idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
12/20/2017 09:27

Antidepressivum könnte gegen Multiple Sklerose helfen

Dr. Julia Weiler Dezernat Hochschulkommunikation
Ruhr-Universität Bochum

    Das Antidepressivum Clomipramin könnte auch gegen die Symptome der Multiplen Sklerose (MS) helfen, speziell gegen die progrediente Form, die ohne Schübe verläuft. Gegen diesen MS-Typ gibt es bislang kaum Medikamente. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Prof. Dr. V. Wee Yong von der University of Calgary und Dr. Simon Faissner von der Ruhr-Universität Bochum screenten 1.040 generisch erhältliche Medikamente und fanden darunter eines, das basierend auf präklinischen Untersuchungen für die Multiple-Sklerose-Therapie infrage kommt. In der Zeitschrift „Nature Communications“ vom 19. Dezember 2017 berichten sie über ihre Ergebnisse.

    Mittlerweile sind zwölf Medikamente für die schubförmige Phase der Multiplen Sklerose zugelassen; für progrediente Formen gibt es hingegen nur wenige Therapieansätze. „Die Mechanismen, die bei progredienter MS zu Schädigungen führen, sind teils andere als bei der schubförmigen MS. Daher brauchen wir für Letztere andere therapeutische Ansätze“, sagt Simon Faissner. Der Postdoktorand von der Neurologischen Universitätsklinik am Bochumer St. Josef-Hospital führte seine Arbeiten für die Studie bei einem Forschungsaufenthalt an der University of Calgary durch, gefördert vom Preis für klinische Forschung der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität.

    Potenzielle Nebenwirkungen bereits bekannt

    Das Team arbeitete mit zugelassenen Medikamenten, für die potenzielle Nebenwirkungen bereits dokumentiert sind. Aus diesen wählten die Forscher 249 gut verträgliche Arzneimittel aus, die sicher ins Zentralnervensystem gelangen, wo bei progredienter MS eine chronische Entzündung abläuft. An Zellkulturen testeten sie, welche der 249 Substanzen Nervenzellen vor dem schädigenden Einfluss von Eisen bewahren können. Denn durch Zellschäden wird bei Multipler Sklerose Eisen freigesetzt, das wiederum Nervenzellen schädigt.

    Nach diesen Tests blieben 35 Kandidaten über, die die Forscher auf weitere Eigenschaften hin analysierten, etwa ob sie Schäden an den Mitochondrien – den Kraftwerken der Zellen – reduzieren können oder die Aktivität von weißen Blutkörperchen senken, die bei der MS die Isolierung der Nervenzellen angreifen. Das Medikament Clomipramin erwies sich dabei als vielversprechend.

    Präklinische Studien zeigen Erfolge

    Die Substanz untersuchten die Wissenschaftler dann an Mäusen mit einer Krankheit, welche vergleichbar mit der schubförmigen Multiplen Sklerose bei Menschen ist. Die Behandlung unterdrückte die neurologischen Ausfälle komplett, es traten weniger Nervenzellschäden und Entzündungen auf.

    In einem weiteren Test behandelten sie Mäuse mit einer Krankheit, die der progredienten MS bei Menschen ähnlich ist. Auch hier zeigte sich eine Wirkung, wenn die Forscher die Therapie sofort beim Auftreten der ersten klinischen Anzeichen für die Krankheit begannen. Anders als bei Tieren, die mit einem Placebo behandelt wurden, kam es zu verminderten Symptomen wie Lähmungserscheinungen.

    Klinische Studien geplant

    Simon Faissner ist seit Januar 2017 zurück aus Kanada in Bochum und arbeitet in der Gruppe von Prof. Dr. Ralf Gold daran, weitere potenziell vor MS schützende Medikamente zu identifizieren und die Mechanismen hinter dem progredienten Verlauf besser zu verstehen.

    „Basierend auf den vielversprechenden präklinischen Daten ist es unser langfristiges Ziel, Clomipramin und weitere Medikamente aus dem Screening in klinischen Studien an Patienten zu untersuchen“, erklärt Faissner. „Ein Vorteil von generisch erhältlichen Medikamenten ist, dass es hinreichend klinische Erfahrung hinsichtlich des Nebenwirkungspotenzials gibt.“ Phase-1-Studien, also Untersuchungen der Verträglichkeit an gesunden Probanden, müssen daher nicht durchgeführt werden. „Gleichzeitig liegt eine große Herausforderung in der Finanzierung derartiger Studien“, so Faissner.

    Progrediente Multiple Sklerose

    Die Multiple Sklerose ist in der westlichen Welt der häufigste Grund für neurologische Behinderung bei jungen Menschen. Bei der Erkrankung schädigen die eigenen weißen Blutkörperchen die Umhüllung der Nervenzellen, die sogenannte Myelinscheide. Das führt zu neurologischen Ausfällen, die bei 85 Prozent der Patienten in Schüben verlaufen und Sehstörungen, Lähmungen oder Taubheitsgefühle mit sich bringen können. Bei einem Großteil der Patienten kommt es nach 15 bis 20 Jahren zu einer schleichenden Verschlechterung, der Progression. Bei zehn Prozent der Patienten verläuft die Erkrankung von Beginn an progredient ohne das Auftreten von Schüben.

    Förderung

    Die Studie wurde finanziert durch die Programme „Alberta Innovates – Health Solutions CRIO Team Program“ und „Hotchkiss Brain Institute Multiple Sclerosis Translational Clinical Trials Research Program“. Simon Faissner wurde finanziell von der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum (Forum) unterstützt, Wee Yong durch einen Canada Research Chair (Tier 1) Award.

    Originalveröffentlichung

    Simon Faissner, Manoj Mishra, Deepak K. Kaushik, Jianxiong Wang, Yan Fan, Claudia Silva, Gail Rauw, Luanne Metz, Marcus Koch, V. Wee Yong: Systematic screening of generic drugs for progressive multiple sclerosis identifies clomipramine as a promising therapeutic, in: Nature Communications, 2017, DOI: 10.1038/s41467-017-02119-6

    Pressekontakt

    Dr. Simon Faissner
    Klinik für Neurologie
    St. Josef-Hospital
    Ruhr-Universität Bochum
    Tel.: 0234 509 2411
    E-Mail: simon.faissner@rub.de

    Prof. V. Wee Yong, PhD
    Department of Clinical Neurosciences
    Hotchkiss Brain Institute
    Cumming School of Medicine
    University of Calgary
    Alberta, Canada
    Tel.: +1 403 220 3544
    E-Mail: vyong@ucalgary.ca


    Images

    Während seines Forschungsaufenthalts in Kanada suchte der Bochumer Wissenschaftler Simon Faissner mit seinen Kollegen nach neuen Wirkstoffen gegen Multiple Sklerose.
    Während seines Forschungsaufenthalts in Kanada suchte der Bochumer Wissenschaftler Simon Faissner mi ...
    Source: © RUB, Marquard


    Criteria of this press release:
    Journalists
    Medicine
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).