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Wissenschaft
S p e r r f r i s t: Samstag, 14. Juni 2003, 10.00 Uhr
"Regenerative Medizin" ist das neue Schlagwort in der Medizin. Was sich dahinter verbirgt, erläuterte Prof. Dr. Augustinus Bader vom Biotechnologisch-Biomedizinischen Zentrum (BBZ) der Universität Leipzig auf dem Berlin-Buch Congress on Biotechnology 2003 im Max Delbrück Communications Center (MDC.C) so: "Die Erneuerung von Geweben und Organen mit körpereigenen Zellen. Der Vorteil von patienteneigenen (autologen) Zellen ist, dass das daraus gewonnene Gewebe nach einer Transplantation nicht abgestoßen wird und keine immunsuppressiven Medikamente genommen werden müssen", sagte er. Dabei müssen aus einzelnen Zellen funktionelle Gewebe entstehen. Dies geschieht durch "Tissue Engineering". Der Ausdruck stammt aus dem Englischen und bedeutet Herstellung von Geweben mit innovativen Methoden. Dabei handelt es sich im Bereich der Regenerativen Medizin um ein vergleichsweise junges Forschungsgebiet, das erst seit 10 - 15 Jahren systematisch erschlossen wird", sagte Prof. Dr. Will Minuth von der Universität Regensburg. "Die wohl längste klinische Erfahrung", so Prof. Minuth weiter, "gibt es mit der Knochenmarktransplantation zum Beispiel bei einer Leukämie und bei der Hauttransplantation für Patienten mit schwersten Brandverletzungen." Erste Erfolge zeigen sich nach rund zehnjähriger Entwicklungszeit jetzt offenbar bei der Herstellung von autologem Knorpel- sowie Knochenersatz.
Knorpel sorgt für die reibungslose Bewegung der Gelenke und wirkt als Stoßdämpfer, der das siebenfache des Körpergewichts auffangen kann. Übermäßige Belastung der Gelenke, Unfälle, aber auch altersbedingte Abnutzungserscheinungen können den Knorpel schädigen. Die Folgen können für die Betroffenen auf Dauer sehr schmerzhaft sein und sie sind schwierig zu behandeln. "Die funktionellen Regenerationsmechanismen im Knorpel ohne Narbenentwicklung sind vor allem bei Erwachsenen sehr schlecht ausgebildet. Das hängt damit zusammen, dass Knorpel nicht durchblutet ist", erläuterte PD Dr. Michael Sittinger, Rheumatologe von der Charité der Humboldt-Universität zu Berlin und dem Deutschen Rheumazentrum in Berlin auf dem Kongreß.
Bisher 70 Patienten mit autologem Gelenkknorpel behandelt
Vor über zehn Jahren begann PD Dr. Sittinger nach Möglichkeiten zu suchen, Knorpelersatz aus körpereigenen Knorpelzellen (Chondrozyten) zu entwickeln. In der TransTissue Technologies GmbH, einer Ausgründung der Berliner Charité und Tochterunternehmen der BioTissue Technologies AG Freiburg, einem 1997 gegründeten spin-off Unternehmen der Universität Freiburg, konnte das Verfahren der autologen Chondrozytentransplantation zu einem dreidimensionalen Gewebeersatz weiterentwickelt werden. "Mit dieser zweiten Generation des patienteneigenen Knorpelregenerates sind in den vergangenen anderthalb Jahren bisher rund 70 Patienten mit Knie- und Sprunggelenksdefekten behandelt worden", sagte er.
Für die Knorpelzüchtung werden jedem einzelnen Patienten Knorpelzellen entnommen und mit dem eigenen Blutserum in Kultur vermehrt. Kurz vor der Transplantation werden die Zellen auf ein dreidimensionales, im Körper abbaubares Vlies aufgebracht, welches anschließend in einer Operation im Kniegelenk verankert wird, ohne das umliegende gesunde Gewebe zu beschädigen. Es zeigte sich, dass alle Patienten das Transplantat gut vertrugen. Da es körpereigen ist, wurde es auch nicht abgestoßen. Auch war der transplantierte Knorpel in das umgebende Gewebe so eingewachsen, dass zwischen ihm und dem Knochen keine Lücke klaffte.
Etwa 60 Prozent der in der Universitätsklinik Freiburg bislang behandelten Patienten zeigten nach Angaben der BioTissue Technologies AG zu Anfang der Behandlung eine beginnende Arthrose. "Bereits die vorliegenden Frühzeitergebnisse nach sechs, neun und zum Teil zwölf Monaten zeigen", so das Unternehmen weiter, "eine gute und fortbestehende Auffüllung des Knorpeldefektes bei allen Fällen." "Die Patienten hatten zudem nach der Behandlung deutlich weniger Beschwerden und eine höhere Lebensqualität. In der Regel wird nach einer solchen Transplantation das Kniegelenk nach einem Jahr wieder voll belastet." Die Kliniker in Berlin und Freiburg hoffen, mit diesem Zellpräparat, das seit Dezember 2001 in Deutschland auf dem Markt ist, künftig den Einsatz einer Kniegelenksprothese hinausschieben oder gar vermeiden zu können. In Deutschland werden pro Jahr schätzungsweise zwischen 20 000 und 50 000 Kniegelenksprothesen eingesetzt.
Patienteneigener Knochenersatz
Weiter gelang es Dr. Sittinger, ein Verfahren für ein ebenfalls dreidimensionales autologes Knochentransplantat zu entwickeln. Als Quelle für die Zellzüchtung dient ein Quadratzentimeter Knochenhaut vom seitlichen Unterkiefer. Der erste Patient war im Juni 2001 in der Kieferchirurgie der Uni-versitätsklinik Freiburg behandelt worden. Nach rund drei Monaten war der transplantierte Kieferknochen stabil genug, um ein Zahnimplantat einzubauen. Seit der Markteinführung im November 2001 haben rund 200 Patienten im Bundesgebiet dieses individuell gezüchteten Knochentransplantat erhalten.
"Die bisherigen Ergebnisse", so die Freiburger Biotechfirma, "sind sehr erfolgversprechend". In Gewebeproben sei junger neugebildeter Knochen nachgewiesen worden, der stabil und belastbar für ein Zahnimplantat sei. Gleichzeitig komme es durch die Verwendung patienteneigener Zellen und Serum zu keiner Abstoßungsreaktion, die Transplantate seien gut verträglich. Bisher musste Patienten, die einen Knochenersatz benötigten, ein Knochenstück am Becken oder am Kinn in einer zusätzlichen Operation entnommen werden.
Wachstumsfaktoren sollen künftig Stammzellen im Knorpel auf die Sprünge helfen
Ziel ist jedoch, künftig mit weniger patienteneigenen Zellen auszukommen. Stattdessen will Dr. Sittinger die natürlichen Regenerationsmechanismen im Körper des Patienten anregen, aktiver zu werden. Mit Wachstumsfaktoren will er die wenigen im Knorpel des Menschen vorhandenden aktiven Stammzellen anlocken, und sie anregen, zu wachsen und neues Knorpelgewebe zu bilden. Das heißt, künftig sollen sich Zellen nicht mehr in Kultur vermehren. Vielmehr sollen die natürlichen Regene-rationsmechanismen "in vivo", also im Patienten, direkt aktiviert werden. "Aber die Natur nachzustellen, ist schon sehr schwer", meinte Dr. Sittinger.
Prof. Minuth: "Intensive Grundlagenforschung nötig"
So sind denn auch "die Versuche mit anderen Zell- und Gewebekonstrukten bisher enttäuschend verlaufen", sagte Prof. Minuth. Zum Beispiel verlieren transplantierte Inselzellen rasch ihre Fähigkeit, das für Diabetiker lebensnotwendige Insulin zu produzieren. Ähnliches gilt für Nervenzellen, da die Axone bei der Regeneration nicht das Zielgewebe finden. Ebenso schwierig ist das Arbeiten mit Nierenzellen, da sie ihre typischen Filter- und Transportfunktionen nicht ausbilden wollen. Ebenso können Leberzellen, die in Kultur gezüchtet wurden, den Körper nicht ausreichend entgiften. "Tatsache ist, dass wir in den nächsten Jahren lernen müssen, wie funktionelle Gewebe im Körper entstehen und wie sie unter Kulturbedingungen optimal generiert werden können", betonte Prof. Minuth. Dazu sei intensive Grundlagenforschung nötig.
Künstliche Leber - erste Ansätze
Eine etwas andere Strategie verfolgt Prof. Jörg Gerlach vom McGowan Institute für Regenerative Medizin der Universität von Pittsburgh/USA und der Charité (Humboldt-Universität zu Berlin, Campus Virchow). In der Berliner Charité entwickelte er ein Reaktormodul, das mit menschlichen Leberzellen bestückt ist und ähnlich wie die Blutwäsche (Dialyse) bei Nierenpatienten, das Blut außerhalb des Körpers des Patienten (extrakorporal) durch Bioreaktoren entgiftet. In einer Kooperation Berlin/Pittsburgh wird das Verfahren weiterentwickelt. "In einer Pilotstudie wurde das Gerät bei 17 Patienten mit schweren Lebererkrankungen eingesetzt, die auf eine Lebertransplantation warteten. Bei 14 Patienten konnte die Wartezeit bis zur Lebertransplantation erfolgreich überbrückt werden, während ihre eigene Leber versagte", berichtete Prof. Gerlach. Sein Ansatz ist es, die Zellen in Kultursystemen mit integrierter Sauerstoffversorgung und dezentralem Stoffaustausch so zu unterstützen, dass sie selbstständig wieder in den entwickelten Therapiesystemen biologisch aktives Lebergewebe mit neuen Gefäßstrukturen ausbilden können. "Diese Bioreaktoren ermöglichen auch", so Prof. Gerlach weiter, "ein Wachstum von erwachsenen Stammzellen aus der Leber."
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Criteria of this press release:
Biology, Information technology, Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Scientific conferences
German
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