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MEDIZINISCHE FAKULTÄT DER HUMBOLDT-UNIVERSITÄT ZU BERLIN
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Pressereferat-Forschung
Dr. med. Silvia Schattenfroh
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AUS DER MEDIZIN FÜR DIE MEDIEN Nr. 8 1998
Acht bis 10 Prozent der ausgetragenen Schwangerschaften enden in einer zu frühen Geburt des Kindes. Diese hohe Rate an Frühgeburten ist in allen industriealisierten Staaten (mit Ausnahme von Frankreich) seit 20 Jahren unverändert geblieben. Jetzt gibt es erstmals Gründe anzunehmen, daß das Blatt zu wenden ist. Professor Joachim Dudenhausen, Direktor der Klinik für Geburtsmedizin an der Charité, der Medizinischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität, hat Forscher zu einem internationalen Symposium gebeten, deren Arbeit Licht am Horizont verspricht. ("Extending Horizons of Research in Prematurity" vom 18./19. September 1998).
Wir sprachen mit Professor Dudenhausen.
Warum ist es trotz hochentwickelter Geburtshilfe so gefährlich, zu früh (also vor der 37. Woche) geboren zu werden?
Weil zwei Drittel der Todesfälle während oder kurz nach der Geburt jene Säuglinge betreffen, die zu früh auf die Welt gekommen sind. Gefährdet sind weniger Kinder, die bis zur vollendeten 34. Woche im Mutterleib bleiben. Wirklich Probleme machen die, die es nur bis zur 26. oder .28. Woche geschafft haben. Untersuchungen aus Holland weisen darauf hin, daß Kinder, die vor der 32. vollendeten Woche geboren werden, sehr oft neurologische Behinderungen haben. Wir werden das jetzt in der Charité nachprüfen.
Die Geburtshilfe ist ja in den letzten zwei Jahrzehnten nicht untätig geblieben. Wie erklärt es sich, daß dennoch bei der Vermeidung von Frühgeburtlichkeit keine Fortschritte erzielt worden sind?
Zum Einen hat die hochtechnologische Medizin dazu begetragen, die Zahl der Risikoschwangerschaften zu vermehren, nämlich durch die künstliche Befruchtung, bei der gewöhnlich Mehrlingsschwangerschaften entstehen. In New York beispielsweise tragen in kommerziellen Fertilisationskliniken schon 40 % der Frauen Mehrlinge aus. Solche Schwangerschaften sind per se schon mit dem Risiko der Frühgeburtlichkeit verbunden. Ich plädiere dafür, das verbreitete Vorgehen, bei einer Frau mit Kinderwunsch statt einem Ei gleich mehrere zu befruchten, aufzugeben. Wir brauchen auf diesem Gebiet ein neues Reglement.
Kommen wir zurück zu den Versuchen,Frühgeburten zu verhindern.....
Es sind zahlreiche Methoden erprobt worden, die vielversprechend schienen. Aber sie sind alle erfolglos geblieben. So ist kein Beweis dafür erbracht worden, daß wir durch Verordnung von wehenhemmenden Mitteln, Betamimetika, in Tablettenform Frühgeburten aufhalten können. Deshalb sollte man diese Verordnung endlich unterlassen. Mit Wehenhemmern, die injiziert werden, läßt sich die Geburt um etwa 14 Tage hinauszögern, was im Einzelfall sehr sinnvoll sein kann. So kommen Kinder heute vielleicht statt in der 32. Woche in der 34 auf die Welt. Aber das hat an der Summe der Frühgeburten nichts geändert
Auch die sogenannte Cerclage, der operative Verschluß des Muttermunds, hat sich nicht als effektiv erwiesen und die Annahme, daß strikte Bettruhe hilfreich sein würde, ist ebenfalls irrig. Sie begünstigt das Auftreten von Venenthrombosen und Lungenembolien. Wirksam ist dagegen körperliche Schonung und die frühzeitige Behandlung von Vaginalinfektionen mit Antibiotika bietet offenbar einen gewissen Schutz.
Was also hat man falsch gemacht?
Wir haben gewiß zu einseitig auf jeweils ein Verfahren gestarrt. Je mehr wir dank moderner Molekularbiologie vom natürlichen Ablauf von Schwangerschaft und Geburt verstehen, desto deutlicher sehen wir, daß ein einzelnes Risiko, etwa die Vaginalinfektion, nicht entscheidend ist, sondern mehrere zusammen erst die Gefahr ausmachen. Professor Wolfgang Rath aus Aachen, hat hier in Berlin deutlich gemacht, was biochemisch abläuft, wenn der Gebärmutterhals seine feste Gewebestruktur verliert, und so weich wird, daß das Kind schließlich diesen ehemals verschlossen Weg passieren kann. Daran sind Enzyme beteiligt, die das bindegewebige Kollagen des Gebärmutterhalses abbauen. Außerdem werden Zytokine (Interleukin 1beta, 6 und 8) wirksam, unter deren Einfluß weiße Blutkörperchen und Mastzellen in das Gewebe einströmen, so daß es weich und dehnbar wird. Die beteiligten Zytokine stimulieren letztlich jene Substanzen, die die zentrale Rolle bei der Geburtseinleitung haben, die Prostaglandine. Wir erwarten daß aus dieser neuen Kenntnis der normalen "Reifung" des Gebärmutterhalses Behandlungskonzepte abgeleitet werden, die einen zu frühen Geburtsbeginn verhindern können.
Gibt es schon konkretere Fortschritte?
"Wir müssen genauer und früher erkennen können, wann es dem Kind schlecht geht. Wenn es zur Frühgeburt kommt, ist dies ja sehr häufig ein Zeichen für eine Mangelsituation, in die der Säugling geraten ist. Zwillinge beispielsweise sind nicht von vorn herein mangelentwickelt. Sie geraten aber oft ab der 32. Woche in einen solchen Zustand, der dann in die Frühgeburt mündet. Professor Charles Lockwood aus New York hat hier in Berlin deutlich gemacht, daß eine körpereigene Substanz, das Fibronektin, das in den kindlichen Eihäuten gebildet wird, dann stark vermehrt wird, wenn das Kind in Not gerät. Das ist ein sicherer Hinweis auf drohende Frühgeburt. Die Kombination von Ultraschall, Dopplerflußmessung und Fibronektin-Test ist unser genauestes Werkzeug zur Vorhersage, ob eine Frühgeburt droht oder nicht. Dies gilt es besser als bisher zu nutzen.
Hilfreich wird auch eine Weiterentwicklung der Wehenaufzeichnung bei drohender Fehlgeburt werden. Robert Garfield aus Galveston in Texas, stellte in Berlin eine neues Verfahren zur Wehenüberwachung vor. Die "elektromyographische Tokometrie" zeichnet nicht wie bisher, die Veränderung der Bauchform durch die Wehen auf, sondern die Elektropotentiale der sich kontrahierenden einzelnen Bauchmuskeln. Das ergibt ein viel genaueres Bild von der Wehentätigkeit, als wir es bisher haben.
Sie nennen diagnostische Hilfen, wie steht es mit therapeutischen? Sie haben schon erwähnt, daß die Bekämpfung von Infektionen aus dem Genitaltrakt Ursache von Frühgeburtlichkeit sein können. Dennoch kommt es vielfach trotz Antibiotikabehandlung zur Frühgeburt.
"Professor Rankumar Menon aus Nashville/Tennesse hat uns dargestellt, daß die Infektion der Mutter nur ein Faktor ist. Ein weitere ist das Immunsystem des Feten. Die Eihäute reagieren aktiv auf Infektionen mit der Ausschüttung von Zytokinen und die sind für den Feten gefährlich. Daher ist "Professor Klaus Friese aus Rostock zuzustimmen, der überzeugend dargelegt hat, daß die antibiotische Behandlung zwar unbedingt durchgeführt werden sollte, aber mit der Gabe von Nebennierenrindenhormonen, Cortikoiden, verbunden werden muß. Cortikoide nämlich blockieren die durch die Infektion bedingte Ausschüttung von Zytokinen in den Eihäuten, die für den Säugling ein hohes Risiko der Gehirnblutung bedeuten. Cortikoide schützen also das Gehirn des Kindes, sie verhindern geistige und neurologischen Schäden. Das ist eine neue Einsicht, die man unbedingt nutzen sollte.
Friese empfiehlt bei Schwangerschaftsinfektionen gleichzeitig auch den Einsatz von Wehenhemmern. Sie haben keine gute Meinung Betamimetika...
Ich erwarte, daß sich neue Substanzen durchsetzen. Größere Hoffnungen richten sich zur Zeit auf ein neues Prinzip: Auf einen Hemmstoff des Hormons Oxitocin, das an der Gebärmutter Kontraktionen auslöst. Der neue Stoff (Handelsname: Atosiban) besetzt die Rezeptoren für Oxitocin, so daß das Hormon unwirksam bleibt. Professor Bossmar aus Lund hat uns ermutigende Ergebnisse mitgeteilt. Nachteilig ist, daß das Mittel injiziert werden muß.
Sie erwähnten, daß allein Frankreich es geschafft hat, die Zahl seiner Frühgeburten zu verringern. Was können die Franzosen besser ?
Dort hat der Pariser Geburtshelfer, Professor Emile Papiernik, ein Konzept entwickelt, das inzwischen im ganzen Land angewendet wird und die Rate der spontanen Frühgeburten von 7,5 auf 3,8% halbiert hat. Es besteht aus den drei Säulen: Intensiver Information der Schwangeren, Änderung ihres Lebenstils (Vermeidung von Drogen, Alkohol, Nikotin) und körperlicher Schonung, die bei Risikoschwangerschaften die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einschließt, aber ausdrücklich nicht Bettruhe meint. Medikamente werden nicht eingesetzt.
Was hindert uns in Deutschland, das Konzept zu übernehmen?
Das deutsche Gesundheitswesen honoriert den Präventionsgedanken nicht.
(Silvia Schattenfroh)
Die Anschriften der imText genannten Forscher sind auf Anfrage verfügbar.
Criteria of this press release:
Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
transregional, national
Research projects
German
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