Wallstein) 2012.

    Weitere Informationen

    Prof. Dr. Constantin Goschler, Lehrstuhl für Zeitgeschichte, Ruhr-Universität Bochum, Tel. 0234/32-22540, E-Mail: constantin.goschler@rub.de

    Redaktion: Dr. Josef König


    More information:

    http://aktuell.ruhr-uni-bochum.de/pm2012/pm00286.html.de
    http://www.zwangsarbeit-archiv.de/ (Bilder zum Download)


    Images

    Buchcover
    Buchcover
    © Wallstein-Verlag
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    Criteria of this press release:
    Journalists
    History / archaeology, Law, Politics, Social studies
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

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