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12/22/1997 00:00

Konsequenz aus schlechten Mathe-Leistungen

Jürgen Abel M. A. Pressestelle
Universität Bayreuth

    Medienmitteilung der Universität Bayreuth 85/97 22. Dezember 997

    Schüler in Mathematik international mittelmäßig - Welche Konsequenzen müßte das haben?

    SCHULE SOLLTE MEHR AKTIV-ENTDECKENDE FREIRÄUME IM UNTERRICHT VERWIRKLICHEN

    meint der Bayreuther Mathematik-Didaktiker Prof. Dr. Peter Baptist in einem Interview

    Bayreuth (UBT). Einen ,aktiv entdeckenden Mathematik-Unterricht" mit Anleitung und Gelegenheit zum selbständigen Arbeiten hält der Bayreuther Mathematik-Didaktiker Professor Dr. Peter Baptist als Reaktion auf eine internationale Studie (TIMSS-Studie) für notwendig, nach der die Schüler in Deutschland bei den Mathematik-Kenntnissen im internationalen Vergleich nur einen Mittelplatz einnehmen. Die Studie müsse als Anstoß empfunden werden, um einen ,Qualitätssprung Mathematik" auf den Weg zu bringen, sagte der Wissenschaftler jetzt in einem Interview für die Bayreuther Universitätszeitung SPEKTRUM. Eine vom Bayerischen Kultusministerium eingesetzte Arbeitsgruppe, der er als einziger Hochschullehrer angehört, erarbeite derzeit ein Paket von Maßnahmen mit dem Ziel, die Motivation und das Ansehen der Lehrkräfte zu verbessern sowie die Schul- und Unterrichtsqualität anzuheben. Nach Angaben Professor Baptists sollen die Vorschläge der Arbeitsgruppe als Neuerungen einen ,Landeswettbewerb Mathematik für die Mittelstufe" und ein zunächst freiwilliges Evaluierungsverfahren mit Belohungsanreizen enthalten. Der Bayreuther Mathematik- Didaktiker setzt sich in dem Interview weiter dafür ein, die Fortbildung für die Lehrer durch eine Art schulinternes Tutorium zu verbessern und Fehleranalysen der Schülerarbeiten anzustellen, um das unterrichtliche Vorgehen zu überdenken. Außerdem schlägt Professor Baptist vor, das schriftliche Mathematik-Abitur bzw. die Abschlußprüfungen anderer Schularten in Bayern stichprobenartig übers Land verteilt zu evaluieren, um auf der Basis der Ergebnisse den Unterricht zu ändern. (Es folgt das Interview im Wortlaut. Es ist zur Veröffentlichung frei.)

    ??? Professor Baptist, kürzlich erregte eine internationale Studie, die ,Third International Mathematics and Science Study'' (TIMSS) Aufsehen, nach der die Schüler in Deutschland bei den Mathematik-Kenntnissen im internationalen Vergleich einen Mittelplatz einnehmen. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe hierfür?

    Baptist: Gründe so ohne weiteres auf den Punkt zu bringen, ist ziemlich schwierig. Das gesellschaftliche Klima mag eine Ursache sein, da Unkenntnis in Mathematik in Deutschland eher als Zierde denn als Makel angesehen wird. Ferner ist zu beobachten, daß die Lern- und Leistungsbereitschaft nicht mehr so ausgeprägt ist. Sicherlich muß auch die Art und Weise, wie Mathematik unterrichtet wird, überdacht werden. Nach TIMSS kamen die deutschen Schüler beim Lösen von Routineaufgaben ganz gut zurecht, aber sobald es um Verständnisfragen ging, schnitten sie ziemlich schlecht ab. Dies bestätigt meinen Eindruck, daß in unserem Mathematikunterricht zu sehr reproduktives, rezeptives und sogar schablonenhaftes Denken gepflegt wird. Anleitung und Gelegenheit zum selbständigen Arbeiten, zum aktiv-entdeckenden Lernen erhalten unsere Schüler verhältnismäßig selten.

    ??? Heißt das, daß man die Lehrerbildung verbessern, verändern muß?

    Baptist: In Bayreuth bilden wir die zukünftigen Mathematiklehrerinnen und -lehrer unter den genannten Gesichtspunkten aus. Auch in der Lehrerfortbildung arbeiten wir in diesem Sinn. Dazu gehört auch, Mathematik als integralen Bestandteil unserer Kulturgeschichte erleben zu lassen und an mathematischen Themen das Lernen zu lehren. Ändern müssen wir m.E. die Situation in den Schulen, damit aktiv-entdeckender Unterricht besser verwirklicht werden kann. Dazu brauchen wir u.a. vernünftige Klassengrößen, eine teilweise Reduzierung der schriftlichen Leistungsnachweise, ein stärkeres Zusammenarbeiten der Lehrkräfte und die Unterstützung der Eltern.

    ??? Also nach Ihrer Auffassung geht es darum, in der Schule selbst anzusetzen und dort organisatorische Verbesserungen vorzunehmen, die dann auch dem Unterricht zugute kommen?

    Baptist: Das ist richtig. Wenn wir z.B. den so hochgelobten japanischen Mathematikunterricht ansehen, dann stellen wir fest, daß dort kein anderer Stoff als bei uns unterrichtet wird, aber die Vorgehensweise unterscheidet sich. Bei uns hetzen Lehrer oftmals von einem Schulaufgabentermin zum nächsten, führen die Schüler in kleinen, wohlüberlegten Schritten zum Ziel und lassen ihnen somit kaum Spielraum für eigene Gedanken. Natürlich gibt es auch viele Lehrkräfte, die mit dieser Situation nicht zufrieden sind, die sich selbst unterrichtliche Freiräume schaffen. Diese Bemühungen müssen wir nachhaltig unterstützen und fördern. Gefordert ist auch die Schulaufsicht, die mehr im positiven Sinn in Erscheinung treten sollte, indem sie ihren Beratungscharakter verstärkt wahrnimmt.

    ??? Das Bayerische Kultusministerium hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt und Sie als einzigen Hochschullehrer in diese Gruppe berufen. Die soll nun Vorschläge erarbeiten. Wie werden die lauten?

    Baptist: TIMSS wird als Anstoß empfunden, um einen ,Qualitätssprung Mathematik'' auf den Weg zu bringen. Dazu erarbeiten wir ein Paket von Maßnahmen mit dem Ziel, die Motivation und das Ansehen der Lehrkräfte zu verbessern sowie die Schul- und Unterrichtsqualität allgemein und insbesondere im Fach Mathematik anzuheben. Einige Punkte habe ich bereits angesprochen, auch die Lehrerausbildung und eine engere Verzahnung ihrer einzelnen Phasen sind in der Diskussion. Von zentraler Bedeutung ist natürlich, daß wir die Lehrkräfte von unseren Ideen überzeugen und dafür gewinnen können. Zwei Neuerungen möchte ich hier gesondert ansprechen: Einen Landeswettbewerb Mathematik für die Mittelstufe und ein -- zunächst freiwilliges -- Evaluierungsverfahren, das je nach Schulart zu Beginn der 9. bzw. 7. Jahrgangsstufe stattfinden soll.

    ??? Wird das benotet?

    Baptist: Die Evaluierung geht nicht in die Benotung der Schüler ein. Für den Zeitpunkt zu Beginn des Schuljahres habe ich mich sehr eingesetzt, um die Versuchung nicht aufkommen zu lassen, den Unterricht auf die Evaluation auszurichten und dadurch eigentliche Ziele, wie z.B. das mathematische Verständnis, zu vernachlässigen.

    ??? Welche Auswirkungen hat das Verfahren für die Schulen?

    Baptist: Es ist daran gedacht, daß die Evaluation mit dazu beiträgt, die Qualität des Unterrichts in Mathematik im gegenseitigen Vergleich der Schulen festzustellen. Als Motivation für die Teilnahme werden zusätzliche Sachmittel und/oder zusätzliche Wahlunterrichtskontingente für erfolgreiche Schulen erwogen. Gleiches gilt für die am Landeswettbewerb Mathematik teilnehmenden Schulen.

    ??? Glauben Sie, daß die Vorschläge der Arbeitsgruppe beim Kultusministerium Gehör finden werden?

    Baptist: Ich denke schon, denn die deutschen Ergebnisse von TIMSS haben auch einige Politiker, sogar bis in die Staatskanzlei hinein, aufgeschreckt. Es besteht somit große Hoffnung, daß die Arbeitsgruppe Gehör findet. Man mag über TIMSS denken wie man will, die Studie hat in meinen Augen schon viel bewirkt. Diesmal wird nicht nur über Mathematikunterricht oder Schule geredet, sondern es besteht auch die Bereitschaft, daß gehandelt wird. Dies betrifft auch die Ausbildung an der Universität und insbesonderne die Lehrerfortbildung.

    ??? Wie wollen Sie denn die aktiven Lehrer erreichen?

    Baptist: Das ist die entscheidende Frage. Wie finde ich ein System, damit die Lehrerfortbildung zu jedem Lehrer hinkommt, oder besser gesagt, daß jeder Lehrer fortbildungswillig ist? Bislang ist Fortbildung weitgehend freiwillig, und viele Kollegen machen leider wenig Gebrauch von den bestehenden Angeboten. ??? Schlagen Sie also eine Verpflichtung zur Fortbildung für die Lehrer vor? Sollen die Lehrer im Laufe ihrer schulischen Karriere bestimmte Fortbildungen machen? Baptist: Das wäre eine Möglichkeit, so wie in der Schweiz, da gibt es ein festgelegtes Stundenkontingent. Die Lehrer müssen im Jahr eine bestimmte Stundenanzahl Fortbildung nachweisen.

    ??? Läßt sich das so einfach übertragen?

    Baptist: Ich glaube nicht, daß wir das bei uns ohne weiteres umsetzen können. Ich denke vielmehr an folgende Vorgehensweise: Man sollte die Fachbetreuer aufgrund ihres Amtes zur Fortbildung verpflichten. Diese sind dann wiederum angehalten, in der Schule interne Fortbildungen für die Fachschaft abzuhalten. Ich glaube, dies wäre ein Weg, den wir ohne Schwierigkeiten gehen könnten. Ein weiterer Punkt, den man in der Lehrerausbildung und in der Lehrerfortbildung verstärkt ansprechen sollte, ist die sogenannte Fehleranalyse. Es wird bei uns viel zu wenig auf Schülerfehler, u.zw. im positiven Sinne, geachtet. Die Realität ist: Fehler werden angestrichen, und der Schüler bekommt eine schlechte Note. Aber wir sollten uns viel mehr Gedanken machen, warum Schüler bestimmte Fehler machen, und aufgrund von Fehleranalysen das unterrichtliche Vorgehen überdenken. Es wäre auch zu erwägen, und den Vorschlag möchte ich machen, daß wir das schriftliche Mathematikabitur bzw. die Abschlußprüfungen anderer Schularten in Bayern zumindest stichprobenartig übers Land verteilt evaluieren. Man sollte dann aufgrund dieser Ergebnisse überlegen, wie der Unterricht geändert werden kann, um die Ergebnisse in diesen Prüfungen zu verbessern. Momentan werden Statistiken überwiegend nur nach Notendurchschnitt geführt.

    ??? Viel Aufsehen hat gerade jetzt auch erregt, daß Kultusminister Zehetmair gesagt hat, Bayern würde einen eigenen Weg mit höheren Leistungsanforderungen gehen wollen. Man hört Befürchtungen, daß damit das gesamte Bildungssystem in der Bundesrepublik auseinanderfällt. Was halten Sie denn von solchen Vorschlägen in bezug auf die Mathematik?

    Baptist: Ich halte sehr viel von Leistung und bin froh, daß jetzt auch wieder von ,Bestenförderung'' gesprochen wird. Lange Zeit stand vor allem die Förderung der mittelmäßig begabten Schüler im Blickpunkt. Dabei haben wir übersehen, daß die überdurchschnittlich begabten Schüler vernachlässigt wurden. Das muß sich ändern. Höhere Leistungsanforderungen bedeuten auch eine stärkere Profilbildung der einzelnen Schularten. Dies erleichtert für Eltern und Schüler die Wahl der geeigneten Schule. Hier sollte sich Bayern nicht von seinem bewährten Weg abbringen lassen. Aber nichts ist so gut, daß man es nicht noch verbessern könnte.

    Weitere Informationen bei Professor Dr. Peter Baptist Lehrstuhl Mathematik und ihre Didaktik Tel. 0921/55 - 32 67 Fax: 0921/55 - 32 61 e-mail: peter.Baptist@uni-bayreuth.de WWW: http://did.mat.uni-bayreuth.de/baptist/baptist.html


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    Criteria of this press release:
    Mathematics, Physics / astronomy
    transregional, national
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    German


     

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