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10/11/2003 13:44

"Ich kann nur immer wieder dazu aufrufen, zu den Sternen zu greifen"

Dr. Michael Schwarz Kommunikation und Marketing
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

    Gegen die Ver-Macdonaldisierung dieser Welt - Hier die Dankesrede von Prof. Dr. Peter H. Krammer zum Lautenschläger-Forschungspreis im Wortlaut

    Bei der Dankesrede zur Verleihung ihres Oskars sagte die amerikanische Schauspielerin Shirley Maclaine: "I have been waiting for it so long, I think I deserve it".

    Wissenschaftler sind berufsbedingt selbstkritischer und wissen, daß sie mit ihrer Leistung auf den Schultern vieler hervorragender Mitarbeiter stehen. Ich habe mich über die herzlichen Glückwünsche zum Lautenschläger Forschungspreis 2003 gefreut und zitiere stellvertretend für viele den Glückwunschbrief eines guten Freundes, der schrieb: "Gerade unter dem Gesichtspunkt, daß der Prophet im eigenen Lande wenig gilt, scheint mir diese Auszeichnung von besonderer Bedeutung zu sein."

    Ich nehme diesen Preis gerne entgegen und bin mir bewusst, in einer langen Reihe von Forschern zu stehen, die sich seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts mit der Erforschung des Zelltodes, den man auch Apoptose nennt, beschäftigt haben. Dieses Gebiet ist lange vergessen worden, und erst nach 1970 hat man gelernt, Tumorentstehung nicht nur mit ungezügeltem Wachstum gleichzusetzen, sondern auch mit einer reduzierten Absterberate, einer reduzierten Apoptose von Zellen. Mehr noch, man hatte erkannt, daß Apoptose, der Zelltod, für das Leben entscheidend wichtig war. So ensteht die Hand des Embryos nur dann, wenn die Fingerknospen auswachsen und gleichzeitig aber in den Fingerzwischenräumen Zellen durch Apoptose sterben. Auch im erwachsenen Organismus spielt Zelltod an vielen Stellen eine große Rolle: so zum Beispiel im Immunsystem, im Thymus, bei der Aufrechterhaltung der Selbsttoleranz und der Vernichtung selbst-reaktiver Zellen, ebenso wie beim Abschalten der Immunantwort. Auch in der Leber stirbt jede hundertste bis tausendste Zelle durch Apoptose und wird durch eine neue Zelle ersetzt. Der Schluß liegt nahe: ohne geordnetes Todesprogramm, ohne Tod, ohne Apoptose, kein geordnetes Leben.

    Zelltod, Apoptose, kann durch Aktivieren von Todesrezeptoren auf der Zelloberfläche ausgelöst werden. Wir hatten das Glück, den ersten Todesrezeptor zu entdecken und Beiträge zur Aufklärung des Signalmechanismus, der für die Weiterleitung des Todessignals von außen ins Zellinnere entscheidend ist, zu leisten. Ist die Apoptose wichtig für die Klinik? Die Antwort ist ja. Die Entstehung vieler Erkrankungen läßt sich unter anderem durch "zu viel" oder "zu wenig" Apoptose in den Zellen der erkrankten Organe beschreiben. Erkrankungen mit zu viel Apoptose sind z.B. der Schlaganfall, der Herzinfarkt, die Rückenmarksverletzung und AIDS. Krankheiten mit zu wenig Apoptose sind z.B. Krebs und Autoimmunerkrankungen. Das Therapieziel ist in jedem Fall, dem jeweiligen Geschehen entgegen zu wirken, es zu verhindern, oder die Balance zwischen Leben und Tod der Zellen wiederherzustellen. Ein Beispiel mit zu viel Apoptose in Gehirnzellen ist der Schlaganfall. Gelingt es, durch Blockade der Apoptose einen Großteil der Gehirnzellen der Infarktregion zu retten, so bedeutet dies einen Therapieerfolg und ermöglicht die partielle Erhaltung der Beweglichkeit der betroffenen peripheren Körperregion.

    Bei Krebs ist es genau umgekehrt. Hier möchte man durch Auslösen von Apoptose im Tumor durch Antikörper, Killerzellen, Bestrahlung oder Medikamente, den Tumor auslöschen. Hier sehen Sie den Angriff einer Killerzelle auf eine Tumorzelle. Wir sind sicher, daß sich aus dem molekularen Verständnis der hier geschilderten Todesvorgänge in Zukunft neue Behandlungsstrategien für Erkrankungen ableiten lassen.

    Ich verbinde mit dieser Darstellung den Dank an viele Mitarbeiter und meine Gruppe. Ich danke weiterhin dem DKFZ für die Freiheit, mit der ich diese Arbeiten trotz anfänglich eher entmutigender Gutachten über viele Jahre ausführen konnte. Mein Dank geht auch an meine Familie und meine Freunde, die wissen, daß meine Arbeit nur im nachhinein eine lineare Erfolgsgeschichte repräsentiert. In Wirklichkeit war sie bis hierher ein verschlungener Weg.

    Ich verbinde den Dank an meine Mitarbeiter auch mit der Aufforderung zur Erhaltung von Streitkultur und konstruktiver Kritik in meiner Abteilung. Wüßten meine jungen Mitarbeiter nicht, daß auch der wissenschaftliche Standpunkt ihres Chefs sich ständig der begründeten Kritik stellt und daß ihre Argumente, so sie besser sind, obsiegen können, so hätte ich einen schweren Fehler gemacht.

    Mit Blick gerade auf meine jungen Mitarbeiter kann ich nur immer wieder dazu aufrufen, zu den Sternen zu greifen. In der Tat brauchen wir wieder eine Elite in Deutschland, und sollten dies auch deutlich aussprechen. Ich werde mich nicht scheuen, Euch aufzufordern, der Ver-Macdonaldisierung dieser Welt und unserer Wissenschaft mit Augenmaß zu begegnen. Ich werde mich nicht scheuen, Euch aufzufordern, Milestone Forschung, Controlling, das Sammeln von Impact-Faktor-Punkten und den Brüsseler Vernetzungsfanatismus bei der Vergabe von Forschungsgeldern, der sich auch schon dieses Landes bemächtigt, bewußt zu hinterfragen. Forscher sind und bleiben Individualisten. Sie müssen kantig sein, und sie müssen mit Lust bei der Sache sein. Bei aller vernünftigen Leistungskontrolle läßt sich Kreativität nicht verordnen, sondern entsteht aus dem freien Spiel der Kräfte. Dies, meine Damen und Herren, muß auch die Politik verstehen. Ihr Preis, Herr Lautenschläger, gibt mir diese Freiheit.

    Dies ist unschätzbar und dafür danke ich Ihnen.

    In einem Interview hat Günter Grass kürzlich gesagt "Siegen macht gelegentlich dumm". Ich nehme seine Warnung ernst, aber heute nehme ich diese Dummheit gerne an.

    Rückfragen bitte an:
    Dr. Michael Schwarz
    Pressesprecher der Universität Heidelberg
    Tel. 06221 542310, Fax 542317
    michael.schwarz@rektorat.uni-heidelberg.de
    http://www.uni-heidelberg.de/presse


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    Criteria of this press release:
    Medicine, Nutrition / healthcare / nursing
    transregional, national
    Miscellaneous scientific news/publications, Personnel announcements
    German


     

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