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Wie Mamas und Papas sein sollen, lernen Kinder von klein auf. Dabei geht es meist um zahllose gute Eigenschaften wie Fürsorge und Mut, Empathie und Stärke. Gefeiert wird eine solch glücklich-harmonische Geschlechterordnung auch an Mutter- und Vatertagen. Doch wo hören Geschlechterrollen auf, wo werden sie zu sanftem Alltagssexismus und wo fängt menschenfeindlicher Sexismus an?
Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des öffentlichen Vortrags „Muttertag, Vatertag - ein Fall von Alltagssexismus?“, den Dr. Désirée Waterstradt, Assoziiertes Mitglied des Instituts für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft, am Montag, 7. Mai, um 18.15 Uhr an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Bismarckstraße 10, 76133 Karlsruhe, Gebäude 2, Raum A.020 hält. Der Vortrag zu Elternschaft und Sexismus mit anschließender Diskussion begibt sich – wenige Tage vor Vatertag und Muttertag am 10. und 13. Mai – auf eine spannende Entdeckungsreise auf den Spuren aktueller Forschung.
Interview mit Dr. Désirée Waterstradt zur honorarfreien Verwendung:
Bedürfnis nach einem Elterntag wächst
Dr. Désirée Waterstradt vom Institut für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe erläutert, wie Muttertag und Vatertag entstanden sind, was sie mit Alltagssexismus zu tun haben und warum es wichtig ist, die Fürsorgeverantwortung von Eltern zu würdigen.
Viele Eltern genießen „ihren“ Muttertag und Vatertag. Die Kinder haben gebastelt oder Bilder gemalt und Papa und Mama freuen sich über die Geschenke. Was hat das mit Alltagssexismus zu tun?
"Wenn Paare heute ihr erstes Kind erwarten, haben sie meist sehr konkrete Gleichheitsideale: Sie möchte ihren Beruf nicht aufgeben. Er wünscht sich eine fürsorgende, nahe Beziehung zum Kind. Beide möchten sich die Hausarbeit teilen. Dieses Selbstverständnis passt nicht mehr so recht zu den Geschlechterrollen des 19. Jahrhunderts, die vor rund 100 Jahren zur Entstehung von Muttertag und Vatertag geführt haben. Denn diese Rollen waren als Gegensatz angelegt: der distanziert-autoritäre Vater und die selbstaufopfernd-liebende Mutter. Heute wird dies aber immer weniger als ideal empfunden, sondern als leidvolle Beschränkung für beide.
Allerdings ändern sich Strukturen und Einstellungen nicht so schnell. Die geschlechterbezogenen Erwartungen sind noch allgegenwärtig und durchziehen unseren Alltag. Sie wirken als unsichtbare Kraft – oftmals sanft, wohlmeinend und idealisierend, aber nicht selten auch gedankenlos, rücksichtslos oder gar feindselig. Dieses gesamte Spektrum wird Alltagssexismus genannt."
Sollten wir keinen Muttertag und Vatertag mehr feiern?
"Im Gegenteil, aber als Elterntag, bei dem die Übernahme der persönlichen Fürsorgeverantwortung für ein Kind gewürdigt wird. Und zwar durch das Kind und die Verwandtschaft, aber auch durch Kita, Schule, Politik, Medien und Gesellschaft. Denn die Anforderungen an Eltern wachsen immer weiter – ob bei Digitalisierung, Allergien oder Verkehrserziehung. Das führt zu einer Anspruchsinflation gegenüber Eltern und zu zunehmender Rücksichtslosigkeit gegenüber ihren Bedürfnissen.
Der erste Elterntag entstand 1937 auf den Philippinen. Dann folgte 1973 Süd Korea, 1994 die USA und 2012 riefen die Vereinten Nationen einen Weltelterntag aus. Dabei sollen alle Eltern weltweit für ihr Engagement für ihre Kinder gewürdigt werden. Auch im deutschsprachigen Raum wächst das Bedürfnis nach einem Elterntag. Etliche Kindergärten und Grundschulen feiern nicht mehr Muttertag und Vatertag, sondern einen Elterntag."
Wäre ein „Familientag“ eine Alternative?
"Nein, damit würde man allen einen Bärendienst erweisen. Denn Familien sind heute kindzentriert, da das Kindeswohl im Zentrum stehen soll. Das Elternwohl spielt dabei keine Rolle. Eine solche Selbstaufopferung ist für Männer völlig neu. Sie verkehrt die frühere Rolle als Familienoberhaupt ins Gegenteil und wird nicht selten abgelehnt. Das zeigt nicht zuletzt der laufend steigende Anteil alleinerziehender Mütter. In Deutschland sind das heute rund 20 Prozent aller Familien. Weltweit führend ist Kolumbien, wo der Anteil in den Städten bereits bei 39 Prozent liegt und 84 Prozent aller Kinder außerhalb einer Ehe geboren werden.
Für Frauen sind Demut und Selbstaufopferung seit Jahrtausenden ein zentraler Teil ihrer Identität. Im 20. Jahrhundert wurden ihnen die steigenden Fürsorgeerwartungen als persönliche Verantwortung zugeordnet und es entstand das Schreckensbild der verschlingenden, übermächtigen Mütter. Frauen balancieren seitdem auf einem immer schmaleren Grad zwischen zu wenig und zu viel Fürsorge, zwischen Raben- und Helikoptermutter.
Doch weibliche Selbstaufopferung ist ein ähnlich fatales Ideal wie Schlankheit oder Sexyness. Es macht verletzlich und führt in weiblichen Lebensläufen zu zahllosen „Narben“ – von psychischen Erkrankungen bis zu Altersarmut. Dies zu fördern oder gar zu feiern, wird immer mehr als problematisch empfunden."
Wie kam es überhaupt dazu, dass in Deutschland Muttertag und Vatertag gefeiert werden?
"Ende des 19. Jahrhunderts ist in Ostdeutschland die Herrenpartie entstanden. Unter dem Motto „Los von Muttern“ zogen Männer gemeinsam aus, um mit viel Alkohol ihre Männlichkeit zu feiern. Daraus wurde der Vatertag, an dem bis heute die Unfallzahlen unter Alkoholeinfluss drastisch steigen.
Der Muttertag geht auf die Amerikanerin Anne Jarvis zurück, die die Bewegung zur Begründung des Muttertags anführte. 1908 wurde der erste Muttertag in den USA gefeiert, 1914 in Deutschland. Da der Tag jedoch zunehmend instrumentalisiert und kommerzialisiert wurde, bereute sie dies am Ende ihres Lebens und wollte ihn wieder abschaffen.
Muttertag und Vatertag sind heute also vor allem ein Wirtschaftsfaktor und ein zunehmend fragwürdiger Brauch, der veraltete Geschlechterrollen romantisch verklärt und wiederbelebt. Über kurz oder lang wird er wohl vom Elterntag abgelöst."
Zur Person
Dr. Désirée Waterstradt ist Unternehmensberaterin für strategische Kommunikation. Daneben engagiert sie sich in der Erforschung von Elternschaft. Seit 2015 ist sie Assoziiertes Mitglied des Instituts für Transdisziplinäre Sozialwissenschaft der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Ihre Forschungsergebnisse zum Grundlagenwissen von Elternschaft vermittelt sie anschaulich und praxisnah in Seminaren, Vorträgen und Workshops – an Hochschulen, Weiterbildungsinstituten und pädagogischen Einrichtungen.
Pressekontakt:
Regina Schneider M. A.
Pressereferentin
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Bismarckstraße 10
76133 Karlsruhe
Telefon +49 721 925 4115
E-Mail: Regina.Schneider@vw.ph-karlsruhe.de
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Die Pädagogische Hochschule Karlsruhe ist eine bildungswissenschaftliche Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht. Die Hochschule kombiniert in besonderer Weise eine fundierte Grundbildung für Lehrerinnen und Lehrer verschiedener Schulstufen, Basisqualifikationen für Menschen, die in anderen Bildungsbereichen tätig sein möchten, sowie professionelle Weiterbildungs- und Dienstleistungsangebote mit Forschung und Entwicklung auf hohem Niveau. Ihre thematischen Schwerpunkte sind „MINT in einer Kultur der Nachhaltigkeit“, „Mehr sprachliche Bildung und Bilinguales Lehren und Lernen/CLIL“ und „Bildungsgerechtigkeit im Kontext von gesellschaftlicher Vielfalt und Ungleichheit“. Diese Profilfelder werden durch die zwei Querschnittsthemen „digitale Bildung“ und „Professionalisierung“ komplementiert. Mit rund 3700 Studierenden und 180 in der Wissenschaft tätigen Mitarbeitenden zeichnet die Hochschule ein hohes Niveau in Forschung und Lehre aus.
http://www.ph-karlsruhe.de/de/institute/ph/institutfrsozialwissenschafte/soziolo...
Einladung zum Vortrag
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
None
Dr. Désirée Waterstradt
privat
None
Criteria of this press release:
Journalists, all interested persons
Social studies
transregional, national
Miscellaneous scientific news/publications, Press events
German
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