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Wissenschaft
Christdemokratische Regierungen neigen EU-weit am stärksten zu Verboten von gentechnisch veränderten Organismen / Ein Forscherteam aus Mannheim, Heidelberg und Lund sieht ethisch-moralische Gründe
Deutschland und zahlreiche weitere EU-Staaten haben bei der EU-Kommission jüngst Verbotsanträge für den Anbau genmanipulierter Pflanzen eingereicht. Verzichten die betroffenen Unternehmen nicht freiwillig auf den Anbau, kann dieser mit nationaler Gesetzgebung untersagt werden. Ob tatsächlich ein Verbot erlassen wird, hängt offenbar stark von der Regierungszusammensetzung des jeweiligen Landes ab: Sind Christdemokraten beteiligt, so ist die Wahrscheinlichkeit eines Verbots besonders hoch.
Christdemokratische Regierungen bewirken die meisten Anbauverbote
Zu diesem Schluss kommt der Mannheimer Politikwissenschaftler Professor Marc Debus gemeinsam mit seiner Heidelberger Kollegin Professor Jale Tosun und der schwedischen Politikwissenschaftlerin Professor Hanna Bäck. Die Forscher haben für den Zeitraum von 1996 bis 2013 sämtliche Anbauverbote für gen- und biotechnisch veränderte Lebensmittel in den 27 heutigen EU-Staaten untersucht. „Betrachtet man die jeweiligen Regierungszusammensetzungen, so fällt auf, dass Länder mit christdemokratischer Regierungsbeteiligung mit Abstand am stärksten zu frühen Gentechnik-Verboten neigen“, erläutert Debus. „In noch stärkerem Ausmaß gilt dies, wenn die Christdemokraten auch das zuständige Ressort besetzen, also das Umwelt- oder das Landwirtschaftsministerium.“
Ursprünglich hatte das Forscherteam vermutet, dass neben christdemokratischen Parteien wie den deutschen Unionsparteien oder der Österreichischen Volkspartei auch die Regierungsbeteiligung landwirtschaftsnaher und „grüner“ Parteien Anbauverbote wahrscheinlicher machen. Dafür habe man aber keine Belege gefunden, konstatiert Jale Tosun: „Christdemokratische Parteien scheinen den stärksten Einfluss auf Anbauverbote zu nehmen, selbst wenn dies in Konflikt mit EU-Recht und den Interessen der Industrie steht. Bei landwirtschaftsnahen und ökologisch ausgerichteten Parteien, wie es sie in vielen europäischen Ländern gibt, finden wir diesen Effekt nicht.“
Ethisch-moralische Einflüsse sind nicht allein entscheidend
Warum das so ist, wollen die Politikwissenschaftler künftig genauer unter die Lupe nehmen. Die Forscher halten für wahrscheinlich, dass sich in den Gentechnik-Verboten eine religiöse Grundausrichtung der Parteien und ihrer Funktionsträger widerspiegelt. „Die Beteiligung einer christdemokratischen Partei hat sicherlich Auswirkungen auf die Regierungspolitik in Fragen von ethisch-moralischer Bedeutung. In anderen Untersuchungen haben wir ähnliche Effekte auch bei Fragen zum Abtreibungsrecht und der Präimplantationsdiagnostik festgestellt“, fasst Debus zusammen. Allerdings spiele bei letztgenannten Themen nicht nur die Zugehörigkeit zu einer christdemokratischen Partei, sondern auch Konfession, Alter und Geschlecht der Abgeordneten eine zentrale Rolle. Darüber hinaus seien die Einstellungen der Wähler im Wahlkreis der Abgeordneten von Bedeutung.
Doch auch ganz andere Faktoren könnten letztlich für die von einer Regierung vertretene Linie ausschlaggebend sein, betonen die Wissenschaftler. Zu nennen seien hier etwa die Parteiangehörigkeit des Regierungschefs oder der Regierungschefin und gegebenenfalls die Inhalte des jeweiligen Koalitionsvertrags. Auch das Ausmaß der Unabhängigkeit des zuständigen Ministers im jeweiligen Regierungssystem könne von Bedeutung sein, so Bäck, Debus und Tosun in ihrer Studie.
Weitere Informationen:
Bäck, Hanna, Marc Debus und Jale Tosun (2015): Partisanship, Ministers and Biotechnology Policy. Review of Policy Research, 32, Heft 5, S. 556-575.
Baumann, Markus, Marc Debus und Jochen Müller (2015): Convictions and Signals in Parliamentary Speeches: Dáil Éireann Debates on Abortion in 2001 and 2013. Irish Political Studies, 30, Heft 2, S. 199-219.
Baumann, Markus, Marc Debus und Jochen Müller (2015): Personal Characteristics of MPs and Legislative Behavior in Moral Policy Making. Legislative Studies Quarterly, 40, Heft 2, S. 179-210.
Kontakt:
Prof. Dr. Marc Debus
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2082
Telefax: +49-621-181-2080
E-Mail: marc.debus@uni-mannheim.de
http://www.mzes.uni-mannheim.de/d7/de/profiles/marc-debus
Prof. Dr. Jale Tosun
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Institut für Politische Wissenschaft
External Fellow des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung (MZES)
Telefon: 06221 - 54 3726
Fax: 06221 - 54 2896
E-Mail: jale.tosun@ipw.uni-heidelberg.de
http://www.uni-heidelberg.de/politikwissenschaften/personal/tosun/person/
Nikolaus Hollermeier
Direktorat / Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (MZES)
Universität Mannheim
Telefon: +49-621-181-2839
Telefax: +49-621-181-2866
E-Mail: nikolaus.hollermeier@mzes.uni-mannheim.de
www.mzes.uni-mannheim.de
Katja Bär
Leitung Kommunikation und Fundraising
Pressesprecherin
Universität Mannheim
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Criteria of this press release:
Journalists
Environment / ecology, Law, Philosophy / ethics, Politics, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
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