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10/19/2002 17:35

Prof. Dr. Peter Meusburgers "Dankwort aus dem Senat"

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Bei der Jahresfeier der Universität Heidelberg: Dank an das Rektorat und politische Statements - Meusburger: "Nicht alle Vorschläge, die von Politik und Wirtschaft an die Universitäten herangetragen werden, sind gut durchdacht oder langfristig sinnvoll"

    "Mir wurde die Ehre zuteil, Ihnen, Magnifizenz Hommelhoff, sowie den Prorektoren und der Kanzlerin den Dank des Senats für die erfolgreiche und sehr kollegiale Zusammenarbeit während des ersten Jahres Ihrer Rektorats auszusprechen. Sie haben im vergangenen Jahr so viel Neues geschaffen und so viele Weichen für die Zukunft gestellt, dass man eigentlich den Eindruck hat, dass Sie schon viel länger im Amt sind als nur ein Jahr.

    Da der Senat das einzige Entscheidungsgremium ist, in dem alle Fakultäten der Universität stimmberechtigt vertreten sind, fühle ich mich befugt, auch für die gesamte Universität auf einige Herausforderungen hinzuweisen, die wir in nächster Zeit gemeinsam zu bewältigen haben.

    Ein Thema, das uns in nächster Zeit verstärkt beschäftigen wird, ist die Frage optimaler Führungsstrukturen innerhalb der Universität. Leider muss man immer wieder feststellen, dass den Universitäten von außen Führungsstrukturen empfohlen oder aufgedrängt werden, welche die Besonderheiten von Forschungsinstituten nicht berücksichtigen und die auch nicht dem neuesten Stand der Organisationsforschung entsprechen.

    Ein Hauptproblem der heutigen Wissensgesellschaft liegt darin begründet, dass es zwar nicht an Wissen und Kompetenzen mangelt, in jedem System gibt es Menschen, welche die Entwicklung und die notwendigen Maßnahmen rechtzeitig erkennen und frühzeitig genau die richtigen Lösungen anbieten, das Problem ist eher, dass die Zirkulation dieses Wissen nicht so funktioniert, wie es die Ökonomen annehmen, und dass viele wichtige Entscheidungen nicht dort gefällt werden, wo der höchste Grad an Expertise, Kreativität und Kompetenz vorhanden ist. Dies betrifft die Universitäten in gleichem Maße wie die Wirtschaft und öffentliche Verwaltung.

    Die Organisationstheorie lehrt uns, dass in Zeiten eines raschen Wandels oder großer Unsicherheit große, komplexe Systeme viel bessere Ergebnisse erzielen, wenn wichtige Entscheidungsbefugnisse dezentral angeordnet sind. Dies gilt nicht nur für international tätige Industrieunternehmen und Banken, sondern vor allem für Forschungsinstitutionen.

    Eine dezentrale Anordnung von Kompetenzen und Entscheidungsbefugnissen in Forschungsinstitutionen ist vor allem deshalb wichtig, weil Kreativität und Ideenreichtum in einem großen System nicht von oben verordnet werden können, sondern immer von unten kommen. Je weniger Entscheidungsbefugnisse in Instituten angesiedelt sind, ich denke da nicht nur an finanzielle Spielräume, sondern an Entscheidungen über zukünftige Strukturen, umso weniger kann diese Kreativität umgesetzt werden.

    Diese Dezentralisierung der Entscheidungen wird natürlich nur dann bessere Ergebnisse bringen, wenn in den Instituten Persönlichkeiten berufen werden, die einerseits hochqualifizierte Wissenschaftler sind, andererseits aber auch bereit und in der Lage sind, Verantwortung zu tragen und gute Ideen durchzusetzen. Wenn die Universität Heidelberg bei fast allen wichtigen Rankings und Leistungsbewertungen auf einem der ersten drei bis vier Ränge der bundesdeutschen Universitäten landet, dann haben wir dies nicht den von außen kommenden Ratschlägen oder den immer wieder geänderten Organisationsstrukturen zu verdanken, sondern einer guten Berufungspolitik. Diese liegt vor allem in der Hand der Fakultäten und des Senats, hat aber auch damit zu tun, dass es die Kanzlerin der Universität Heidelberg, Gräfin Hagen, und ihr Vorgänger, Herr Kraft, in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer wieder geschafft haben, trotz aller Sparzwänge hervorragende Berufungsangebote zu machen.

    Die beste Verteidigungsstrategie gegen eine schlechte Hochschulpolitik ist eine gute Berufungspolitik.

    Nicht alle Vorschläge, die von Politik und Wirtschaft an die Universitäten herangetragen werden, sind gut durchdacht oder langfristig sinnvoll. Man könnte einen abendfüllenden Vortrag über die diffuse und widersprüchliche Vorschläge, Erlässe und Gesetze halten, die in den letzten Jahren den Universitäten aufgedrängt wurden. Selbst bei vernünftig erscheinenden Ratschlägen und Gesetzen besteht das Problem meistens darin, dass sie nur für kleine Teilbereiche der Universität gelten und Schaden bringen, wenn sie für die ganze Universität umgesetzt werden. Nur ein Beispiel: Seit einigen Jahren wird uns von der Politik empfohlen, Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen. Für einige wenige Fächer, die international noch nicht wettbewerbsfähig sind, mag dies vielleicht ein guter Vorschlag sein. Viele Fachgebiete hören aber von ihren Kollegen in Großbritannien und USA, dass sie glücklich sind, deutsche Diplomabsolventen als Doktoranden oder Postdocs zu bekommen, weil diese ihren eigenen Masterstudenten weit überlegen seien.

    Eine weitere Forderung betrifft die Öffnung zur Praxis. Da hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel geändert. Viele Institute haben schon im Interesse ihrer Absolventen enge Kontakte zur Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung aufgebaut. Manche Institute haben es nur deshalb geschafft, international stark beachtete Leistungen zu erbringen, weil ihnen Stiftungen und Mäzene aus der Wirtschaft jene finanziellen Freiräume schaffen, an die mit normalen Haushaltsmitteln nicht zu denken wäre.

    Diese Zusammenarbeit sollte sich jedoch nicht nur auf technologische oder angewandte Aspekte beschränken. Auch die Wirtschaft sollte offener sein für die an Universitäten vorhandene Expertise. Manche große deutsche Unternehmen scheitern in Ostasien oder anderen Kulturräumen nicht deshalb, weil sie nicht die fortschrittlichste Technologie oder das beste Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten, sondern weil ihre Manager wenig Ahnung von der Geschichte, Kultur, Gesellschaft und Geographie des Landes haben und deshalb bei Verhandlungen von einem Fettnäpfchen ins andere tappen. Dies konnten wir neulich anhand einer Dissertation für China belegen. Um die Exporterfolge in fremde Kulturräume zu verbessern, ist in bestimmten Situationen die Expertise von Religionswissenschaftlern, Philosophen, Japanologen, Historikern oder Geographen vielleicht wichtiger als die von Technikern.

    Am besten klappt die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Wissenschaft dort, wo es einen Dialog und das Bewusstsein gibt, vom anderen lernen zu können. Eine Einbahnstraße der Ratschläge in eine Richtung führt nicht zum Ziel. Wir Wissenschaftler lernen gerne von solchen Persönlichkeiten der Wirtschaft, des öffentlichen Lebens, der Kultur und Medien, die uns in ihrem eigenen Bereich mit Urteilskraft, neuen Ideen, Kreativität und kritischem Denken beeindrucken, nehmen uns aber auch die Freiheit, auf manchen Unsinn hinzuweisen, welcher den Universitäten von Politik und Wirtschaft zugemutet wird.

    Die Universität Heidelberg ist dem Rektorat Hommelhoff, aber auch dessen Vorgängern, sehr dankbar, dass sie es verstanden haben, mit Augenmaß, Standfestigkeit und Diplomatie manchen Schaden von der Universität abzuwenden.

    Ich bin weit davon entfernt, nur Kritik nach außen zu üben. Wir müssen uns auch innerhalb der Universität immer wieder die Frage stellen, ob der Austausch von Wissen, die interne Qualitätskontrolle und das Verständnis für andere Fächerkulturen auch innerhalb der akademischen Gremien wie Fakultät oder Senat immer so funktionieren wie es wünschenswert wäre. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist auch da manches verbesserungswürdig.

    Vor allem die Zirkulation von Wissen zwischen den Disziplinen braucht, falls sie überhaupt funktioniert, unendlich viel Zeit. Viele Disziplinen scheinen sich selbst zu genügen und legen nur wenig Wert darauf, über den Tellerrand des eigenen Faches hinaus zu blicken.

    Wir müssen an den Universitäten dringend neue Ideen entwickeln, wie man den Diskurs zwischen den Fächern und Fakultäten intensivieren und jenes Verständnis für andere Fächerkulturen wecken kann, das notwendig ist, um bei der Weiterentwicklung der Universität Prioritäten zu setzen, Zukunftschancen zu erkennen und Fachegoismen zu minimieren. Verständnis und Respekt für andere Disziplinen werden wir vor allem dann benötigen, wenn es um eine leistungsorientierte Mittelvergabe geht, die sich nicht nur nach dem Selbstverständnis und den Bedürfnissen der stärksten Fakultät richten darf, sondern die breite Palette unterschiedlicher Fächerkulturen und fachinterner Leistungsbewertungen berücksichtigen muss. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit" (Prof. Dr. Peter Meusburger).

    Rückfragen bitte an:
    Prof. Dr. Peter Meusburger
    Tel. 544535, Fax 545556
    peter.meusburger@urz.uni-heidelberg.de

    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
    http://www.uni-heidelberg.de/presse/index.html


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    Criteria of this press release:
    interdisciplinary
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Studies and teaching
    German


     

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