idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
07/15/2013 12:37

Rauschhafte Vergemeinschaftung

Ingrid Rieck Presse und Kommunikation
Universität Rostock

    Der soziale Kitt entsteht heute vor allem durch ritualisierte Volksfeste

    Die Deutschen feiern gern in ihrer Freizeit und genießen sich selbst im kollektiven Rausch. Das hat die Rostocker Soziologin Dr. Yvonne Niekrenz in ihrer Promotionsstudie zum rheinischen Karneval herausgefunden. „Karneval ist nicht mehr nur fünfte Jahreszeit, Karneval ist immer“, sagt die 33-jährige Wissenschaftlerin von der Universität Rostock. Selbst die Rostocker Hanse-Sail hat aus ihrer Sicht einen solchen Volksfestcharakter, weil es beispielsweise mit Scherzsonnenbrillen und Hawaiiketten bei dem maritimen Großereignis eine Tendenz zum Verkleiden gibt. Alltagsregeln werden hier wie da außer Kraft gesetzt. Menschen, die im Alltag Abstand voneinander halten, suchen miteinander den Kontakt, Unbekannte umarmen und berühren sich. Sie überlassen sich bereitwillig dem Takt der Menge. Die Rostocker Soziologin bezeichnet das mit dem akademischen Begriff „rauschhafte Vergemeinschaftung“. Sie schlägt den Bogen vom Norden zum Süden und sagt: „Die Hanse-Sail ist nicht der Kölner Karneval, aber sie vermag es ebenso mit karnevalesken Zügen, die Menge zum gemeinsamen Feiern zu bewegen“.
    Für die Rostocker Wissenschaftlerin ist das „Fest als Ausdruck der kollektiven Lebensfreude sehr spannend“, wie sie sagt. „In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind in der Soziologie Gegenwartsdiagnosen gestellt worden die besagen, dass die Deutschen hoch individualisiert sind und sich immer mehr aus traditionellen Bindungen wie beispielsweise die Familie herauslösen. Man wechselt zum Beispiel häufiger die Partner, den Job oder den Wohnort“, konstatiert Yvonne Niekrenz. Finden also kaum noch Gemeinschaftsprozesse statt? „Mitnichten“, sagt die Rostocker Soziologin. Sie hat beispielsweise im Karneval rauschhafte Vergemeinschaftungen von Jecken gefunden, die sie in ihrer Studie als momenthafte, exzessorientierte Formen von Geselligkeit beschreibt. „Die Leute fühlen sich wohl, gut aufgehoben und gewärmt von vermeintlich Gleichgesinnten“.
    Die Erkenntnisse der Wissenschaftlerin: Anlässe wie Karneval, Fußballspiele oder Festivals sind notwendig für so genannte Einbettungsprozesse. „Damit wir uns wieder gut aufgehoben fühlen. Für die Menschen selbst ist das Ausbruch vom Alltag“. Das hat eine interessante Seite: Ausschweifende Feiern und die überschäumende Lebenslust sind raum-zeitlich und rituell gerahmt: Karneval oder Hanse-Sail finden an einem bestimmten Ort, zu einem bestimmten Zeitpunkt statt und sind irgendwann wieder vorbei. „Das Wissen um die Endlichkeit des Festes befördert den Drang zum Exzess“, sagt die Soziologin und schlägt den Bogen zur Begrenztheit des Lebens, der eigenen Sterblichkeit.
    Was kann man zum Beispiel vom rheinischen Karneval lernen? Da hat Yvonne Niekrenz eine Antwort parat: „Wenn man gemeinsam an einem Strang zieht, kann man etwas auf die Beine stellen“. Das Schöne beim Karneval sieht die Forscherin vor allem darin, dass Generationen miteinander verbunden werden. „Die rauschhaften Vergemeinschaftungen, wie sie bei großen Volksfesten, insbesondere aber beim Karneval zu beobachten sind, bilden einen sozialen Kitt für das gesellschaftliche Gefüge“, versichert die Wissenschaftlerin.

    Kontakt
    Universität Rostock
    Institut für Soziologie und Demographie
    Dr. Yvonne Niekrenz
    Fon: +49 (0)381 498 4427
    Mail: yvonne.niekrenz@uni-rostock.de


    Images

    Dr. Yvonne Niekrenz, Soziologin an der Universität Rostock: ritualisierter Ausbruch aus dem Alltag.
    Dr. Yvonne Niekrenz, Soziologin an der Universität Rostock: ritualisierter Ausbruch aus dem Alltag. ...
    (Foto: ITMZ/Universität Rostock)
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Social studies
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).