idw - Informationsdienst
Wissenschaft
Klimawandel, Pestizide und Landnutzungsänderungen allein können den Rückgang von Insektengemeinschaften in Deutschland nicht vollends erklären. WissenschaftlerInnen vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) haben nun festgestellt, dass die Regionen, die einen starken Rückgang an Fluginsekten verzeichnen, auch unter einer hohen Lichtverschmutzung leiden. Viele Studien weisen bereits darauf hin, dass künstliches Licht in der Nacht negative Auswirkungen auf Insekten hat und dass diesem Umstand künftig mehr Beachtung geschenkt werden sollte, wenn es an die Ursachenforschung für das Insektensterben geht.
Die Biomasse fliegender Insekten ist um mehr als 75 Prozent zurückgegangen – diese alarmierende Zahl hat im Herbst 2017 Schlagzeilen gemacht. Die AutorInnen der 2017 veröffentlichten Studie* hatten die Zahl der Fluginsekten in ausgewählten Schutzgebieten innerhalb von Landwirtschaftsflächen in Deutschland über 27 Jahre beobachtet und vermuten, dass die Veränderungen von Klima und Lebensraum für den Rückgang der Insektenpopulationen verantwortlich sind. Gleichzeitig wiesen sie darauf hin, dass diese Einflüsse allein den drastischen Rückgang noch nicht erklären können.
Licht zur falschen Zeit bringt Ökosysteme aus dem Gleichgewicht
Ein klarer Arbeitsauftrag für die WissenschaftlerInnen der IGB-Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie. Denn dass künstliche Beleuchtung in der Nacht die Zahl und Gemeinschaften von Insekten stark beeinflusst, wissen sie aus früheren Arbeiten. Das Team um IGB-Forscherin Dr. Maja Grubisic hat sich deshalb zunächst die Lage der 2017er-Untersuchungsgebiete angeschaut: Gebiete in Ballungszentren, die eine überdurchschnittlich hohe Lichtverschmutzung aufweisen. „Die Hälfte aller Insektenarten ist nachtaktiv. Sie sind auf Dunkelheit und natürliches Licht von Mond und Sternen angewiesen, um sich zu orientieren und fortzubewegen oder Räubern auszuweichen. Und um ihren allnächtlichen Aufgaben wie Nahrungssuche und Fortpflanzung nachzugehen. Eine künstlich erhellte Nacht stört dieses natürliche Verhalten – mit negativen Auswirkungen auf die Überlebenschancen“, begründet Maja Grubisic den Ausgangspunkt ihrer Untersuchung.
Künstliche Beleuchtung in der Nacht könnte ein Grund für den Insektenrückgang sein
Die WissenschaftlerInnen haben alle jüngsten Einzelstudien zu den Auswirkungen von künstlichem Licht in der Nacht auf Insekten ausgewertet und festgestellt, dass Vieles für einen ernstzunehmenden Zusammenhang zwischen Lichtverschmutzung und Insektensterben spricht. Fluginsekten werden beispielsweise von künstlichen Lichtquellen angezogen – und gleichzeitig aus anderen Ökosystemen abgezogen – und sterben durch Erschöpfung oder als leichte Beute. Zusätzlich werden sie durch Lichtschneisen in ihrer Ausbreitung gebremst. Der dadurch fehlende genetische Austausch innerhalb zergliederter Insektenpopulationen könnte deren Widerstandsfähigkeit gegen andere negative Umwelteinflüsse reduzieren, die sich in landwirtschaftlich genutzten Gebieten besonders akkumulieren.
Auf Landwirtschaftsflächen – die immerhin elf Prozent der weltweiten Bodennutzung ausmachen – bedeuten weniger Insekten aber nicht nur eine geringere Artenvielfalt, sondern auch die Gefährdung wichtiger Ökosystemleistungen: weniger Nachtfalter, Käfer und Fliegen bestäuben zum Beispiel weniger Pflanzen. Und auch Veränderungen im Vorkommen und Verhalten von Schädlingen wie Blattläusen oder aber deren Feinden wie Käfern und Spinnen können das eingespielte System aus dem Gleichgewicht bringen. Darüber hinaus kann künstliches Licht in der Nacht auch direkte Auswirkungen auf Wachstum und Blütezeit der Pflanzen und somit den Ertrag haben.
Alle Einflussfaktoren müssen verstanden und berücksichtigt werden – darunter auch Lichtverschmutzung
„Unsere Übersichtsstudie zeigt, dass künstliches Licht in der Nacht weit verbreitet ist und komplexe Auswirkungen in landwirtschaftlichen Gebieten mit unbekannten Konsequenzen für die Biodiversität und Pflanzenproduktion haben kann. Daher sollte Lichtverschmutzung in zukünftigen Studien generell als potentieller Stressfaktor berücksichtigt werden, um letztlich Wege aufzeigen zu können, die helfen Umweltprobleme zu reduzieren,“ resümiert Dr. Franz Hölker, Leiter der Arbeitsgruppe Lichtverschmutzung und Ökophysiologie am IGB.
Lesen Sie die Studie in der Fachzeitschrift Annals of Applied Biology > https://doi.org/10.1111/aab.12440
Grubisic, M., van Grunsven, R.H.A., Kyba, C.C.M., Manfrin, A. and Hölker, F. (2018) Insect declines and agroecosystems: does light pollution matter? Ann Appl Biol. doi:10.1111/aab.12440
*Link zur Studie "More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas": http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0185809
Ansprechpartner:
Dr. Maja Grubisic, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Abteilung 1 Ökohydrologie, +49 (0)30 64181 784, grubisic@igb-berlin.de (Interviews in Englisch, Serbisch und Kroatisch möglich)
PD Dr. Franz Hölker, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Abteilung 1 Ökohydrologie, +49 (0)30 64181 665, hoelker@igb-berlin.de (Interviews in Deutsch und Englisch möglich)
Katharina Bunk, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, +49 (0)30 641 81 631, +49 (0)170 45 49 034, bunk@igb-berlin.de
Über das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB):
Das IGB ist das bundesweit größte Forschungszentrum für Binnengewässer. Es verbindet Grundlagen- und Vorsorgeforschung, bildet den wissenschaftlichen Nachwuchs aus und berät Politik und Gesellschaft in Fragen des nachhaltigen Gewässermanagements. Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Langzeitentwicklung von Seen, Flüssen und Feuchtgebieten angesichts sich rasch ändernder Umweltbedingungen, die Renaturierung von Ökosystemen, die Biodiversität aquatischer Lebensräume sowie Technologien für eine ressourcenschonende Aquakultur. Die Arbeiten erfolgen in enger Kooperation mit den Universitäten und Forschungsinstitutionen der Region Berlin-Brandenburg und weltweit. Das IGB gehört zum Forschungsverbund Berlin e. V., einem Zusammenschluss von acht natur-, lebens- und umweltwissenschaftlichen Instituten in Berlin. Die vielfach ausgezeichneten Einrichtungen sind Mitglieder der Leibniz-Gemeinschaft. http://www.igb-berlin.de/
http://www.igb-berlin.de/news/insektensterben-durch-lichtverschmutzung
Insekten zählen ist Teil der Arbeit.
Foto: Gabriel Singer / IGB
None
Versuchsfeld im Naturpark Westhavelland
Foto: Maja Grubisic / IGB
None
Criteria of this press release:
Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
Biology, Environment / ecology, Zoology / agricultural and forest sciences
transregional, national
Research results, Scientific Publications
German
You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.
You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).
Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.
You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).
If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).