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11/04/2003 18:15

Um Raumplanung zu studieren, werden Barrieren überwunden

Ole Lünnemann Referat Hochschulkommunikation
Universität Dortmund

    Dr. Viktoria Waltz und Dr. Sebastian Müller, beide Lehrende der Fakultät Raumplanung an der Universität Dortmund, sind im Oktober aus Palästina zurück gekehrt. Im Rahmen der Partnerschaft zwischen der Uni Dortmund und der Bir Zeit Universität haben sie einen Monat lang Lehrveranstaltungen im Master Programm "Urban Planning and Design" abgehalten. Die Theorie der Raumplanung, strikt um Praxisnähe bemüht und von den Studierenden mit großem Interesse aufgenommen, stand in fast unerträglichem Kontrast zu den alltäglichen Barrieren im besetzten Palästina, berichtet die Partnerschaftsbeauftragte Dr. Viktoria Waltz. Hier ihr Bericht:

    Die jeweils acht Doppelstunden Lehrveranstaltung gehörten zu den Kursen: "Planungstheorien und soziale Fragen der Raumplanung" sowie "Einführung in den Vertiefungsentwurf". Alle Studierenden und die begleitenden palästinensischen Lehrpersonen haben die Veranstaltungen mit Begeisterung aufgenommen. Es wurde in jeder Einheit immer auch über aktuelle Fragen der Entwicklung und Planung in Palästina heftig diskutiert.

    Der Impuls von außen, von den aus Deutschland angereisten Raumplanern, war etwas Neues und Interessantes für alle Beteiligten. Die Studierenden waren sogar bereit, an ihrem einzigen freien Tag, dem Freitag, zweimal an einem ganztägigen Workshop zu Zukunftsperspektiven der benachbarten Region Beit Reema/Bani Zeid aktiv teilzunehmen.
    Die Ergebnisse werden in der kommenden Zeit ausgearbeitet und die Grundlage für Projektanforderungen und Finanzierungsanträge der Kommunen sein. Der Studiengang soll praxisnah sein und Ideen für die räumliche Entwicklung beitragen, wie das auch in Dortmund angelegt ist. Anfang Dezember werden vier Professoren in Dortmund erwartet, darunter der Dekan der Ingenieursfakultät, um die Beziehungen weiter zu konkretisieren und zu festigen.
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    Endlose Wartezeiten, Sperren und Kontrollen

    Manchmal scheint es absurd, über zukünftige Raumentwicklungen, Planungstheorien und Planungsentwürfe zu sprechen in einer Situation, in der man nicht weiß, was der Tag bringt und ob man sein Ziel, z.B. die Universität, überhaupt erreichen wird oder zu seinem Ausgangspunkt unbeschadet zurückkehren kann. Tatsächlich konnten von 26 eingeschriebenen nur immer etwa 20 Studierende des Master Programms die Uni erreichen, eigentlich nur die, die aus dem ca. fünf km entfernten Ramallah oder der unmittelbaren Nachbarschaft oder aus Jerusalem kamen.

    Und auch das nicht ohne Schwierigkeiten oder vorhersehbare Hindernisse. Es konnte sein, dass Birzeit unter Ausgangssperre gestellt wurde, dass die Sperre in Sourda im Süden Birzeits auf der Hälfte der Wegstrecke von Ramallah unzugänglich war, dass der 'Eingang' nach Ramallah beim Flüchtlingslager Kalandia nur mit stundenlangen Kontrollen passiert werden konnte oder dass die neue Schranke bei Atara im Norden von Birzeit den Weg einfach zusperrte.

    Da das Programm auf Treffen am Nachmittag ausgelegt ist, um auch Praktikern die Teilnahme zu ermöglichen, müssen Studierende von weiter entfernten Städten das Risiko auf sich zu nehmen, abends nicht mehr nach Hause zu gelangen oder bei Dunkelheit stundenlang an Sperre festgehalten zu werden. Oder die neue 'Mauer' sperrt sie vollständig aus vom übrigen Leben, was auch ein Beleg dafür ist, dass dieses Ungetüm vor allem ein gigantisches Hindernis für das palästinensische Alltagsleben darstellt und gewiss nicht Verzweifelte von Attentaten abhält.
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    Im Detail: Protokoll eines Vorlesungstages

    Die Schwierigkeiten, die den Menschen in der Westbank, in Ost-Jerusalen oder in der Region Gaza täglich begegnen, verdeutlichen unsere Aufzeichnungen vom ersten Vorlesungstag, der für uns auch in den folgenden Wochen zum Alltag des Lehrbetriebs wurde.

    "Ost-Jerusalem war anfangs unser Ausgangspunkt. Da wir die umständliche Strecke durch die Innenstadt, die Salaheddinstrasse und die verschiedenen Checkpoints unterwegs vermeiden wollten, nahmen wir den Weg über die Ostverbindung nach Ramallah von Abu Dis. Aber: An diesem Morgen war die neue Sperr-Mauer einfach geschlossen worden.
    Kein Spalt ließ die Menschen mehr durch, wie es bisher gewesen war.

    Wie viele andere Menschen irrten wir herum, bekamen dann den Tipp einfach einigen jungen Leuten zu folgen, die entlang der Mauer einen Durchlass suchten. Sie waren Studenten der Jerusalem Universität, die auf der Abu Dis-Seite Jerusalems liegt. Israelische Militärjeeps fuhren zwar Kontrollgänge, aber sie waren schließlich nicht überall. Dann fand sich eine Stelle, über die man klettern konnte - Kinder wurden hinübergereicht, Frauen und älteren Menschen geholfen - auch wir waren dann an der Reihe.

    Auf der anderen Seite hatte sich das Transportwesen inzwischen der Lage angepasst. Die Kleinbustaxen riefen die diversen Ziele aus: 'Kalandia', 'Nablus', 'Bethlehem'. Wir warteten, bis der Transit nach Kalandia voll besetzt war: Sieben Shekel bis dorthin.

    Kaum waren wir aus Abu Dis heraus und bogen in die Landstraße nach Ramallah ein, gab es die nächste unvorhersehbare Sperre: Vier Soldaten in einem Militärjeep, Soldaten, immer mit dem Finger am Abzug der Schnellfeuerpistole, stoppten die Wagen in beiden Richtungen, auch eine Ambulanz. Die Palästinensischen Wagen sind leicht erkennbar, gelber Anstrich für die Sammeltaxen, grün-weisse Nummernschilder für die Privatwagen - während israelische Wagen gelbe Nummernschilder haben. Alle Pässe und Ausweise wurden dem Fahrer gegeben, der musste aussteigen und dann hieß es warten, fast eine halbe Stunde, bis alles in Ordnung schien. Unfreundlich gestellte Fragen in hebräisch, manchmal arabisch begleiteten die Rückgabe der Papiere.

    Die Fahrt ging weiter - bis zur Abzweigung nach Kalandia, an der Kreuzung Jabah. Da passte der Fahrer, denn nun sahen wir ein großes Aufgebot an Jeeps und Militär, das beide Richtungen festhielt - lange Warteschlangen, viel LKW's darunter - der Fahrer bat uns auszusteigen und wir mussten nun zu Fuß weiter. Manche versuchten den Kontrollen ganz auszuweichen und über die Hügel abwärts in Richtung Ramallah ihr Glück zu versuchen.
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    Demütigungen an der Grenze

    Niemand geht gern freiwillig durch diese Kontrollen - niemand weiß, was dort mit ihm oder ihr passieren kann, was den Soldaten einfällt an Demütigung und sei es nur das lange Warten. Wir hatten Glück, denn alle Militärs waren plötzlich intensiv mit einem LKW beschäftigt und wir liefen einfach auf die Schlange wartender Taxen und LKW's in Richtung Kalandia zu und stiegen in ein nächstes Fahrzeug ein: Noch einmal zwei Shekel waren zu zahlen. Schleppend ging es den Berg hinauf Richtung Ramallah, Kreuzung Kalandia. Dort muss man auf jeden Fall aussteigen, die Westbank-Taxen kommen dort nicht durch. Es geht zu Fuß am schnellsten. Es war sehr belebt auf diesem Zugang, denn am frühen Morgen gab es eine Vollsperrung und die Menschen, die früh zur Arbeit wollten, hatten zwei Stunden warten müssen, ehe die 'Grenze' wieder geöffnet worden war. Nun strömten alle auf die andere Seite, unter Panzer und Militär Begleitung und auf die dort wartenden Taxen und Transits zu. 'Ramallah', 'Ramallah' hieß es oder auch 'Bir Zeit'.

    Froh ein Taxi gefunden zu haben, dass offensichtlich gleich nach Bir Zeit fahren würde, stiegen wir dort ein: Drei Shekel. Aber: wir kamen nur bis Sourda, denn hier endete wieder alles.

    Seit Frühjahr 2002 haben die Israelischen Militärs die in 2000 neu gebaute Straße zwischen Ramallah und Birzeit aufgerissen, einen Graben gezogen, Erdhügel aufgehäuft und den Weg für PKW's unpassierbar gemacht - mittendurch quert noch eine Siedlerstraße, die oftmals durch Militärjeeps gesperrt und zum Kontrollpunkt wird. Wir steigen also erneut aus, und müssen über diese Hindernisse zu Fuß laufen.

    Da all das ungeheuer beschwerlich ist für kranke Menschen, für alte und für Kinder oft eine Tortur, steht gleich nach dem ersten Hindernis eine Notfallstation der medizinischen NGO's - ein Zelt, ein Tisch, ein Stuhl, zwei 'Zivis', ausgestattet mit Rollstühlen. Eine Frau aus unserem Transit mit ihren drei Kindern nimmt erst einmal Platz im Schatten unter dem großen Sonnenschirm und versorgt ihre Kinder mit Wasser. Wir gehen weiter mit vielen anderen Menschen, Studentinnen, Beschäftigten der Uni, Hausfrauen, Handwerkern - um nach etwa 500 Metern auf die andere Seite zu kommen, wo die nächsten Sammeltaxen auf die Neuankommenden warten.
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    Handeln im Überlebenskampf

    Pfiffige Jungs haben bereits erkannt, dass hier eine Einnahmequelle liegt: kleine Eselsgespanne bringen für einen Shekel diejenigen auf die andere Seite, die schwer tragen an ihren Einkäufen oder an Kindern oder - wie wir - einfach einmal mit einem solchen 'Hantur' gefahren werden möchten. So hat das alles auch eine tragikomische Seite: 'Wir laufen wieder viel und das ist gesund', ist ein Kommentar, und 'wie viele Menschen treffen wir hier wieder, die wir lange nicht gesehen haben', ist ein anderer Versuch, der Lage noch etwas abzugewinnen. Die Mehrheit der Menschen, die uns begegnen, sehen aber traurig und müde aus - lachen kommt nicht mehr vor.

    Auf der anderen Seite geht es wieder ungeheuer geschäftig zu: Fliegende Händler haben sich aufgereiht und verkaufen, was man sich denken kann: Kleidung, Gemüse, Obst, Küchengeräte. 'Birzeit, University, Jenin, Nablus - aber auch Bethlehem, Hebron', Städte im Süden, werden ausgerufen. Solche 'Grenzorte', an denen es nicht mehr weitergeht, sind zu Drehscheiben für das ganze Land geworden: Sourda ebenso wie Kalandia. Und von diesen Stellen geht die beschwerliche Reise in alle Richtungen - ohne Garantie, dass das ausgerufene Ziel überhaupt und einfach zu erreichen wäre.

    Noch 1,5 Shekel kostet die letzte Fahrt zur Uni - insgesamt also haben wir 10,5 Shekel bezahlt für eine Reise, die unter normalen Umständen eine halbe Stunde gebraucht hätte und mit 4 Shekel bezahlt worden wäre.

    Kaum zu glauben, dass wir trotz dieser Demütigungen, die jeder täglich erfährt, unsere Studentengruppe begeistert beim Studium dabei ist und gern und heftig sich alle an den Diskussionen über Planung und Theorien beteiligen.

    Unser Rückweg war nicht weniger beschwerlich. In Ramallah waren Panzer eingerückt, Schüler hatten sie mit Steinen begrüßt - es gab Schüsse - aber als wir gegen 18 Uhr die Stadt durchqueren und Kalandia zustreben, ist der Spuk bereits längst vorbei. Wir warten wie viele - aber Ausländer kommen schon mal schneller durch. Dann wieder Taxisuche - bis Jerusalem. Aber nein - es geht nur bis zur Kreuzung 'Ram', nach Beit Hanina, einem nördlichen palästinensischen Stadtteil von Jerusalem. Dort müssen wir wieder aussteigen und zu Fuß wie alle Palästinenser die 'Grenze' durchqueren.

    Es warten vielleicht hundert Menschen in einem engen Korridor auf der Straße. Einer nach dem anderen darf die 20 Meter bis zum Checkpoint passieren. Natürlich wird gedrängelt, Frauen mit Kindern wollen schneller vorankommen, andere sind schon den ganzen Tag auf den Beinen und wollen endlich nach Hause, alles murrt und schiebt. Es macht den Soldaten offensichtlich Spaß, alles langsam abzuwickeln. Sie kontrollieren, ob die Menge auch am weißen Strich anhält und sich nicht vorwagt - niemand sieht diesen Strich - sie warten, wollen, dass alle zurückweichen - die Menschen murren und rufen, beschweren sich, die Soldaten greifen sich einen jungen Mann heraus, er muss mit dem Gesicht zur Wand ihrer Baracke stehen bleiben, sein Ausweis in ihren Händen. Nach einer Stunde haben auch wir es geschafft, sind durch, der junge Mann steht immer noch mit dem Gesicht zur Wand. Wieder ein Taxi, erneute Kontrolle kurz hinter dem Checkpoint.

    Unendliche Geduld unter den Mitfahrern. Das scheint die Kunst der Palästinenser zu sein: Durchhalten und geduldig sein. Dabei könnte man täglich aus der Haut fahren."
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    Lernbereitschaft macht Sinn der Partnerschaft aus

    Um zur Anfangsfrage zurückzukehren: Die Tatsache, dass trotz dieser Schwierigkeiten die Studierenden an diesem Studiengang teilnehmen, selbst 'Sonntage' opfern, um zu lernen und Neues zu erfahren und diskutieren zu können, macht für sich schon Sinn, diese Partnerschaft weiter zu gestalten. Es wird schließlich an einem Stückchen Zivilen Lebens fetsgehalten, das in dieser Region sonst so wenig Chancen hat.
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    Nähere Information: Dr. Viktoria Waltz,
    Fakultät Raumplanung, Projektzentrum,
    Ruf 0231-7552246, Mail waltz@rp.uni-dortmund.de


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    Criteria of this press release:
    Law, Politics, Traffic / transport
    transregional, national
    Studies and teaching
    German


     

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