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04/11/2003 12:56

Schilfprojekt geht zu Ende - Nachfolgeprojekt wird vorgestellt

Dr. Klaus H. Grabowski Pressearbeit, interne Kommunikation und Social Media
Universität Hohenheim

    Mechanismen des Schilfrückgangs geklärt - Hält der Klimawandel die aquatischen Röhrichtflächen klein?

    Bei einem Ufer-Workshop im Institut für Seenforschung in Langenargen trafen sich Anfang April Ökologen und Fernerkundungsspezialisten der Universitäten Hohenheim, Konstanz und München mit Behördenvertretern aus Wasserwirtschaft und Naturschutz, um sich mit Konzepten und Resultaten von aktuellen Forschungsprojekten zum Bodenseeufer auseinander zu setzen. 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den drei Anrainerstaaten diskutierten über die jüngsten Veränderungen am Bodenseeufer und wagten Prognosen der weiteren Entwicklung
    Dr. Rainer Kümmerlin führte als Gastgeber mit nachdenklichen Worten in das Thema ein. Wasser sei Leben und der momentane Krieg um Ressourcen im Irak sei nur ein Vorgeschmack auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen um die immer knapper werdenden Wasserressourcen. Auch in den begünstigten Klimazonen müsste diese lebensnotwendige Ressource geschützt werden, um ihre Qualität als Trinkwasser zu erhalten. Aber nur was man kennt, könne man auch schützen. Zum tieferen Verständnis des Ökosystems Bodensee leiste der Workshop einen wichtigen Beitrag.
    Wissenschaftler der Universitäten Hohenheim und Konstanz stellten die Ergebnisse des drei Jahre dauernden Projektes zu den "Auswirkungen des Extremhochwassers 1999 auf die Uferröhrichte des Bodensees" vor. Michael Dienst präsentierte die Daten der Luftbildauswertung, wonach sich ein erschreckendes Bild des Röhrichtrückgangs durch das Extremhochwasser abzeichnet. 30 ha waren allein am baden-württembergischen Ufer abgestorben. Dies entspricht 24 % der ehemals 124 großen Bestände und einer Rückwärtsverlagerung der seeseitigen Schilfgrenze um 7 Meter. Zwar hätten sich die höher gelegenen Schilflücken von 2000 bis 2002 weitgehend wieder geschlossen; die seeseitigen, tiefliegenden Absterbeflächen seien aber längerfristig verloren. "Das Extremhochwasser von 1999 kann als Vorbote für die Auswirkungen der Klimaveränderung gesehen werden, die den Bestand der Uferröhrichte am Bodensee langfristig dezimieren kann" kommentiert der Projektleiter Dr. Klaus Schmieder. Durch die milderen Winter würde der Wasserspiegel früher ansteigen und die hochwachsenden Schilfhalme würden im wahrsten Sinne des Wortes ertrinken. Wer glaubt, dass Schilf eine Wasserpflanze ist, täuscht sich. Die Röhrichtpflanze steht zwar gerne mit den "Füßen" im Wasser, kann aber unter Wasser keine Photosynthese betreiben. Gerade im Frühjahr, wenn die neuen Halme zu wachsen beginnen, sind sie daher sehr empfindlich gegenüber Überflutungen. Was nach dem Pfingsthochwasser 1999 im Einzelnen in der Schilfpflanze passierte, hat Dr. Wolfgang Ostendorp vom Limnologischen Institut der Universität Konstanz in 50 Monitoringflächen untersucht. Sein Ergebnis: Die Pflanzen müssen bei Überflutung ohne Luftsauerstoff von ihren Reservestoffen zehren; wenn diese nicht ausreichen, sterben die Halme ab.
    "Die Mechanismen des gegenwärtigen Schilfrückgangs haben wir weitgehend geklärt" sagt Ostendorp. Dieses Ergebnis könne durchaus auch auf den starken Rückgang nach dem starken Hochwasser von 1965 übertragen werden, meint der Limnologe, "damals war die Absterbefläche noch viel größer als heute und ist in 30 Jahren nicht wieder nachgewachsen."
    Neben dem Hochwasser haben die Hohenheimer Uferspezialisten weitere Faktoren ausgemacht, die lokal zum Schilfrückgang beitragen. Neben dem Befall durch den Schilfkäfer und dem negativen Einfluss von Uferverbauungen hatte 1999 im westlichen Bodensee besonders das massenweise auftretende Schilftreibgut zu Schäden geführt. Diese Treibgutschäden hätten sich aber innerhalb ein bis zwei Jahren weitgehend erholt, stellt Dr. Klaus Schmieder fest. Wie sich die teilweise massiven Schäden durch Treibholz im östlichen Bodensee auf die Uferröhrichte auswirkten, konnte durch die räumliche Beschränkung des Projektes auf das Baden-Württembergische Seeufer nicht geklärt werden.
    Hinsichtlich der Biomasse des aquatischen Schilfröhrichtes fällt die Bilanz des Ökologen im Vergleich zu den Flächenverlusten noch drastischer aus: Fast 44% der Bestandsbiomasse gingen durch das Extremhochwasser verloren. Die für Unterwasserbakterien besiedelbare Oberfläche der Schilfhalme nahm sogar um 47% ab. Dieser Biofilm spielt eine wichtige Rolle bei der sogenannten "Selbstreinigungskraft". Im Gegensatz zur Biomasse ist aber bei der Biofilmfläche wegen der langfristigen Verluste der tiefliegenden Bestände noch kaum eine Erholung festzustellen. Vor allem weil die Ergebnisse negative Folgen für die Uferstabilität und die Selbstreinigungskraft der Flachwasserzone befürchten lassen wünscht sich Schmieder eine weitere Beobachtung des Röhrichts. Auf welche Uferabschnitte dabei besonderes Augenmerk gerichtet werden sollte, zeigte er auf einer Karte seines geographischen Informationssystems, in das alle Daten des Projektes digital aufgenommen wurden.
    Da derartige Luftbildauswertungen langfristig sehr personal- und kostenintensiv sind, hat die Universität Hohenheim in Kooperation mit dem Deutschen Luft und Raumfahrtzentrum (DLR) in Oberpfaffenhofen ein Pilotprojekt unter dem Namen EFPLUS gestartet. Dieses Verbundprojekt wird ebenfalls aus Mitteln des Landes Baden-Württemberg gefördert und läuft unter der ausführlichen Bezeichnung "Entwicklung von automatisierbaren Fernerkundungsverfahren zur effektiven Unterstützung von Planungsprozessen in der Uferzone von Seen". Das Ziel ist, die Erfassung von Vegetationsstrukturen im Uferbereich zu automatisieren. Neben dem Schilf stehen hier auch die Unterwasserpflanzen im Fokus der Forschungen. Unter Verwendung von modernster Fernerkundungstechnologie werden die Uferbereiche mit der Flachwasserzone des Bodensees vom Flugzeug aus "abgetastet". Diese sogenannten Scannerdaten liegen dann automatisch in digitaler Form vor und bieten eine sehr hohe räumliche Auflösung. Mit Hilfe aufwendiger Rechenoperationen werden die Daten beim DLR prozessiert und können somit auch detaillierte Information zu Pflanzenbeständen liefern, die unter der Wasseroberfläche liegen. Dieses Kartierverfahren wird im Rahmen des Projekts automatisiert und stellt die Datengrundlage für Planungs- und Bewertungsinstrumente dar, die von den Wissenschaftler der Universität Hohenheim in enger Abstimmung mit Behörden der Wasserwirtschaft entwickelt werden. Somit können in Zukunft die Monitoringaufgaben, die nicht nur von der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie, sondern auch von Naturschutzvertretern gefordert werden, zeitsparend erfüllt werden, ohne auf Details verzichten zu müssen. Zudem sinkt die finanzielle Hemmschwelle für zukünftige Kartierungsprojekte zur Überwachung der Wasserqualität des Bodensees.
    "Die Goldenen Zeiten der Uferrenaturierung sind vorbei", darauf wies Dr. Hans Güde, der stellvertretende Leiter des Instituts für Seenforschung, am Schluss des Ufer-Workshops hin. Trotz der angespannten finanziellen Lage werde jedoch die Gewässerschutzkommission weiter am Ball bleiben und weiterhin Grundlagenforschung wie auch Monitoring an ausgewählten Fallbeispielen fördern. Er äußerte auch den Wunsch, dass die Beobachtung des Bodensee-Röhrichts stetig weitergehe, wenn auch vielleicht in vereinfachter Form.

    Dr. Klaus Schmieder
    Universität Hohenheim, Institut für Landschafts- und Pflanzenökologie
    70593 Stuttgart
    Telefon: 0711/459-3608 Telefax: 0711/459-2831
    email: schmied@uni-hohenheim.de


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    Criteria of this press release:
    Biology, Environment / ecology, Information technology, Oceanology / climate, Zoology / agricultural and forest sciences
    transregional, national
    Research results
    German


     

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