idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
12/19/2017 13:48

Experimenteller Wirkstoff beeinflusst diverse Mechanismen, die mit Alzheimer in Verbindung stehen

Dr. Marcus Neitzert Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE)

    Der chemische Wirkstoff „anle138b“ mäßigt kognitive Ausfallerscheinungen und normalisiert die Genexpression in einem Mausmodell der Alzheimer-Erkrankung. Überdies scheint er schädliche Löcher in der Hülle von Nervenzellen zu verschließen. Ein internationales Forscherteam berichtet darüber im Fachjournal „EMBO Molecular Medicine“. Die Wissenschaftler schlagen vor, in klinischen Studien zu untersuchen, ob sich anle138b zur Behandlung von Alzheimer und möglicherweise anderen neurodegenerativen Erkrankungen eignet.

    An der Studie waren Forschungseinrichtungen aus Europa und den USA beteiligt: darunter das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), die Universitätsmedizin Göttingen (UMG), das Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie (MPI-BPC), der Göttinger Exzellenzcluster „Mikroskopie im Nanometerbereich und Molekularphysiologie des Gehirns“, die Technische Universität Braunschweig sowie die University of California San Diego (UC San Diego).

    Alzheimer ist eine verheerende neurodegenerative Erkrankung, die letztlich zur Demenz führt. Eine wirksame Behandlung gibt es bislang nicht. Im Zuge des Krankheitsprozesses verkleben bestimmte Eiweißstoffe – sogenannte Amyloid-Beta-Peptide, kurz „Aß-Peptide“ genannt – und lagern sich im Gehirn an. Diese Aggregate stehen im Verdacht, die Nervenzellen zu schädigen. Doch wie dies geschieht, ist unklar.

    „Einer Hypothese zufolge könnten Aggregate aus Aß-Peptiden an der Bildung von Poren in der Zellmembran beteiligt sein. Strömen Ionen unkontrolliert durch diese Kanäle, kann das empfindliche Milieu im Inneren einer Nervenzelle aus dem Gleichgewicht geraten. Dies kann zu Funktionsstörungen und möglicherweise zum Zelltod führen“, sagt Prof. André Fischer, leitender Wissenschaftler am DZNE und an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG.

    Porenbildung im Fokus

    Im Rahmen der aktuellen Studie wurden sowohl künstliche Membranen als auch Membranen von Nervenzellen untersucht. „Zwar fehlt noch der endgültige Beweis, aber unsere Ergebnisse stützen die Vermutung, dass die Porenbildung durch Aß-Peptide an der Alzheimer-Erkrankung beteiligt sein könnte“, so Ratnesh Lal, Professor für Bioengineering an der UC San Diego.

    Zudem deuten die aktuellen Daten darauf hin, dass anle138b die Porenbildung zwar nicht verhindert, aber deren Struktur ändert und darüber die Leitfähigkeit der Membrankanäle beeinflusst. Das verringert den Ionenfluss, meist wird er sogar gänzlich gestoppt.

    Untersuchungen an Mäusen

    Anle138b wurde bereits in anderen Studien untersucht und konnte dort die Fehlfaltung bestimmter Proteine verhindern, die eine Rolle bei neurodegenerativen Krankheiten spielen. Synthetisiert wurde die Substanz am MPI-BPC in der Abteilung von Prof. Christian Griesinger in Zusammenarbeit mit Armin Giese von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). „Der Wirkstoff kann ins Gehirn gelangen, wenn er oral eingenommen wird. Daher ist er einfach zu verabreichen“, erklärt Griesinger.

    In der aktuellen Studie wurden Mäuse mit anle138b behandelt, deren Hirnfunktion und Gedächtnis beeinträchtig war und in deren Gehirnen sich allmählich Aß-Peptide ansammelten. Ähnliche Symptome treten bei Alzheimer-Patienten auf. Wurde diesen Nagern anle138b verabreicht, normalisierte dies ihre Hirnaktivität und verbesserte die Lern- und Merkfähigkeit. Die Wirkung trat auch dann ein, wenn die Therapie erst nach der Ablagerung von Aß-Peptiden einsetzte. „Es war eine große Überraschung, dass der positive Effekt ebenso bei fortgeschrittener Erkrankung auftrat”, sagt Prof. Martin Korte von der Technischen Universität Braunschweig.

    Krankheitsmodifizierende Eigenschaften

    Darüber hinaus untersuchten die Forscher, wie sich die Substanz auf die Genaktivität auswirkt. Sie analysierten dazu die Genexpression von Neuronen des Hippocampus – ein für das Gedächtnis wichtiges Hirnareal. In den erkrankten Mäusen war die Aktivität zahlreicher Gene gestört. Die Behandlung mit anle138b normalisierte jedoch weitgehend die Genexpression und somit das Spektrum der in den Nervenzellen vorkommenden Proteine. Das deutet darauf hin, dass die Substanz nicht nur Symptome abschwächt, sondern auch krankheitsmodifizierend ist – also den Krankheitsprozess beeinflusst.

    Wirkung auf Tau-Proteine

    Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit bisherigen Studien. Demnach wirkt anle138b ebenfalls auf sogenannte Tau-Proteine – sie sind ebenfalls an der Alzheimer-Erkrankung beteiligt. Bei Mäusen, die von einer krankhaften Verklumpung dieser Proteine betroffen waren, linderte anle138b neurologische Beschwerden. Auf molekularer Ebene zeigte sich, dass der Wirkstoff das Zusammenlagern der Tau-Proteine verhinderte.

    „Bei der Interpretation solcher Daten muss man vorsichtig sein. Denn keines der aktuellen Tiermodelle bildet die Symptome, die man bei Alzheimer-Patienten beobachtet, vollständig nach“, betont Prof. Gregor Eichele, Abteilungsleiter am MPI-BPC.

    „Dennoch ist anle138b sicherlich recht einzigartig, da es auf die beiden Hauptmerkmale der Alzheimer-Erkrankung einwirkt. Nämlich auf Aß-Peptide und Tau-Proteine. Insofern sehe ich anle138b als möglichen Kandidaten für klinische Studien zu Alzheimer und eventuell andere neurodegenerative Erkrankungen“, ergänzt DZNE-Wissenschaftler Fischer.

    Die Vorarbeiten dafür sind bereits im Gange: Der Wirkstoff anle138b soll in der MODAG GmbH, einer gemeinsamen Ausgründung der LMU und des MPI-BPC, zur Marktreife weiterentwickelt werden in der Hoffnung, eines Tages Krankheiten wie Parkinson, Alzheimer und Creutzfeldt-Jakob aufhalten zu können.

    Originalveröffentlichung
    „The diphenylpyrazol compound anle138b blocks Aß channels and rescues disease phenotypes in a mouse model for amyloid pathology“, Ana Martinez Hernandez et al., EMBO Molecular Medicine (2017), DOI: 10.15252/emmm.201707825

    --

    Medienkontakte

    Dr. Marcus Neitzert
    Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
    Wissenschaftsredakteur
    Tel.: 0228 43302-267
    E-Mail: marcus.neitzert@dzne.de

    Dr. Carmen Rotte
    Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie
    Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0551 201-1304
    E-Mail: crotte@mpibpc.mpg.de

    Stefan Weller
    Universitätsmedizin Göttingen
    Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
    Tel.: 0551 39-9959
    E-Mail: sweller@med.uni-goettingen.de

    Stephan Nachtigall
    Technische Universität Braunschweig
    Pressereferent
    Tel.: 0531 391-2160
    E-Mail: s.nachtigall@tu-braunschweig.de


    More information:

    http://embomolmed.embopress.org/content/early/2017/12/04/emmm.201707825.long Link zur Originalveröffentlichung
    https://www.dzne.de/ueber-uns/presse/meldungen/2017/pressemitteilung-nr-23.html deutsche Fassung dieser Pressemitteilung
    https://www.dzne.de/en/about-us/public-relations/news/2017/press-release-no-23.h... englische Fassung dieser Pressemitteilung


    Images

    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars
    Medicine
    transregional, national
    Research results
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).