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Polyamine sind Nährstoffe, die vermehrt dort benötigt werden, wo Gewebe sich entwickeln, wachsen oder regenerieren. Niedrige Polyamin-Level werden mit neurodegenerativen Erkrankungen, Altern und Abnahme der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Zu viele Polyamine könnten dagegen bei der Krebsentstehung eine Rolle spielen. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried haben nun mit ihren schwedischen Kollegen gezeigt, mit welchen Rezeptoren Insekten Polyamine in der Nahrung erkennen. Die Studie legt nahe, dass die Möglichkeit Polyamine mit dem Geschmacks- und Geruchssinn zu erkennen, das Überleben und die Vermehrung von Tieren beeinflusst hat.
Polyamine sind kleine organische Verbindungen, die an grundlegenden Zellfunktionen wie der Zellteilung und dem Zellwachstum beteiligt sind. Eine Polyamin-Unterversorgung kann daher negative Folgen für die Gesundheit, kognitiven Fähigkeiten, Fruchtbarkeit, Reproduktion und die Lebenserwartung haben. Doch zu hohe Polyamin-Konzentrationen können schädlich sein. Die Polyaminversorgung des Körpers sollte daher zu den aktuellen Bedürfnissen passen: Während des Wachstums, bei Verletzungen oder bei erhöhten körperlichen Belastungen wie der Schwangerschaft ist der Bedarf besonders hoch. Einen Teil der benötigten Polyamine kann der Körper selbst oder mithilfe von Darmbakterien herstellen. Ein bedeutender Teil wird jedoch durch die Nahrung aufgenommen. So finden sich hohe Polyamin-Konzentrationen zum Beispiel in Orangen, reifem Käse aber auch in Tees und manchen Hülsenfrüchten. Da die Polyaminproduktion des Körpers im Alter abnimmt, wird die Polyaminaufnahme über die Nahrung mit der Zeit wichtiger.
Einige Polyamine tragen charakteristische Namen wie Cadaverin, Spermin oder Putrescin (lateinisch putridus bedeutet faulig). Was für uns Menschen und viele Tiere in höherer Konzentration unangenehm riecht und Gefahr signalisiert, ist in kleineren Mengen überlebenswichtig. Welche Rolle der Geruch und eventuell auch der Geschmack von Polyaminen bei der Nahrungswahl spielen, und wie die Moleküle überhaupt erkannt werden, war bislang unklar. "Die Wahrnehmung von Geruch und Geschmack ist in Fliegen und Menschen recht ähnlich", erklärt Ilona Grunwald Kadow, die eine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Neurobiologie leitet. "Wir haben daher am Modell der Fruchtfliege untersucht, ob und wie die Tiere Polyamine wahrnehmen und was dies für sie bedeutet." Nun konnten die Neurobiologen zeigen, dass polyaminreiches Futter, wie zum Beispiel eine überreife Frucht, die Anzahl und das Überleben des Fliegennachwuchses deutlich erhöht.
Die Forscher beobachteten, dass Fliegen vom Polyamingeruch stark angezogen wurden. Weibliche Fliegen legten ihre Eier lieber auf polyaminreichen, älteren Früchten als auf frischer Frucht. "Also mussten die Fliegen die Polyamine wahrnehmen – nur wie?", erläutert Ashiq Hussain, einer der beiden Erstautoren der Studie, die zentrale Frage. Die Forscher fanden heraus, dass die Tiere nicht nur den Geruch wahrnahmen, sondern auch ihren Geschmackssinn nutzen, um polyaminreiche Futterquellen zu finden und zu untersuchen. Unter dem Mikroskop beobachteten die Wissenschaftler, welche Geschmacks- und Geruchszellen aktiv wurden, wenn die Fliegen Polyamine wahrnahmen. Zusammen mit Verhaltensstudien und genetischen Untersuchungen identifizierten sie dann drei Rezeptoren, über die die chemosensorischen Nervenzellen den Geruch und Geschmack von Polyaminen erkennen können.
Die Ergebnisse zeigen, dass Fliegen eine polyaminreiche Nahrungsquelle zunächst über die beiden Rezeptoren IR76b und IR41a anhand des Geruchs finden. Dort erkennen die Geschmacksnervenzellen über den IR76b-Rezeptor zusammen mit einem Bitter-Rezeptor die Qualität der gefundenen Polyamine. Ähnlich wie bei uns Menschen scheint eine zu hohe Polyamin-Konzentration die Fliegen eher abzuschrecken. Sie fraßen oder legten ihre Eier nur dann in polyaminreiches Futter, wenn zusätzlich vorhandene Futterkomponenten wie zum Beispiel Zucker den bitteren Geschmack der Polyamine überdeckten. "Ein guter Mechanismus, um die optimale Konzentration dieser Stoffe erkennen zu können", erklärt Ashiq Hussain.
Die drei Rezeptoren, die die Polyaminerkennung ermöglichen, gehören zu einer evolutionär sehr alten Klasse von Proteinen. Sie sind mit Rezeptoren verwandt, die die synaptische Aktivität von Nervenzellen kontrollieren. "Es könnte daher sein, dass das Erkennen von Polyaminen über diese Rezeptoren schon früh in der Entwicklungsgeschichte die Überlebenschancen von Tieren verbessert hat", fasst Mo Zhang, die zweite Erstautorin, die Bedeutung der Ergebnisse zusammen. "So konnten diese wichtigen Nahrungskomponenten gefunden und in der richtigen Menge aufgenommen werden." Als nächstes wollen die Forscher untersuchen, ob auch Säugetiere Polyamine in der Nahrung erkennen und je nach Bedarf aufnehmen.
ORIGINALVERÖFFENTLICHUNG:
Ashiq Hussain, Mo Zhang, Habibe K. Üc̗punar, Thomas Svensson, Elsa Quillery, Nicolas Gompel, Rickard Ignell, Ilona C. Grunwald Kadow
Ionotropic chemosensory receptors mediate the taste and smell of polyamines
PLOS Biology, online am 4. Mai 2016
KONTAKT:
Dr. Stefanie Merker
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Tel.: 089 8578 - 3514
E-Mail: merker@neuro.mpg.de
www.neuro.mpg.de
Dr. Ilona Grunwald Kadow
Chemosensorische Kodierung
Max-Planck-Institut für Neurobiologie, Martinsried
Tel.: 089 8578 3159
Email: ikadow@neuro.mpg.de
http://www.neuro.mpg.de/kadow/de - Webseite der Forschungsgruppe von Dr. Grunwald Kadow
Die Geschmacksneurone im Fruchtfliegenbein werden über zwei Rezeptortypen von Polyaminen aktiviert. ...
© MPI für Neurobiologie / Loschek
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