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Uni Hohenheim untersucht Online- und Offline-Formate der Gesetzgebung mit Bürgerbeteiligung in Baden-Württemberg / Neuerscheinung im Verlag Springer VS
Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger wünschen sich mehr Mitsprachemöglichkeiten auf allen Ebenen des politischen Systems. In Baden-Württemberg können sie Gesetzesvorhaben der Landesregierung online kommentieren, bevor sie im Landtag beraten werden. Das Online-Beteiligungsportal des Landes ist bundesweit einzigartig. Ein Team um Kommunikations-wissenschaftler Prof. Dr. Frank Brettschneider der Universität Hohenheim aus Stuttgart hat diese demokratische Innovation untersucht. Das Ergebnis des Experten: Die partizipative Beteiligung an Gesetzgebungsverfahren in Baden-Württemberg ist sehr erfolgreich und führt zu einer größeren Akzeptanz der Vorhaben. Alle Ergebnisse sind in dem Buch „Gesetzgebung mit Bürgerbeteiligung. Online- und Offline-Formate in Baden-Württemberg“ bei Springer VS veröffentlicht.
Auf kommunaler Ebene ist Bürgerbeteiligung schon lange üblich. Aber auf Landesebene gibt es für Bürgerinnen und Bürger deutlich weniger Beteiligungsmöglichkeiten. Und ein Bereich ist bislang weitgehend von der informellen Bürgerbeteiligung ausgeklammert: die Gesetzgebung.
In Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen und Nordrhein-Westfalen fand eine informelle Beteiligung bei einzelnen Gesetzesvorhaben bereits statt – etwa in Rheinland-Pfalz beim Transparenzgesetz oder in Nordrhein-Westfalen beim Landesmediengesetz und bei der Novellierung des Hochschulgesetzes. Sie bilden aber Ausnahmen.
Mit der Möglichkeit, Gesetzesvorhaben der Landesregierung seit 2011 zu kommentieren, bevor sie im Landtag beraten werden, geht Baden-Württemberg hier einen anderen Weg. In der 15. Legislaturperiode (2011-2016) war dies zunächst bei ausgewählten Gesetzesvorhaben möglich. In der 16. Legislaturperiode wurde die partizipative Gesetzgebung auf alle Gesetzesvorhaben ausgeweitet.
Erfolgsmodell Baden-Württemberg
Seit 2013 ist das Online-Beteiligungsportal des Landes Baden-Württemberg eine tragende Säule der partizipativen Gesetzgebung, auf dem Bürgerinnen und Bürger Gesetzesvorhaben der Landesregierung kommentieren und sich über Bürgerbeteiligung informieren können.
Mit dieser partizipativen Gesetzgebung beschäftigen sich Studien der Universität Hohenheim. Sie kommen zu dem Ergebnis: „Die partizipative Gesetzgebung in Baden-Württemberg ist sehr erfolgreich“, meint Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbes. Kommunikationstheorie der Universität Hohenheim und Leiter der Studien.
Für die Untersuchung wurden Gesetzesvorhaben detailliert analysiert. Außerdem wurden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Landesministerien ebenso befragt wie Landtagsabgeordnete sowie Plenarprotokolle und weitere Dokumente gesichtet.
Freiwillig und transparent: Das macht die partizipative Gesetzgebung attraktiv
Mit der partizipativen Gesetzgebung ermöglicht die Exekutive den Bürgerinnen und Bürgern, nicht-organisierten Betroffenen sowie den Verbänden, im Rahmen der repräsentativen Demokratie frei-willig und in einem transparenten Verfahren Gesetzesvorhaben zu kommentieren bzw. diese inhaltlich mit zu entwickeln.
Die Exekutive macht anschließend deutlich, wie diese Kommentare und Anregungen in den Gesetzentwurf eingeflossen sind, der dem Landtag zur Beratung und Entscheidung vorgelegt wird. Dieses Vorgehen verfolgt das Ziel, dass die Exekutive der Legislative einen qualitativ hochwertigen Entwurf vorlegen kann, der auch von breiten Teilen der Öffentlichkeit akzeptiert wird.
Parallel zur üblichen Verbändeanhörung werden die Bürgerinnen und Bürger dafür online über ein Beteiligungsportal des Landes konsultiert. Außerdem kommen verschiedene Face-to-Face-Formate zum Einsatz.
Prof. Dr. Brettschneider fasst die Ergebnisse zusammen: „Die partizipative Gesetzgebung hat sich bewährt. Das Beteiligungsportal dient in erster Linie dazu, Transparenz herzustellen. Die Face-to-Face-Formate führen hingegen zu substantiellen Verbesserungen an Gesetzentwürfen. Sie hinterlassen einen partizipativen Fußabdruck und führen mitunter zu einer größeren Akzeptanz der Vorhaben. Die repräsentative Demokratie wird durch den kombinierten Einsatz von Face-to-Face-Beteiligung und Online-Beteiligung bereichert.“
Das Beteiligungsportal ist nutzerfreundlich, könnte aber noch verbessert werden
Der Erfolg einer Beteiligungsplattform hängt unter anderem von ihrer Usability ab, so Philipp Maxhofer, der in seiner Masterarbeit diese Usability untersucht hat.
Er kommt zu dem Schluss: „Die Nutzerfreundlichkeit des Beteiligungsportals ist durchwachsen. Mit der Behebung einiger Probleme, Komplexitätsreduktionen und einer generellen Umstrukturierung ließe sich die Usability mit verhältnismäßig geringem Aufwand auf ein sehr gutes Niveau heben.“
Dies würde sich vermutlich in einer häufigeren Nutzung niederschlagen. Auch dürfte die Zufriedenheit der Nutzer dann größer sein – was wiederum eine wiederholte Nutzung wahrscheinlicher machen würde.
Hohe Diskursqualität der Online-Kommentare – mit Ausnahmen
Das Beteiligungsportal wird relativ häufig genutzt. Seit seinem Start wurden bis März 2017 auf ihm 3.705 Kommentare zu 43 Gesetzentwürfen abgegeben. 1.685 dieser Kommentare untersuchte Isabel Rackow in ihrer Masterarbeit inhaltsanalytisch anhand zahlreicher Kriterien der Deliberationstheorie: u.a. Konstruktivität, Bezugnahme, Rationalität, Gemeinwohlorientierung und Respekt. „Die Online-Kommentare weisen in der Regel eine hohe Qualität auf und liefern somit den jeweiligen Ministerien einen entsprechenden Mehrwert“, so ihr Fazit. „Als Schlüsselkategorie stellt sich dabei der konkrete inhaltliche Bezug eines Kommentars heraus.“
Konkreter inhaltlicher Bezug bei 53 Prozent der Kommentare
Immerhin 53 Prozent aller Kommentare wiesen einen solchen konkreten inhaltlichen Bezug zum Gesetzentwurf auf. 14 Prozent der Kommentare hatten hingegen noch nicht einmal mit dem Thema des Gesetzentwurfes zu tun, von seinem konkreten Inhalt ganz zu schweigen. In ihnen haben Nutzerinnen und Nutzer vor allem ihre allgemeine Unzufriedenheit mit der Landesregierung zum Ausdruck gebracht.
Bei zwei Gesetzesentwürfen war der Anteil unsachlicher, sehr emotionaler Kommentare besonders hoch: beim Gesetz zum Jagd- und Wildtiermanagement und beim Gesetz zur Einführung des Nationalparks Schwarzwald.
Empfehlung für andere Bundesländer
„Alles in allem werfen unsere Untersuchungen ein positives Licht auf die partizipative Gesetz¬gebung in Baden-Württemberg“, sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider. „Auch andere Bundesländer sollten die partizipative Gesetzgebung nutzen“.
Förderliche wäre dort eine Einbettung der partizipativen Gesetzgebung in eine umfassende Beteiligungsstrategie, wie sie in Baden-Württemberg in der „Politik des Gehörtwerdens“ formuliert und durch zahlreiche Maßnahmen umgesetzt wurde. Dabei gehe es nicht um direkt-demokratische Elemente, sondern es geht um Verfahren der informellen Beteiligung, bei der Bürgerinnen und Bürger sowie nicht-organisierte Betroffene die Exekutive und die Legislative mit Anregungen versorgen, sie also „beraten“.
Verlagsangaben
Frank Brettschneider (Hrsg.): Gesetzgebung mit Bürgerbeteiligung. Online- und Offline-Formate in Baden-Württemberg. Wiesbaden: Springer VS, 2019. ISBN 978-3-658-24143-8. Verlagsseite: https://www.springer.com/de/book/9783658241438
Hintergrund
Bei dem Buch handelt es sich um den zweiten Band der Reihe „Politik gestalten – Kommunikation, Deliberation und Partizipation bei politisch relevanten Projekten“, die von Prof. Dr. Frank Brett-schnei¬der (Universität Hohenheim), Prof. Dr. Angelika Vetter und Prof. Dr. André Bächtiger (beide Universität Stuttgart) herausgegeben wird. Der erste Band erschien 2018: Inkeri Schmalz: Akzep-tanz von Großprojekten. Eine Betrachtung von Konflikten, Kosten- und Nutzenaspekten und Kommunikation. Für 2019 sind drei weitere Bände geplant.
Links
Beteiligungsportal Baden-Württemberg: https://beteiligungsportal.baden-wuerttemberg.de/
Verlagsseite: https://www.springer.com/de/book/9783658241438
Kontakt für Medien
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbes. Kommunikationstheorie,
T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de
Zu den Pressemitteilungen der Universität Hohenheim
https://www.uni-hohenheim.de/presse
Text: C. Schmid
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Fachgebiet Kommunikationswissenschaft, insbes. Kommunikationstheorie,
T 0711 459 24030, E frank.brettschneider@uni-hohenheim.de
Criteria of this press release:
Journalists
Media and communication sciences, Politics
regional
Scientific Publications
German
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