idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Grafik: idw-Logo

idw - Informationsdienst
Wissenschaft

Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instance:
Share on: 
08/21/2018 12:23

Computerspielabhängigkeit als Erkrankung

Rüdiger Labahn Informations- und Pressestelle
Universität zu Lübeck

    Expertengruppe plädiert für die Aufnahme in die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) - Zahl der Hilfesuchenden steigt in vielen Ländern deutlich an

    Computerspielabhängigkeit soll als offizielle Erkrankung anerkannt werden. 55 Autorinnen und Autoren aus nahezu allen Regionen der Welt legen die Gründe dafür in einer aktuellen Stellungnahme in der Zeitschrift "Journal of Behavioral Addictions" dar. Unter ihnen sind auch zahlreiche Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

    Die WHO hat "Gaming Disorder" (Computerspielsucht) in die Überarbeitung der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) aufgenommen. In den vergangenen Monaten wurde vielfach darüber berichtet, dass diese Entscheidung ungerechtfertigt sei. Zu den Argumenten einer relativ kleinen Gruppe von Forschern gehörte, dass der Stand der Wissenschaft noch zu viele Lücken aufweise. Weiterhin bestünde die Gefahr, dass man unproblematische Computerspieler damit stigmatisieren würde. Exzessives Spielen sei keine eigenständige Erkrankung, sondern vielmehr eine Form der Bewältigung von anderen psychischen Problemen oder Störungen. Auch behauptete die Gruppe, dass die neue Diagnose eine Reaktion auf die moralisch gefärbte Panik sei, die dem Computerspielen entgegengebracht würde

    Wirksame Behandlungsmethoden entwickeln, prüfen und finanzieren

    In der nun veröffentlichten Gegenstellungnahme weist die Expertengruppe auf die klinische Bedeutung dieser Störung hin. Betroffene haben unter einer deutlichen und zum Teil sehr schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Lebens zu leiden. In vielen Ländern zeigen die Zahlen einen deutlichen Anstieg der Hilfesuchenden. Die Aufnahme diese Störungen in die ICD-11 sei eine entscheidende Voraussetzung dafür, dass wirksame Behandlungsmethoden entwickelt, geprüft und finanziert würden, heißt es in der Veröffentlichung. Lücken in der Forschung dürften kein Grund dafür sein, eine Störung nicht als Krankheit anzuerkennen.

    Die Stellungnahme weist darauf hin, dass viele der kritischen Autoren Wissenschaftler sind, die sich nicht mit Fragen der Behandlung oder Vorbeugung psychischer Erkrankungen beschäftigen. Stattdessen kommen sie aus Fachgebieten wie zum Beispiel Medienpsychologie, Kommunikationswissenschaften, Computerspieldesign, experimentelle Psychologie oder Erziehungswissenschaften. Damit sind sie im Grunde fachfremd im Hinblick auf klinische Notwendigkeiten oder Fragen der öffentlichen Gesundheit.

    Dies zeige sich auch in ihren Argumenten, die an der klinischen Wirklichkeit vorbei gingen, beklagt die Stellungnahme. Ein Beispiel sei die Annahme, das Computerspielen sei lediglich Ausdruck einer anderen Störung wie einer Depression oder einer Angststörung. Dabei werde jedoch übersehen, dass auch bei Alkohol- oder Drogenabhängigkeit häufig eine andere psychische Erkrankung vorliegt und diese auch Auslöser der Sucht sein kann. Dennoch würde man ja nicht behaupten, Alkohol- und Drogenabhängigkeit wären keine eigenständigen und behandlungsbedürftigen Erkrankungen.

    Diagnose einer Verhaltenssucht ist keine Stigmatisierung

    Entsprechende Einschätzungen hält die Expertengruppe der aktuellen Stellungnahme für potentiell sehr gefährlich. So könnten sich Krankenkassen oder andere Kostenträger auf deren vermeintlich wissenschaftliche Argumente berufen und die Kostenübernahme von Therapien verweigern. Auch die Computerspiele-Industrie könnte diese Argumente aufgreifen und diese für ihre Zwecke nutzen.

    „In der Tat geschieht dies bereits. Es existiert eine gemeinschaftliche Stellungnahme zahlreicher Vereinigungen der Spieleindustrie, die das Ziel hat die Aufnahme der Computerspielsucht in ICD-11 zu verhindern“, sagt Privat-Dozent Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Wissenschaftler an der Universität zu Lübeck, der an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, tätig ist. Er ist Erstautor der Stellungnahme und gehört seit 2014 zu den Experten, die die WHO in Bezug auf Verhaltenssüchte und deren Aufnahme in ICD-11 beraten.

    Zum Argument der möglichen Stigmatisierung von unproblematischen Spielern führt er an, dass diese Befürchtung unbewiesen und irreführend ist. Das würde bedeuten, dass man im Gegenzug dann auch die Diagnose Alkoholabhängigkeit abschaffen müsse, weil unproblematische Alkoholkonsumenten dadurch stigmatisiert werden könnten.


    Contact for scientific information:

    Priv.-Doz. Dr. Hans-Jürgen Rumpf
    Email: hans-juergen.rumpf@uksh.de
    Tel.: 0451 500 98751


    Original publication:

    Including gaming disorder in the ICD-11: The need to do so from a clinical and public health perspective. Hans-Jürgen Rumpf et al., Journal of Behavioral Addictions. DOI: 10.1556/2006.7.2018.59


    More information:

    https://akademiai.com/doi/pdf/10.1556/2006.7.2018.59


    Images

    Priv.-Doz. Hans-Jürgen Rumpf
    Priv.-Doz. Hans-Jürgen Rumpf
    (Foto: Rumpf)
    None


    Criteria of this press release:
    Journalists, Scientists and scholars, all interested persons
    Information technology, Medicine, Social studies
    transregional, national
    Research results, Scientific Publications
    German


     

    Help

    Search / advanced search of the idw archives
    Combination of search terms

    You can combine search terms with and, or and/or not, e.g. Philo not logy.

    Brackets

    You can use brackets to separate combinations from each other, e.g. (Philo not logy) or (Psycho and logy).

    Phrases

    Coherent groups of words will be located as complete phrases if you put them into quotation marks, e.g. “Federal Republic of Germany”.

    Selection criteria

    You can also use the advanced search without entering search terms. It will then follow the criteria you have selected (e.g. country or subject area).

    If you have not selected any criteria in a given category, the entire category will be searched (e.g. all subject areas or all countries).