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Das Frauenbüro der Ruhr-Universität Bochum hat eine aktuelle Dokumentation zum Thema "Frauenidentität" und "Frauenkörper" vorgelegt, die die Vorträge vom Interdisziplinären Frauenforschungstag des Jahres 1997 beinhaltet.
Bochum, 22.09.1998
Nr. 201
Als Männer noch bluteten und Frauen Samen verloren
Dokumentation über "Perspektiven auf Frauenkörper" erschienen
Ergebnisse des Frauenforschungstages vom Frauenbüro publiziert
Das Frauenbüro der Ruhr-Universität Bochum hat eine aktuelle Dokumentation zum Thema "Frauenidentität" und "Frauenkörper" vorgelegt, die die Vorträge vom Interdisziplinären Frauenforschungstag des Jahres 1997 beinhaltet.
Herr oder Frau Bürgermeister/in
Die aktuelle Diskussion um den transsexuellen Quellendorfer Bürgermeister Norbert Lindner - der Mitte Mai seinen Gemeinderäten in nicht-öffentlicher Sitzung anvertraute, er plane eine Frau zu werden und trage deshalb jetzt schon den Namen "Michaela" - macht deutlich, mit welch starren normativen Vorgaben das männliche und weibliche "Geschlecht" konstruiert ist, und zwar unabhängig von eingebrachten Qualifikationen und nachweislichen Erfolgen. Der Quellendorfer Fall bringt an den Tag, daß nicht sein kann, was nicht sein darf - daß ein gewählter Herr Bürgermeister nun eine Frau Bürgermeisterin oder sogar "etwas dazwischen" sein soll.
Themen der Geschlechtsidentität
Nicht nur Quellendörflern als Arbeitsgrundlage angeraten die neue Publikation aus dem Frauenbüro der RUB. In ihr erörtert die Biologin und Sozialwissenschaftlerin Brigitte Leiwering Formen der Transsexualität (Zweigeschlechtlichkeit), die Psychologin und Bochumer Buchhändlerin Ulrike Janz (Frauenbuchladen "Amazonas", Mitherausgeberin der Lesbenzeitschrift IHRSINN) den historischen Abriss des Begriffspaares "Sex" and "Gender", Dr. Akeline van Lenning von der Tilburg University (Niederlande) die Schmerzen der Körperkontrolle auf dem Weg zum perfekt konstruierten Körper und Dr. Gudrun Schäfer die Geschlechterklischees in Videoclips. Die vielfältigen Texte ergänzen sich und ermöglichen einen ersten Einstieg in das brisante Thema um die Geschlechtsidentität. Im Anhang finden sich zahlreiche thematisch weiterführende Literaturhinweise.
"Geschlecht" als Norm oder Operationsverstümmelung
Im Kapitel "Sex" und "Gender" erinnert Ulrike Janz an die historisch unterschiedliche Körperwahrnehmung von Frauen. Denn im 18. Jahrhundert nahmen die Frauen ihren Körper anders als heute wahr, weil sie ihr Geschlecht aus der sozialen Rolle und nicht aus den anatomischen Unterschieden herleiteten. So kam es vor, daß auch Männer "Blut verlieren" und Frauen "Samen haben". Ebenso erinnert Janz rückblickend, daß die Frauenforsche-rinnen der 70er Jahre das Sex-Gender-System als "Herrschaftsinstrument" entlarvten. Ein Jahrzehnt später wird das Begriffspaar als "biologistisch" kritisiert, da es soziale Unterschiede biologisiere. Man habe, so die Forscher/innen, die zwei biologischen Geschlechter schlichtweg erfunden, um den sozialen Hintergrund neu zu ordnen, bei dem die Frauen von den Menschen- und Bürgerrechten ausgeschlossen wurden. Heute gehe man angesichts der vielen Ausnahmen der Zweigeschlechtlichkeit genetisch wie endokrinologisch von einem geschlechtlichen "Kontinuum" aus. Trotzdem wird an diesem mittels "operativer Anpassungen" schmerzhaft manipuliert, um ein für allemal ein "männlich" oder "weiblich" festzulegen. Kritiker/innen dieser Methode sprechen mittlerweile schon von der europäischen Variante der Genitalverstümmelung.
Biologische Geschlechtsvariationen
Ähnlich argumentiert Brigitte Leiwering im Beitrag über die Variationen des biologischen Geschlechts. Für die meisten Eltern ist es eine private Katastrophe, auf die Frage nach dem Geschlecht des Kindes nicht genau antworten zu können. Aber bis zur sechsten Schwangerschaftswoche sind alle Embryonen ohnehin identisch, ihre Möglichkeiten liegen immer noch offen und es können sich sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsmerkmale entwickeln. Doch wenn es bei geborenen Hermaphroditen (Zweigeschlechtliche) zu operativen Geschlechtsumwandlungen kommt, werden biologische Vorgaben und damit medizinische Entscheidungen von kulturellen Überlegungen überlagert, zu welchem Geschlecht hinoperiert wird. Diese bestimmen, was einen Penis von der Klitoris unterscheidet. Vor solchen Über-legun-gen wird trotz eines männlichen XY-Chromosomenpaars ein Penis entfernt, wenn er unter die Norm von 2 cm fällt. Die "geschlechtskorrigierenden" Eingriffe werden bei Kindern bis spätestens zum vierten Lebensjahr durchgeführt, bei Jungen zur Verhinderung eines "Kastrationstraumas" schon eher.
Mehr Angst vor Fettsucht als vor Umweltkatastrophen
Einen anderen Weg körperlicher Leiden von Frauen macht Dr. Alkeline van Lenning deutlich. Laut einer Umfrage fürchten sich die Menschen in den westlichen kapitalistischen Gesellschaften heute eher vor einem Bauchansatz als vor Umweltkatastrophen. Das Absaugen von Körperfett ist derzeit deshalb auch die Schönheitsoperation Nummer eins. Auf dem Weg zum idealen Körper verlieren aber viele Frauen den Realitätsbezug und wollen deutliche Anzeichen wie Alter oder Magersucht nicht wahrnehmen. Im Bild der "natürlichen Schönheit" entlarvt sich die "Natürlichkeit" als kulturelles Konstrukt und eher als gelungenes Meisterwerk von Chirurg/inn/en. Schön-heits-chirurgie, so die niederländische Forscherin, ist übrigens keine Neuheit - die ersten Gesichtsstraffungen wurden 1919 in Frankreich durchgeführt, darauf folgten in Japan Brustvergrößerungen, heute die zweithäufigste Schönheitsoperation. Auch die kosmetische Chirurgie, so die Wissenschaftlerin weiter, ist weder geschlechts- noch ethnisch neutral.
Sklavinnen des Skalpels
90 % kosmetischer Eingriffe werden an Frauen vorgenommen; die Autorin bezeichnet sie deshalb auch als "Sklavinnen des Skalpells", die in der Kindheit verinnerlichten, daß ihre sozialen Möglichkeiten von der äußeren Attraktivität abhängen. Ethnische Minderheiten lassen speziell Nasenkorrekturen über sich ergehen, Asiatinnen finden sich schöner mit großen Augen.
Schönheitsspieß gewendet
Im letzten Beitrag analysiert die Medienwissenschaftlerin Dr. Gudrun Schäfer die Geschlechterklischees in Videoclips, wo sie humorvolle Parodierungen von Geschlechtlichkeit findet und darin eine kritische Hinterfragung der männlichen Schaulust sieht. Für die Zukunft prognostiziert sie, daß sich der gesellschaftliche Schönheitswettbewerb erweitert und ein rasanter Zuwachs an optisch perfekten Männerkörpern auf uns zurollt.
Weitere Informationen
Perspektiven auf Frauenkörper - Dokumentation des Interdisziplinären Frauenforschungstages der Ruhr-Universität Bochum, 19. Juni 1997, 83 Seiten. Erhältlich im: Frauenbüro der Ruhr-Universität Bochum, FNO 02/010/012, 44780 Bochum, Tel. 0234/700-7837, Fax: 0234/7094-354
Criteria of this press release:
Biology, History / archaeology, Information technology, Media and communication sciences, Psychology, Social studies
transregional, national
Research projects, Scientific Publications
German
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